China-EU-Beziehungen

Charme­offensive statt Triumphzug

Die Misserfolge der Null-Covid-Politik sorgen für einen überfälligen Wandel in der chinesischen Diplomatie – nicht nur gegenüber der Europäischen Union.

Charme­offensive statt Triumphzug

Deutschland wird seit Wochen in den chinesischen Staatsmedien hochgelobt, Bundeskanzler Olaf Scholz erhält jede Menge Respektbekundungen. Denn die Pekinger Staatsführung setzt darauf, am Beispiel Deutschlands zu zeigen, wie aus starken bilateralen Investitions- und Handelsbeziehungen ein weiterführender politischer Austausch entstehen kann. Seit dem jüngsten Besuch von Scholz in Peking ist man im Reich der Mitte überzeugt, dass der nun wieder gefestigte Dialog mit Deutschland als Modellbeispiel für die Pflege des Verhältnisses zwischen China und der EU gelten kann, das sich in den vergangenen Jahren deutlich eingetrübt hat. Unterschiedliche Haltungen zu Konfliktthemen wie dem Ukraine-Krieg oder der Taiwan-Frage können im Gegensatz zu früheren Jahren offen angesprochen werden, ohne die Basis für den wirtschaftlichen Dialog zu zerstören.

In Peking hat man selbstverständlich wahrgenommen, dass Scholz für seine China-Reise und die Suche nach einer neu formulierten China-Politik auch schwere Kritik aus den eigenen Reihen einstecken musste. Umso stärker lobt Peking den „Mut“ der deutschen Avance und würdigt das konstruktive und pragmatische Gesprächsklima selbst vor einer so brisanten geopolitischen Kulisse. Aus Pekinger Sicht ist das Verhältnis zwischen Deutschland und China bestens.

China versteht Deutschland grundsätzlich als Pars pro Toto für die gesamte EU. Das zeigt sich allein daran, dass Staatspräsident Xi Jinping sowohl bei seinen Gesprächen mit Scholz als auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Hoffnung zum Ausdruck brachte, „dass das bilaterale Verhältnis zu Berlin den Taktgeber für eine gesunde und stabile Entwicklung der China-EU-Beziehungen darstellen wird“. Dazu hört man von Pekinger Seite immer wieder die Ermunterung an die EU, ihre „strategische Autonomie“ zu bewahren und sich im Umgang mit China dem Einfluss von „Drittparteien“ fernzuhalten. Man muss nicht lange darüber rätseln, wer diese ominöse Drittpartei ist. China ist in Sorge, dass sich Deutschland und die EU von den USA hereinreden lassen. Oder sich gar von der Blockmentalität anstecken lassen.

So oder so steht China im Jahr 2023 vor einer Reihe von Herausforderungen, die für eine Anpassung der Umgangsformen gegenüber etlichen einflussreichen Ländern und wichtigen Handelspartnern sprechen. Es gilt die Wogen zu glätten, die China mit der ideologisch überfrachteten Null-Covid-Politik als trotzigem Gegenentwurf zur westlichen Pandemiebewältigung ausgelöst hat. Denn China unternimmt nicht nur Entspannungsversuche im Umgang mit der EU. Peking vollzieht auch eine Kehrtwende im Dialog mit einer Reihe von Nachbarländern und wichtigen Handelspartnern im Asien-Pazifikraum, allen voran Japan, Korea und Australien. Eine über Jahre hinweg aufgebaute und immer weiter verschärfte Drohkulisse scheint binnen kürzester Zeit von einer Art Charmeoffensive abgelöst worden zu sein. China besinnt sich wieder auf staatsmännisch wirkendes Konfliktmanagement, betont dabei Gemeinsamkeiten und verneint gar fundamentale Interessengegensätze.

Anlass für den Pekinger Sinneswandel dürfte die Erkenntnis sein, dass die Effektivität als „Global Influencer“ gerade im Jahr 2022 unter der nun völlig über Bord geworfenen Null-Covid-Politik gelitten hat. Insbesondere ausländische Investoren hinterfragen daher, ob der weltgrößte Binnenmarkt noch langfristig zum krisenfesten Wachstumsterritorium taugt.

2020 und 2021 boten Chinas Erfolge in der Pandemiebewältigung durch gezielte und rigorose Lockdowns und der folgenden raschen und wuchtigen Wirtschaftserholung einigen Stoff zur Legendenbildung. Der Parteiapparat überschlug sich geradezu darin, Chinas Governance-Methoden als neuen Orientierungsmaßstab für die Weltgemeinde anzupreisen. Der Staat und die Kommunistische Partei wähnten sich auf einem Triumphzug, da sie mit dezidiert autoritären Methoden zunächst das Virus im Zaum und die Wirtschaft auf Kurs gehalten hatten.

Mit dem persönlichen Auftritt von Staatspräsident Xi auf dem G20-Gipfel Mitte November auf Bali hat ein Stilwechsel stattgefunden, der im internationalen Rund aufmerksam registriert wird. Ein sanfter wirkendes Vorgehen auf politischer Bühne ist jedenfalls unverkennbar. China scheint endlich Anstalten zu machen, sich von einer ge­­zielten Verrohung diplomatischer Um­gangsformen zu verabschieden. Über Jahre hinweg galt die „Wolfskrieger“-Diplomatie als Ausdruck eines neuen chinesischen Nationalbewusstseins. Das Wolfskrieger-Etikett entstammt zwei patriotischen Actionfilmen, in denen ein chinesischer Armeeheld im Rambo-Stil gegen Schurken in Asien und Afrika kämpft. Mittlerweile dringt die Erkenntnis durch, dass die Wolfskrieger-Masche mit bewusst disziplinlosem und teils offen beleidigendem Auftreten von Pekinger Diplomaten nicht mehr zieht. Vielmehr gibt es Anzeichen dafür, dass Chinas „Softpower“, also seine konstruktive Einflussnahme in den internationalen Beziehungen, unter der aggressiven außenpolitischen Linie effektiv gelitten hat. Befragungen in zahlreichen Ländern haben gezeigt, dass die Wahrnehmung Chinas als ein Staat, der das Zeug dazu hat, mehr Verantwortung auf internationaler Bühne zu übernehmen, schwer in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Die dramatisch gesunkenen Popularitätswerte für Chinas Governance-Modell haben auch auf die Einschätzung der wirtschaftspolitischen Kompetenzen und Planungsfähigkeiten negativ abgefärbt.

Das wachsende Misstrauen hat sich zuletzt auch in den pessimistischeren Geschäftsklima-Umfragen beim China-Geschäft von ausländischen Unternehmen und ihren Lobbyvertretungen gezeigt. „China ist nicht mehr so attraktiv, wie es einmal war“, sagte jüngst Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China. Die Lobbyorganisation für europäische Unternehmen mit Direktinvestitionen vor Ort äußert sich mit einem so noch nie dagewesenen Pessimismus über die Perspektiven ihrer Mitglieder und die Bereitschaft der chinesischen Regierung, ein adäquates Investitionsklima aufrechtzuerhalten. Ähnliches war zuletzt auch von den deutschen Auslandshandelskammern (AHK) zu hören. In deren jährlicher Umfrage betonte die Hälfte der Firmen, dass der Megamarkt für sie an Attraktivität verloren habe. Gut die Hälfte will zwar mehr investieren – 2021 waren es aber noch über 70%. Und vor der Pandemie wollten praktisch alle ihre Investitionen aufstocken. Nun hofft man in Peking mit einem diplomatischen Tonwechsel auch auf die Stimmung der Investoren vor Ort positiv einzuwirken.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.