Großbritannien

Derivate bringen britische Pensions­fonds in Bedrängnis

Der rasante Anstieg der Renditen britischer Staatsanleihen hat Liquiditätsprobleme bei Pensionsfonds hervorgerufen. Die Bank of England griff ein, um den Zusammenbruch großer Anbieter zu vermeiden.

Derivate bringen britische Pensions­fonds in Bedrängnis

Von Andreas Hippin, London

Der für Finanzstabilität zuständige stellvertretende Gouverneur der Bank of England, Jon Cunliffe, hat sich nichts anmerken lassen, als er am Mittwoch auf der AFME OPTIC Konferenz in London über ein vergleichsweise unbedeutendes Thema sprach. Als er danach keine Fragen annehmen wollte, weil er „zurück auf die Ranch“ müsse, hätte man sich allerdings denken können, dass sich eine Krise anbahnt. Wenig später kündigte die Bank of England an, Staatsanleihen (Gilts) in unbegrenztem Umfang aufzukaufen. Das hatte ihr Finanzstabilitätskomitee nach Hilferufen aus der Branche gefordert, obwohl es den geldpolitischen Zielen der Bank zuwiderläuft.

Was war passiert? Um böse Überraschungen zu vermeiden, vergleichen Pensionsfondsmanager den Marktwert der von ihnen gehaltenen Assets mit dem derzeitigen Wert der von ihnen versprochenen Pensionszahlungen. Zur Berechnung dieses Werts wird in der Regel ein Diskontsatz verwendet, der sich auf die Gilt-Zinskurve bezieht. Will man sicher sein, zugesagte Pensionen zahlen zu können, wären eigentlich inflationsgeschützte Anleihen die beste Anlage. Denn dann bewegen sich Assets und Verbindlichkeiten im Tandem. Veränderungen des Marktwerts der Anleihen ziehen eine entsprechende Veränderung der Zinskurve nach sich, die zur Berechnung des gegenwärtigen Werts der künftigen Verbindlichkeiten benutzt wird. Cashflows ließen sich dann, falls erforderlich, mit Hilfe von Swaps glätten. Doch diese Herangehensweise ist teuer.

Riskante Absicherung

LDI-Strategien (Liability-Driven Investment) bieten einen Ausweg, der insbesondere von leistungsorientierten Altersvorsorgeplänen (Defined Benefit) gerne genutzt wird. Daraus ist eine ganze Industrie entstanden. Denn mit Derivaten lassen sich theoretisch vergleichbare Ergebnisse zu niedrigeren Kosten erreichen. Besser noch: Sie ermöglichen Leveraging. Man beleiht eine Staatsanleihe aus dem Bestand, um eine weitere zu erwerben. Wiederholt man den Prozess, hat man sein Asset verdreifacht. Auf diese Weise lassen sich Mittel für riskantere Anlagen mit höherer Rendite wie Private Equity oder Hedgefonds freisetzen. Man kann auch seinen Finanzierungsstatus dadurch verbessern – viele Pensionsfonds sind unterfinanziert. Das Risiko gehebelter Transaktionen dieser Art wird durch Absicherungsgeschäfte „weggehedgt“. Spätestens jetzt werden Erinnerungen an die undurchsichtigen Finanzkonstrukte wach, die der Finanzkrise 2008 erst ihre enorme Wucht verliehen haben.

Ein komplett durch Gilts gedeckter Fonds hätte auch bei rasant steigenden Zinsen keinerlei Handlungsbedarf. Der Wertverlust der Assets würde durch den steigenden Diskontsatz ausgeglichen. Der Finanzierungsstatus wäre neutral. Gab es eine Finanzierungslücke, würde er sich sogar verbessern. Wertverluste von Derivaten ziehen dagegen Nachschussforderungen nach sich, sonst droht die Auflösung der Positionen. Ein Pensionsfonds kann es sich aber nicht leisten, blank dazustehen, wenn sich die Zinskurse plötzlich in die andere Richtung bewegt.

Teufelskreis in Gang gesetzt

Der Markt für Gilts mit langen Laufzeiten galt bislang als wenig schwankungsanfällig. Umso härter schlugen die spekulativen Attacken auf Pfund und Staatsanleihen seit der Bekanntgabe des Wachstumsplans der Regierung am Freitag ins Kontor. Für Pensionskassen mit per LDI gehedgten Verbindlichkeiten von 1,5 Bill. Pfund war das ein Problem. Nur wenige verfügten offenbar über ausreichend Bares, um den Margin Calls nachzukommen, als die Zinsen in die Höhe schossen. Weil es Tage oder Wochen dauern kann, andere Assets zu Geld zu machen, verkauften viele Gilts. Das drückte die Kurse und führte zu weiteren Nachschussforderungen. Ein Teufelskreis kam in Gang, der erst durch die Intervention der Bank of England vorübergehend gestoppt wurde. Die Pensionsfonds gewinnen dadurch Zeit, um die benötigten Barmittel aufzutreiben.

Allerdings hat sich die Bank of England noch nicht von dem Vorhaben verabschiedet, am 31. Oktober mit dem „Quantitative Tightening“ zu beginnen, dem Abverkauf des seit der Finanzkrise zusammengetragenen Anleihenbergs. Das dürfte die Kurse schnell wieder unter Druck setzen. „Die Pensionskassen müssen also relativ schnell handeln, um eine Wiederholung im kommenden Monat zu vermeiden“, schrieben die Analysten der US-Investmentbank Jefferies.

Ein Trost: Es gehe nicht um ihre Solvenz, sondern um ihre Liquidität. Aber auch das hat man irgendwie schon einmal gehört. Besonders peinlich für die Bank of England: Der FTSE-100-Einzelhändler Next warnte sie bereits vor fünf Jahren vor der tickenden Zeitbombe LDI, wie Vorstandsvorsitzender Simon Wolfson nun sagte.

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