John R. Dacey

„Swiss-Re-Aktien sollen zu den Spitzen­performern gehören“

Swiss Re hat für dieses Jahr einen hohen Reingewinn angekündigt. Finanzchef John Dacey spricht im Interview über die Fortschritte bei der Restrukturierung und seine Erwartungen an das jahrelang verlustbringende Geschäftsfeld IptiQ.

„Swiss-Re-Aktien sollen zu den Spitzen­performern gehören“

Mister Dacey, Sie stellen die Rechnung von Swiss Re Anfang 2024 von US-GAAP auf IFRS um. Sie sind damit ein Jahr im Rückstand auf Ihre Mitbewerber. Warum?

IFRS gilt mit den jüngsten Anpassungen als neuer Standard für die ganze Assekuranz. Also ist IFRS auch für uns der neue Standard. Man kann nicht unbedingt sagen, dass wir zu spät sind. Im Unterschied zu den meisten unserer Mitbewerber, die schon nach IFRS berichten und die Neuerungen nun übernehmen müssen, stellen wir nun von US- GAAP auf IFRS um. Aber wir tun das natürlich, weil wir sehen, dass sonst die Vergleichbarkeit unserer Zahlen mit jener der Konkurrenz leiden würde. 2024 war einfach kapazitätsmäßig der frühestmögliche Termin für uns.

Mit der Umstellung werden die Zahlen von Swiss Re deutlich besser aussehen als bisher. Man könnte auch denken, Sie wollen diesen Effekt 2024 mitnehmen, zumal Sie für das laufende Jahr ohnehin schon eine starke Gewinnsteigerung erwarten.

Sie werden nicht überrascht sein, wenn ich Ihnen widerspreche. Wir glauben nicht, dass der Gewinn von 3 Mrd. Dollar, den wir für 2023 erwarten, ein einmaliges Ereignis bleiben wird. Wir glauben, dass der positive Trend einige Jahre andauern wird. Selbst wenn es keine weiteren Preiserhöhungen mehr geben würde, blieben unsere Schadenrückversicherung und Corso (Corporate Solutions = Direktversicherung von Großrisiken von Unternehmen, Anm. d. Red) auf dem neuen Preisniveau noch längere Zeit profitabel. Auch das gestiegene Zinsniveau wird uns weiterhelfen. Wir werden also noch während einiger Jahre Rückenwind haben.

Sie haben kürzlich eine neue Organisationsstruktur eingeführt. Swiss Re hat aber schon 2012 den einzelnen Unternehmensbereichen die Ergebnisverantwortung übertragen. Was ist denn jetzt neu?

Damals hat man eine Holdingstruktur eingeführt, mit drei relativ unabhängigen operativen Einheiten darunter. Man etablierte also eine zusätzliche Managementebene. Diese hat einige positive Ergebnisse hervorgebracht, vor allem bei der Schaffung eines eigenständigen Managements bei Corso. Aber die Struktur schuf insbesondere im Rückversicherungsgeschäft auch Doppelspurigkeiten. Diese werden durch die neue Organisation nun teilweise beseitigt.

Corso ist vor drei Jahren nach jahrelangen Milliardenverlusten endlich profitabel geworden. Dafür verliert Swiss Re jetzt viel Geld mit IptiQ, einem White-Label-Geschäft, das Sie vor etwa sieben Jahren lanciert haben.

Wir haben mit IptiQ 2022 rund 360 Mill. Dollar verloren, auf das Ebit bezogen. Wir rechnen für das laufende Jahr mit einem Minus von etwa 250 Mill. Dollar.

Wie groß ist der Gesamtverlust seit Beginn?

Der Verlust ist über die Jahre gewachsen, was auch normal ist. Wir sind mit einem Portefeuille von Leben-Policen gestartet, wo zuerst Akquisitionskosten anfallen und die Prämieneinnahmen erst in den nachfolgenden Jahren fließen. Sie können also sicher nicht 360 Mill. Dollar mit sieben Jahren multiplizieren, um den Verlust zu berechnen. Er ist bedeutend geringer.

Der Aktienkurs von Swiss Re stagniert seit fünf Jahren. Die Aktien der Münchener Rück sind um 80 % gestiegen. Ist die Innovationskultur von Swiss Re eine Kursbremse?

Ich würde diese Differenz sicher nicht einfach der Lancierung von IptiQ anlasten, und ich möchte auch noch erwähnen, dass wir solide Dividenden zahlen. Die Gesamtrendite unserer Aktien wird dadurch besser, aber ich gebe zu: Die negative Differenz zur Münchener Rück verschwindet nicht, sie wird nur etwas kleiner.

Was schließen Sie denn aus diesem Vergleich?

Wir suchen nach Möglichkeiten, wie wir in den nächsten sieben Jahren eine Überperformance der Swiss-Re-Aktien erreichen können. Eines unserer Ziele ist es, dass die Swiss-Re-Aktien zu den Spitzenperformern in der Versicherungswirtschaft gehören.

Was können Sie konkret tun, um das Ziel zu erreichen?

Wir haben robuste Ziele ausgegeben. Wir haben zum ersten Mal, seit ich bei Swiss Re bin, ein Ziel für den Reingewinn festgelegt. An den 3 Mrd. Dollar, die wir für 2023 erwarten, werden wir uns messen lassen. Dasselbe gilt natürlich auch für unsere Geschäftseinheiten. Wir erwarten von IptiQ im Jahr 2025 ein ausgeglichenes Ergebnis und wollen 2026 damit Geld verdienen. Wir strengen uns sehr an, dass das auch passiert.

Müssen Sie als Finanzchef nicht auch schneller intervenieren, wenn neue Geschäfte nicht so laufen, wie sie sollten? Bei Corso hat Swiss Re die Milliardenverluste zu lange geduldet.

Ich wurde 2019 Finanzchef, und da haben wir Corso restrukturiert. Wir haben 35% des Geschäfts und verschiedene Geschäftsbereiche aufgegeben. Wir haben auch die Führung ausgewechselt, und das Ergebnis war ein massiver Turnaround. Ich erwarte von dieser Einheit nicht nur, dass sie das Gewinnniveau der vergangenen drei Jahre halten, sondern auch schneller wachsen kann. Wir investieren viel in die Technologie, damit wir auch unter weniger günstigen Marktbedingungen gut verdienen können.

CEOs lieben es, neue Geschäfte wie IptiQ an den Start zu bringen. Es ist kreativ, und man kann sich damit besondere Lorbeeren holen. Aber Ihre Rolle ist es zu sagen: Diese Liebe führt zu nichts. Können Sie das?

Es wäre meine Aufgabe, das zu tun, wenn ich es tatsächlich so sehen würde. Aber ich glaube, dass wir IptiQ zu einem neuen, wichtigen Wert der Swiss-Re-Gruppe entwickeln können. In der gleichen Weise, wie uns dies auch mit Corporate Solutions gelungen ist.

Swiss Re hat 2022 Schäden aus Naturkatastrophen von 2,7 Mrd. Dollar erlitten. Jetzt haben Sie in der Erneuerung Ihrer Rückversicherungsverträge mit Erstversicherungsfirmen Preiserhöhungen von 18% durchgesetzt. Wie funktioniert ein Rückversicherungszyklus konkret?

Ich erkläre Ihnen das am besten mit einem Beispiel. In Japan gab es 2018 und 2019 sehr heftige Taifune. Die Versicherer erlebten die höchsten Verluste, die sie je mit solchen Ereignissen erfahren hatten. Unsere Spezialisten gingen hin und schauten sich die Katastrophen-Modelle der betroffenen Versicherer an. Sie sahen weder bei den Windgeschwindigkeiten noch bei der Auftretenshäufigkeit dieser Stürme große Abweichungen zu den Modellen. Sehr große Abweichungen gab es aber bei der Dimension der Überschwemmungen und den daraus entstandenen Verlusten für die Versicherer. Man fand heraus, dass die stationären Sturmfronten über Japan anders waren als in den vergangenen 50 Jahren.

Wegen der Klimaerwärmung?

Ja, davon gehen wir aus. Aufgrund dieser Erkenntnis mussten wir unsere Preise für die Rückversicherung solcher Risiken erhöhen, und zwar um eine große, zweistellige Prozentzahl. Natürlich haben wir unseren Kunden, den japanischen Erstversicherern, die Preiserhöhungen genau mit den von uns gefundenen Modellabweichungen erklärt. Diese teilten unsere Analyse und haben die Preise für Überschwemmungsrisiken ihrerseits deutlich erhöht. Unsere Verluste fielen 2018 und 2019 an. Daraufhin mussten die Erstversicherer die höheren Rückversicherungsprämien absorbieren, um die erhöhten Risiken in einem dritten Schritt den Endkunden weiter zu verrechnen. Inzwischen ist das Gleichgewicht wiederhergestellt.

Bewegen sich die Muster von Naturkatastrophen nicht immer weiter von Ihren Modellen weg?

Wir können uns immer noch auf die Modelle ver­lassen. Wir müssen sie einfach ständig mit neuen Informationen füttern. Wir beschäftigen 50 Wissenschaftler, die mehr als 100 spezifische Naturgefahren modellieren. Diese Modelle müssen Jahr für Jahr aufdatiert werden. Die größten Probleme ergeben sich nicht aus den Modellen selbst, sondern aus der Entwicklung der Werte, deren Ver­sicherung auf diesen Modellen beruht.

Können Sie das mit einem Beispiel erklären?

In Australien sind Buschfeuer seit 50 Jahren ein großes Thema. Die Trockenheit hat wahrscheinlich bedingt durch den Klimawandel zugenommen. Aber ein Problem ist, dass die Australier schon immer auch in solchen trockenen Risikozonen Wohn- und Geschäftshäuser gebaut haben. Jetzt ist die Zahl dieser gefährdeten Liegenschaften einfach viel größer als vor 40 Jahren, und damit wird der massiv gestiegene Gesamtwert der versicherten Objekte zum Problem.

Es handelt sich also um ein generelles Phänomen?

So ist es. Ich bin Amerikaner und kann Ihnen sagen, dass die Siedlungsdichte an der Küste von Florida einfach erstaunlich ist. Florida ist immerhin ein bekanntes Risikogebiet für Wirbelstürme. Und gerade die älteren Häuser sind oft nicht besonders solide gebaut. Wenn Sie nun zum Beispiel den Wirbelsturm „Ian“ sehen, der im vergangenen Oktober mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 240 Kilometern pro Stunde über Florida fegte, dann kann man sich leicht vorstellen, welche Zerstörungen ein solcher Sturm anrichten kann, wenn er auf eine Stadt oder stark besiedelte Zone trifft. Die Versicherer haben deshalb schon länger mit einer Differenzierung der Prämien angefangen.

Das Interview führte Daniel Zulauf.

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