Fintech

Wenn die Musik endet

Die Erfolglosigkeit der Fintech-Revolution hat einen Grund: In der langen Geschichte des Kreditwesens wurde schon so ziemlich alles ausprobiert. Nun ist die Blase geplatzt.

Wenn die Musik endet

Wer sich mit Blick auf die implodierenden Bewertungen von Fintech-Unternehmen an das Platzen der Internet­blase 2001 erinnert fühlt, hat nicht ganz unrecht. Allerdings verläuft der aktuelle Absturz in Zeitlupe, denn die meisten dieser Firmen wurden von ihren Gründern gar nicht erst an die Börse gebracht. Wozu auch, wenn man während der Pandemie per Zoom-Call dreistellige Millionenbeträge von Risikokapitalgebern einsammeln konnte? Finanzanalysten, die sich einen IPO-Prospekt vornehmen, haben einen ganz anderen Blick auf das Geschäft eines Unternehmens als ein Venture-Capital-Partner, der nebenbei noch den Mentor für den Firmengründer gibt.

Der kometenhafte Aufstieg der New Economy ähnelte einer Massenhysterie. Jeder Tankwart wollte mit dabei sein, als vermeintliche Top-Aktien wie Metabox oder Comroad durch die Decke gingen. Sofern kein Betrug vorlag, konnte jeder nachlesen, wie es um die Geschäfte der Gesellschaften bestellt war. Man hätte es nur tun müssen. Dieses Mal sind es nicht Kleinanleger, die auf Verlusten sitzen bleiben werden, sondern Investmentprofis, die es hätten besser wissen müssen. Denn sie hatten Einblick in die Bücher und waren oft maßgeblich an Aufbau und Expansion der Firmen beteiligt.

Doch solange sich Geld in nahezu unbegrenztem Umfang zum Nulltarif beschaffen ließ, fiel es ihnen nicht schwer, großzügig zu sein. Solange die Musik spielt, müsse man aufstehen und tanzen, sagte einst Charles Prince, ein ehemaliger Chef der Citigroup. Dabei sein ist schließlich alles, wenn die Finanzbranche revolutioniert wird. Da darf man ein schlechtes Quartal nicht überbewerten. Doch hat sich in der Branche allem Wortgeklingel zum Trotz seit Geldautomat und Debitkarte in Sachen Innovation nicht viel getan, wenn man von Neuerungen wie Derivaten auf verbriefte Subprime-Hypotheken und dysfunktionalen Kryptowährungen einmal absieht.

Was haben die Fintechs, die meist von irgendwelchen Unternehmensberatern mit viel Getöse an den Start gebracht wurden, Spektakuläres hervorgebracht? Am besten lief es noch, wenn sie aus eigener Betroffenheit agierten: Wise ging aus dem Bedürfnis ihrer Gründer hervor, grenzüberschreitende Überweisungen schnell und kostengünstig zu erledigen. Die Lösung, mit der Kristo Käärmann und Taveet Hinrikus aufwarteten, war und ist brillant. Andere boten dagegen Lösungen für Probleme, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hatte. Egal ob Neobanken, Neobroker oder Peer-to-Peer-Plattformen: Sie haben die Finanzwelt nicht groß verändert. Sieht man sich das Einlagen­volumen der Neobanken an, haben sie zwar eine Menge Kunden gewonnen, diese aber nicht dazu bewegen können, ihr Angebot als Gehalts- oder gar Anlagekonto zu nutzen. Robinhood, der selbst ernannte Pionier des gebührenfreien Tradings, hat in den Vereinigten Staaten Entlassungen angekündigt. Die Kryptobörse Coinbase setzt gleich annähernd ein Fünftel der Belegschaft an die Luft. Andere werden nachziehen. Die Kreditvergabeplattformen Lendy und Fundingsecure kollabierten. Die Herausforderer der Großbanken erwiesen sich alles in allem als wenig herausfordernd.

Und dann war da noch Blockchain. Kein Zweifel, es handelt sich um eine faszinierende Technologie. Nur wurde, wie so oft, das Pferd von hinten aufgezäumt. Denn Blockchain entstand nicht als Antwort auf ein Problem der Finanzbranche. Man machte sich vielmehr auf die Suche nach Problemen, die man damit lösen könnte. Vermeintliche Stablecoins erwiesen sich als wenig stabil. Und der Hype um Non-Fungible Token ist schon so gut wie vergessen.

Die Erfolglosigkeit der Fintech-Revolution mag daran liegen, dass in der mehrtausend­jährigen Geschichte des Kreditwesens schon so ziemlich alles ausprobiert wurde. Die aus diesem Entwicklungsprozess hervorgegangenen Geschäftsmodelle lassen sich nicht so einfach auf den Kopf stellen. Die Finanzbranche ist eben nicht wie die Musikbranche, deren verknöcherte Strukturen einst von der MP3-Tauschbörse Napster erschüttert wurden. Und viele Prozesse sind ähnlich stark reguliert wie der Betrieb eines Atomkraftwerks. Immerhin wird sich so manche neue Geschäftsidee oder Technologie aus dem Fintech-Sektor dazu eignen, die bestehenden Abläufe effizienter zu machen. Man darf davon ausgehen, dass etablierte Akteure zu den Schnäppchenjägern gehören werden, von denen die alternden Start-ups aufgesammelt werden, wenn ihre Bewertungen einmal auf dem Boden der Tatsachen angekommen sind.

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