Matthias Hübner

ESG-Book: „In den USA sehen wir das größte Wachstum“

ESG Book, der Anbieter von Nachhaltigkeitsdaten, kappt seine Wurzeln. Nach Umfirmierung und Finanzierungsrunde geht die frühere Arabesque S-Ray eigene Wege und konzentriert sich auf den Ausbau des Geschäfts in den USA.

ESG-Book: „In den USA sehen wir das größte Wachstum“

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Der in ESG Book umbenannte Anbieter von Nachhaltigkeitsdaten Arabesque S-Ray nimmt nach der jüngsten Fundingrunde vor allem die Vereinigten Staaten ins Visier. „In den USA sehen wir das größte Wachstum. Und das geht einher mit einem größeren Teil der Neueinstellungen.“ Die Zahl der derzeit rund 150 Beschäftigten werde binnen ein oder zwei Jahren auf 250 bis 300 wachsen, sich also mehr oder minder verdoppeln, kündigt Deutschlandchef Matthias Hübner im Gespräch mit der Börsen-Zeitung an.

Von den 150 Mitarbeitern der Gesellschaft mit Hauptsitz in Frankfurt arbeitet gut die Hälfte im Datenresearch-Center im indischen Delhi. Personal aufgebaut wird Hübner zufolge vor allem deshalb in den USA, weil es sich um den größten Markt für ESG-Daten handele und gerade gegenüber Europa, das in Sachen Nachhaltigkeit eine Art Vorreiterrolle einnehme, Aufholpotenzial bestehe. „Der weltweite Markt für ESG-Daten wird sich enorm vergrößern. Im vergangenen Jahr war er 1 Mrd. Dollar schwer, 2025 sollen es 5 Mrd. sein“, sagt Hübner. „Die Verfünffachung innerhalb von vier Jahren zeigt, wie viel Potenzial im Markt steckt.“ Auch in Europa und Asien werde sich ESG Book weiter verstärken, wenn auch in eher überschaubarer Größenordnung. Aktuell ist die in Frankfurt ansässige Gesellschaft mit Büros in London, Boston, Singapur, Delhi und Tokio präsent.

Über maximal 300 Beschäftigte hinaus werde ESG Book aber nicht wachsen, sagt Hübner angesichts der Technologielastigkeit des Geschäfts. Da künstliche Intelligenz zunehmend Verwendung finde, um Daten zu erheben oder Nachrichtenquellen auszuwerten, seien tendenziell weniger Analysten nötig. An der Kundenschnittstelle, im Vertrieb etwa, soll jedoch weiter aufgebaut werden.

35 Mill. Euro hatten die Frankfurter in der im Juni abgeschlossenen Series-B-Finanzierungsrunde eingeworben und dabei ihre Eigentümerstruktur diversifiziert. Neu dabei sind die als Lead-Investor aufgetretene Venture-Capital-Gesellschaft Energy Impact Partner aus den USA, die über ein starkes Standbein in Großbritannien verfügt, und der Investor und Assetmanager Meridiam mit Sitz in Paris. Auch Bestandsinvestor Allianz X, der Investmentarm des Versicherers, hat sich wieder beteiligt.

„Wir haben die Shareholderstruktur verbreitert und internationalisiert“, sagt Hübner. Die Shareholder aus Series A seien sehr wertvoll gewesen, um das junge Unternehmen bei seinen ersten Schritten zu unterstützen, doch nun sei wichtig, dass sich der internationale „Footprint“ auf der Investorenseite spiegele. „Hatte man in der Vergangenheit auf unsere Aktionärsstruktur ge­schaut, konnte man den Eindruck gewinnen, dass wir eine rein deutsche Firma sind. Und das stimmt ja nicht, denn unser Geschäftsmix und Anspruch ist ganz klar international. Wir wollen eine führende globale ESG-Datenplattform bauen.“

Arabesque bleibt im Boot

Bis zur jüngsten Finanzierungsrunde hatte bei ESG Book alias Arabesque S-Ray die Arabesque Holding den Ton angegeben. Der Dachge­sellschaft für Arabesque Asset Management, Arabesque AI sowie der S-Ray ge­hörten etwa drei Viertel der Anteile. Die Holding ist seitdem zwar weiterhin Shareholder, hält aber nicht mehr die Mehrheit.

Mit dem Funding einher gehen Änderungen in der Gruppenstruktur. ESG Book nabelt sich von der Arabesque-Gruppe ab. Gesellschaftsrechtlich wird sie bald nicht mehr Teil der Arabesque-Holding sein, die somit nur noch über den in London angesiedelten Gesellschaften Arabesque AI und Arabesque Asset Management stehen wird, sagt Hübner. Die Entkoppelung von Arabesque solle noch in diesem Jahr vollzogen werden. „Im Zuge der Series-B-Finanzierungsrunde wurden wir in die Unabhängigkeit entlassen. Wir stehen weiterhin in freundlicher Verbundenheit zur Arabesque-Gruppe, gehen aber eigene Wege. Es ist eine neue Phase für uns als Firma.“

Als Nächstes soll ESB Book mit eigenen Unterstützungsabteilungen ausgestattet werden, die aktuell noch übergeordnet auf Arabesque-Gruppenebene angesiedelt sind, wie Finanzen und Personal, Compliance und Recht. In der Zeppelinallee am Frankfurter Palmengarten teilt sich ESG Book ihren Hauptsitz mit Arabesque Asset Management, die dort ihre Deutschland-Dependance hat. Dass sich ESG Book nach der rechtlichen Trennung von der Arabesque-Gruppe auch räumlich distanzieren könne, ist laut Hübner kein Thema: „Es gibt keine Umzugspläne.“

Commerz Real steigt aus

Zu den frühen Investoren von S-Ray gehörten die Helaba über ihre Beteiligungsfirma Helaba Digital, Allianz X, Commerz Real, DWS und das Land Hessen. Ende 2019 hatten sie in einem Funding insgesamt 20 Mill. Dollar investiert. Später zog noch Accenture nach. In der jüngsten Runde haben Commerz Real, die 4,9% gehalten hatte, und das Land Hessen ihre Anteile verkauft. „Wir sind mit beiden sehr freundschaftlich auseinandergegangen“, sagt Hübner. „Commerz Real und Land Hessen sind beide mit Gewinn ausgestiegen. Wir sind ihnen sehr dankbar, dass sie uns ein Stück des Weges begleitet haben. Im Zusammenspiel mit unserer Internationalisierung hat sich das jetzt ganz gut gefügt.“

Commerz Real, über deren Ausstieg schon vor gut einem Jahr spekuliert worden war, begründet den Exit auf Anfrage damit, dass der ur­sprüngliche Grund, sich zu beteiligen, hinfällig geworden sei: Weil der Entwicklung und Markteinführung von S-Ray Real Estate in der Strategie von ESG Book keine Priorität mehr zukomme, „sehen wir keinen Unterstützungsbedarf von uns und haben uns zum – nunmehr erfolgreichen – Exit entschieden“, heißt es. S-Ray Real Estate hätte als voll automatisiertes Rating-Tool für Immobilien entwickelt werden sollen.

Das Land Hessen wiederum hatte sich seit Sommer 2019 über die Firma Beteiligungs-Managementgesellschaft Hessen (BMH) an dem Daten-Fintech beteiligt. Als Beweggrund für den Ausstieg gibt eine Sprecherin an, dass in der jüngsten Finanzierungsrunde ausschließlich private Investoren mit von der Partie gewesen seien. „Damit sieht BMH die Aufgabe bei der Start-up-Förderung von Arabesque S-Ray GmbH als erfüllt an.“ Drei von der BMH verwaltete Gesellschaften hatten einen Gesamtanteil an S-Ray von 2,19% gehalten: Hessen Kapital I GmbH (0,22%), Hessen Kapital III (Efre) GmbH (0,88%) und TF H III Technologiefonds Hessen GmbH (1,1%).

Hinter der Umbenennung von Arabesque S-Ray in ESG Book steckt Hübner zufolge der Wunsch, den Namen der Firma mit dem des im Dezember auf den Markt gebrachten Datenhubs in Einklang zu bringen. Gemeinsam mit globalen Unterstützern, zu denen internationale Organisationen, Banken, Versicherer, Assetmanager, Nichtregierungsorganisationen und Industrieverbände zählen, hatte Arabesque eine digitale Plattform namens ESG Book ins Leben gerufen, die der Verwaltung und Analyse von Daten zu Umwelt-, sozialen und Governance-Aspekten von Tausenden Unternehmen weltweit dient. Zweck ist, diese Daten Firmen, Finanzinstitutionen Investoren, Aufsichtsbehörden und anderen zugänglich zu machen.

Verwirrung um alten Namen

Mit der Umfirmierung soll das Thema ESG auch im Unternehmensnamen in den Vordergrund rücken. „Es ist mühsam für Dritte, sich unterschiedliche Namen einzuprägen. Wenn die Firma so heißt und die Datenplattform anders, dann ist das schwierig“, sagt Hübner. „Zudem stellten sich manche Kunden die Frage: ,Seid ihr ein Datenanbieter oder ein Assetmanager?‘ Das wollten wir ein bisschen glattziehen.“ Mutmaßungen, dass die Umbenennung in ESG Book im Zusammenhang stehen könnte mit in der Vergangenheit von der „Süddeutschen Zeitung“ erhobenen Vorwürfen wie Greenwashing und Intransparenz, spielen keine Rolle in der Argumentation.

Die selbst entwickelte cloudbasierte Datenplattform ESG Book verzeichnet Hübner zufolge aktuell mehr als hundert zahlende Kunden. Basisfunktionen sind kostenlos, aber wer größere Datensätze oder ESG-Scores herunterlädt, muss zahlen. Nunmehr seien Nachhaltigkeitsdaten von etwa 10000 vorwiegend börsennotierten Firmen aus aller Welt erfasst mit jeweils rund 450 Datenpunkten. In der Breite würden ESG-Daten von Firmen aus etwa 60 Ländern abgedeckt und Emissionsdaten von Gesellschaften aus 80 Ländern. Weiter ausbauen will ESG Book nun die Analyse der Daten.

Die ESG-Datenlücke, die aktuell vorherrsche, wird sich nach Einschätzung Hübners künftig möglicherweise ins Gegenteil verkehren, also eine Situation entstehen, in der es so viele Nachhaltigkeitsdaten gibt, dass die Schwierigkeit eher darin besteht, sie vernünftig analysieren zu können. „In Zukunft können wir uns auch weitere Auswertungsfunktionalitäten vorstellen“, sagt Hübner. So dürfte seines Erachtens ein guter Teil der Mittel aus der jüngsten Finanzierungsrunde dafür verwendet werden, „die Plattform weiterzuentwickeln, noch intuitiver für Nutzer zu machen, zusätzliche Analysetools anzubieten und so weiter“. Daher sucht die Gesellschaft weitere IT-Developer und Programmierer.

Lob für EU-Datenbank

Dass die EU an einer ESG-Datenbank arbeitet, dem European Single Access Point (Esap), findet Hübner gut. Je mehr ESG-Rohdaten verfügbar seien, desto besser. „Wir sehen die EU-Plattform gar nicht so sehr als Konkurrenz. Wir werden in Koexistenz leben, und sie wird uns sogar helfen, die Gesamtdatenverfügbarkeit im Markt zu erhöhen.“

Zum einen sei zu bedenken, dass Esap erst in Jahren die Arbeit aufnehmen werde, Unternehmen und Finanzdienstleister aber jetzt Daten benötigten und nicht warten könnten. Zum anderen fokussiere sich die EU-Plattform naturgemäß auf Europa, so dass etwa global agierende Finanzdienstleister äquivalente Plattformen in anderen Regionen der Welt finden müssten, über die sie ihre Daten anfragen, verwalten und auswerten können – sofern überhaupt vorhanden. Deshalb sieht Hübner die Gefahr eines Flickenteppichs an ESG-Datenanbietern gegeben.

Dass der internationale Standardsetzer für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ISSB) an Nachhaltigkeitsstandards für die Berichterstattung von Unternehmen arbeitet, be­grüßt er. „Was wir als sehr schmerzhaft wahrnehmen, ist ein Wildwuchs von Nachhaltigkeitsstandards. Wenn der ISSB das erreicht, was sein Anspruch und Mandat ist, nämlich möglichst einen globalen Standard zu setzen à la IFRS auf der Finanzdatenseite, macht das allen Beteiligten das Leben leichter.“

Bisher erschienen:

„Botschaft an die große Masse bringen“ (29. Juli)

Paradigmenwechsel in der Finanzwirtschaft (26. Juli)

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