EU-Taxonomie

Europa reguliert sich grün

Das seit der Diskussion um Atomenergie und Gas umstrittene EU-Pflichtenwerk der Nachhaltigkeit geht in die nächste Runde. 2023 sollen die vier noch offenen Umweltziele der Taxonomie definiert werden.

Europa reguliert sich grün

Wie in den vergangenen Jahren wurden auch 2022 in der EU sehr viele verschiedene Ansätze verfolgt, um Sustainable Finance zu regulieren. Die drei wichtigsten Maßnahmen sind die Offenlegungsverordnung, die Benchmarkverordnung und die Taxonomieverordnung. Dabei ging es der EU um zwei Ziele: Einerseits sollte der Investor verbesserte Informationen zum Thema Nachhaltigkeit bekommen – „weil das überhaupt nicht reguliert war und es immer wieder den Verdacht von Greenwashing gibt“, sagt Antje Schneeweiß vom Arbeitskreis der kirchlichen Investoren (AKI). Andererseits geht es der EU darum, den hohen Mittelbedarf zum Beispiel im Bereich von Klimaschutz zu finanzieren. „Mit mehr Transparenz im Bereich Sustainable Finance soll mehr Kapital akquiriert werden“, so Schneeweiß, die Mitglied im Beratungsgremium EU Platform on Sustainable Finance ist.

Mittlerweile ist allen Beteiligten bewusst, dass die Umsetzung der europäischen Sustainable-Finance-Regulierung sehr komplex ist. „Das ist auch nicht verwunderlich, weil das Thema den Finanzmarktakteuren erst einmal fremd ist. Es geht nicht um Umsätze und Gewinne, sondern um Inhalte“, so Schneeweiß, die sich seit mehr als 30 Jahren mit grünen Finanzthemen und Nachhaltigkeit beschäftigt. Hinzu kämen einige Bruchstellen. Bestimmte Vorhaben wie die Bench­markverordnung bezögen sich auf Unternehmen als Ganzes, während es auf der anderen Seite in der Taxonomie um einzelne Aktivitäten gehe, die innerhalb eines Unternehmens stattfinden. „Das bringt Widersprüche mit sich, die man nicht ändern kann, denn man braucht beides. Wichtig ist aber, dass die Definitionen auf Unternehmensebene und im Bereich der Taxonomie angeglichen werden. Das ist eine der großen Baustellen im neuen Jahr.“

Vollendung der Umwelttaxonomie

Im Rahmen der Taxonomie sind bislang die beiden Ziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel definiert. Der größte Fokus 2023 liegt auf der Vollendung der bestehenden Umwelttaxonomie, also der Definitionen für die vier zusätzlichen Um­weltziele. Vorlagen für Kriterien zu den weiteren Zielen liegen in Brüssel auf dem Tisch, und es wird erwartet, dass dieser Komplex im kommenden Jahr in ein Gesetz gegossen wird. „Das wäre schon ein großer Schritt nach vorne, und der politische Wille dafür ist da. Ich rechne fest damit, dass es im neuen Jahr zu einem Gesetzentwurf kommen wird“, sagt Schneeweiß.

Das wird allerdings dauern, da der delegierte Akt anders als geplant bislang noch nicht veröffentlicht worden ist. „Rechnet man Konsultation und Trilog mit ein, wird es frühestens Sommer 2023“, schätzt Nadia Humphreys, die beim Datenanbieter Bloomberg für Sustainable Finance zuständig und ebenfalls Mitglied der EU-Arbeitsgruppe Platform on Sustainable Finance ist. Das Gremium wird derzeit neu zusammengestellt und soll im Frühjahr seine Arbeit wiederaufnehmen.

Humphreys sagt auch, dass im neuen Jahr der Schwerpunkt auf der Vollendung der Umwelttaxonomie mit der Erweiterung um neue Umweltziele und der Aufnahme neuer Wirtschaftsbereiche liegt. „Dies ist jedoch nicht einfach, da die Kriterien mit den einzelnen Sektoren kompatibel sein müssen.“ Generell sei die Taxonomie ein wichtiges Instrument, um die Nachhaltigkeit von Anlageprodukten einzuschätzen, und daher sollte die Taxonomie möglichst einen großen Teil des Anlageuniversums abdecken.

Mehr Ziele

Das EU-Regelwerk legt fest, welche wirtschaft­lichen Handlungen, spezifiziert nach Sektoren, nachhaltig sind. Der europäische Gesetzgeber un­terscheidet sechs Um­welt­bereiche, die jeweils Dutzende Aktivitäten abdecken. Die ersten beiden davon sind die Eindämmung des Klima­wandels und die Anpassung an den Klimawandel. Zu den anderen Umweltzielen gehören unter anderem der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft sowie die Ver­meidung und Kontrolle der Umweltverschmutzung.

Derzeit gibt es nur für die ersten beiden Ziele eine vollständige Klassifizierung der Aktivitäten. Dies kann zu einer erheblichen Verzerrung führen, wenn man den Prozentsatz eines Portfolios betrachtet, der gemäß der Taxonomie nachhaltig ist – aber nur bestimmte Bereiche definiert sind. „Ein nachhaltiger Fonds mit begrenzten Anteilen im Bereich der erneuerbaren Energien, aber erheblichen Anteilen in anderen Umweltzielen der Taxonomie wird in der Wahrnehmung der Anleger derzeit eine unerwartet niedrige Bewertung haben“, heißt es bei Triodos Investment Management, der Assetmanagement-Tochter der niederländischen Triodos Bank. Bei einem grünen Portfolio mit einem Fokus auf nachhaltige Landwirtschaft haben Themen wie Biodiversität und Vermeidung von Umweltverschmutzung eine große Bedeutung, die aber noch nicht definiert sind.

Soziale Taxonomie auf Eis

Neben der Umwelttaxonomie spielte im alten Jahr auch die Sozialtaxonomie eine wichtige Rolle, zu der ein erster Entwurf vorgelegt wurde. Nach Einschätzung der Experten dürfte in diesem Themenfeld 2023 aber weniger passieren. Es sei nicht geplant, dass im neuen Jahr zu sozialen Themen gearbeitet wird. „Das ist aber nicht das Ende der sozialen Taxonomie. Es gibt viele Gruppen wie zum Beispiel die Kirchen und ihre diakonischen Einrichtungen, die eine soziale Taxonomie für notwendig halten, um Aktivitäten im sozialen Bereich auch als nachhaltig kennzeichnen zu können“, sagt Schneeweiß. Sie hält es aber durchaus noch für möglich, dass die neu gewählte EU-Kommission ab dem Jahr 2024 das Thema soziale Taxonomie wiederaufnehmen wird.

Bei der sozialen Taxonomie dringen insbesondere Kirchenbanken auf eine Implementierung. „Sie haben Angst, dass sie von zukünftigen Finanzierungen abgeschnitten werden, solange es keine soziale Taxonomie gibt, da das Geld eher in grüne Bereiche fließt“, sagt die Vorsitzende des Sustain­able-Finance-Beirats der Bundesregierung, Silke Stremlau, die allerdings auch beobachtet hat, dass das Thema auf Eis gelegt wurde, „weil sich die Kommission viel Ärger mit Atom und Gas eingehandelt hat und größere Konflikte zurzeit vermeiden möchte“. Jedoch ist allen Beteiligten klar, dass es bei Nachhaltigkeit nicht nur um Umwelt geht, sondern auch um soziale Ziele, „die genauso gemessen werden müssen und bei denen es genauso Anreize geben muss“, so Stremlau.

Diskussion um Mindeststandards

Die Priorität bei der Vollendung der Umwelttaxonomie für die EU ist offensichtlich. Unabhängig davon wird es inhaltlich mit den sozialen Themen weitergehen. „Ein wichtiger Punkt betrifft die Frage, wie Mindeststandards definiert werden sollen. Dabei kann es in erster Linie nicht nur um Daten gehen, sondern auch um qualitative Informationen“, sagt Humphreys. Die Be­rücksichtigung qualitativer Daten kann jedoch immer zu Verzögerungen führen, da sich beispielsweise rechtliche Auseinandersetzungen über soziale Mindeststandards oft über Jahre hinziehen. „Klar ist, dass die Einhaltung sozialer Sorgfaltspflichten erwartet wird. Große Unternehmen sollten ihre Lieferketten untersuchen, soziale Fragen identifizieren und daran arbeiten, diese auf eine klare Weise innerhalb eines begrenzten Zeitraums zu lösen“, so Humphreys.

Gelbe Zwischentöne

Eine Herausforderung beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft ist der Fokus der Taxonomie auf dunkelgrüne Wirtschaftsaktivitäten. Doch gerade wenn es um die Entwicklung in Richtung nachhaltiger Tätigkeiten geht, braucht man „auch eine Kategorisierung von Aktivitäten zwischen rot und grün. Alles, was sich in Richtung Nachhaltigkeit bewegt und noch gelb ist, lässt sich bislang nicht abbilden“, beschreibt Stremlau ein künftiges Themenfeld der Taxonomie-Regulierung. Wichtig ist die Weiterentwicklung in Richtung einer transitorischen Taxonomie, die auch Zwischenbereiche – „gelbe“ Aktivitäten – abdeckt. Dazu gibt es mittlerweile auch einen Vorschlag der Sustainable-Finance-Plattform, der bei der EU-Kommission liegt. Doch bis dahin sei es ein weiter Weg, und zur Entwicklung in dem Bereich gibt es aus Brüssel noch keine positiven Signale, hat Humphreys festgestellt.

Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit wird sich in mehreren Bereichen 2023 fortsetzen. Beispielsweise müssen sich die Fondsanbieter auf die Anforderungen der zweiten Stufe der Offenlegungsverordnung vorbereiten, die ab Januar 2023 gelten. Danach muss bei nachhaltigen Fonds angegeben werden, welcher Teil ihres Portfolios „grün“ gemäß der EU-Taxonomie ist. Ein großes Thema wird die Prüfung der Jahresberichte auf Basis der Offenlegungsverordnung sein, die mit der Taxonomie zusammenhängt, weil über taxonomiekonforme Investitionen berichtet werden muss. Nachhaltige Fonds müssen nachweisen, inwieweit die Ge­schäftstätigkeiten, in die sie investieren, mit dem Rahmenwerk der grünen Aktivitäten in der Taxonomie übereinstimmen.

Dauerthema Transformation

Übergreifend geht es um die generelle Entwicklung in Richtung einer nachhaltigen Ökonomie. „Die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation unserer Wirtschaft ist im abgelaufenen Jahr enorm gewachsen, auch gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der Frage nach der zukünftigen Energieversorgung“, bilanziert Stremlau. Jetzt sei allen klar, dass Sustainable Finance auch dazu da ist, die Transformation der Wirtschaft zu finanzieren. Für Hadewych Kuiper von Triodos Investment Management sind Verzögerungen in der Sustainable-Finance-Regulierung aber kein Grund zu verzagen. „Wir bezweifeln daher, dass das Hauptziel – mehr Kapital in nachhaltige Aktivitäten zu lenken – bereits zu Beginn erreicht wird. Wir sind jedoch nicht dafür, die Einführung der Taxonomie aufzuschieben.“

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