Gleichstellung

Start-ups zementieren klassische Rollenbilder

Junge Unternehmen geben sich gern innovativ und modern. Doch mit der Gleichstellung der Geschlechter ist es in der Szene nicht weit her. Damit bleibt künftig vieles beim Alten.

Start-ups zementieren klassische Rollenbilder

Das Jahr, in dem der Deutsche Start-up-Verband auf sein zehnjähriges Bestehen angestoßen hat, war ein Bedrückendes. In Europa hat der Ukraine-Krieg Tausenden Menschen das Leben gekostet, in Deutschland fürchtet jeder Dritte, seine Rechnungen für Strom und Heizen bald nicht mehr zahlen zu können und weltweit hat der Klimawandel dazu beigetragen, dass die Zahl der Todesopfer durch Naturkatas­trophen im ersten Halbjahr wieder gestiegen ist.

„Ich glaube, wir alle haben so etwas noch nie erlebt“, hatte Miriam Wohlfarth, Co-Chefin des Berliner Fintechs Banxware, die Lage Ende Oktober auf einem „Townhall“-Meeting des Verbands anlässlich des Jubiläums zusammengefasst. Aus Sicht der Gründerin, die beim Start-up-Verband auch im erweiterten Vorstand sitzt, brauche es hierzulande noch mehr Unternehmergeist, um den vielfältigen Krisen zu begegnen, mit denen Wirtschaft und Gesellschaft aktuell konfrontiert sind. „Es gibt eigentlich noch zu wenige Gründer, und wir brauchen mehr davon“, so der Appell von Wohlfarth.

Mit der Frage, woher die benötigten Nachwuchsunternehmer kommen sollen, be­schäftigt sich die Szene schon seit Langem. Schnell landen die Diskussionen bei einem Problem, mit dem sich zwar viele Branchen herumquälen, das aber zum besonders progressiven und innovationsgetriebenen Er­scheinungsbild der Start-up-Welt so gar nicht passen will: die geringe Partizipation von Frauen − in dem Fall sowohl unter Gründern als auch unter Investoren. 2022 belief sich der Anteil weiblicher Start-up-Gründerinnen auf gut ein Fünftel. Der Wert, ermittelt im Rahmen des 10. Deutschen Start-up-Monitors, wurde im Herbst bei seiner Vorstellung als „das erfreulichste Ergebnis überhaupt“ bezeichnet. Schließlich handelte es sich dabei erneut um einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr.

Letztendlich sei es aber doch „viel, viel zu wenig“, sagt Florian Nöll, Head of Corporate Development & Innovation bei PwC Deutschland und Mitgründer sowie langjähriger Chef des Start-up-Verbands im Ge­spräch mit der Börsen-Zeitung. „Man kann und muss unzufrieden damit sein, wie linear die Kurve über den Gründerinnen-Anteil verläuft.“ 2013 habe der Wert nur bei rund 10 % gelegen. Und wo rein weibliche Gründungsteams aufgrund der stark männlich dominierten Investorenlandschaft selbst heute noch neunmal weniger Wagniskapital einsammeln als reine Männerteams, dürfte diese Fehlallokation früher ebenfalls noch deutlich schlimmer gewesen sein.

Was langfristig aus solchen Diskrepanzen folgt, ist nicht einfach nur eine geringere Repräsentanz von Frauen in der Start-up- und Investorenszene, das fast komplette Fehlen von Frauen in deutschen Einhorn-Gründerteams und ganz allgemein „ungenutztes Potenzial“ für die Wirtschaft. Es verstärkt auch schlicht die ohnehin schon bestehende Vermögensungleichheit zwischen den Geschlechtern. Aus der diesjährigen Liste der reichsten Deutschen, die das „Manager Magazin“ jährlich veröffentlicht, hat das Online-Magazin „Gründerszene“ die zehn Tech-Gründerteams herausgehoben, die auf ein Privatvermögen „von je Hunderte von Millionen oder gar Milliarden Euro“ kommen. Es ist eine durch und durch männliche Liste, die bei den Gründern des B2B-Softwareunternehmens Celonis anfängt und bei den Gründern der Digital-Spedition Forto aufhört. „Das, was jetzt so eine Hitliste abbildet, sind die gesellschaftlichen Defizite von damals“, sagt Nöll. „Es zeigt aber auch: Wenn wir jetzt Dinge ändern, dauert es zehn Jahre, bis eine Wirkung eintritt.“

Start-up-Strategie soll helfen

Tatsächlich haben Banken, Universitäten, Stiftungen, Vereine und das Bundeswirtschaftsministerium in den vergangenen Jahren unzählige Projekte angeschoben, um mehr Frauen zur Gründung eines Unternehmens zu ermutigen. Wagniskapitalgeber wie Auxxo aus Berlin, F und F aus Österreich oder Sista aus Frankreich haben sich mit ihren Fonds zudem gezielt auf die Unterstützung von Gründerinnen spezialisiert. Und auch in die im Sommer beschlossene Start-up-Strategie der Bundesregierung ist die Stärkung von Gründerinnen und Diversität als eigenständiges Handlungsfeld eingeflossen. Der 2021 aufgelegte Zukunftsfonds im Volumen von 10 Mrd. Euro soll dazu als „Instrument“ dienen, wie es in der Strategie heißt. Außerdem sollen über das Förderprogramm „Exist“, das sich an potenzielle Existenzgründer in Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen richtet, gezielt mehr Gründerinnen gefördert werden. Die drei Investitionskomitees des Hightech-Gründerfonds, die final darüber entscheiden, ob in ein Start-up investiert wird oder nicht, sollen zudem geschlechterparitätisch besetzt werden. Aktuell beläuft sich der Frauenanteil in den Komitees „Industrial Tech“, „Life Science & Chemie“ sowie „Digital Tech“ noch auf 40 %, 20 % und 33 %.

Ein Thema, das den Diversitätsvorkämpfern in der Start-up-Branche besonders unter den Nägeln brennt, findet sich in der Start-up-Strategie nur auf dem vorletzten Platz der sechs prioritären Maßnahmen: die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wenn Frauen ein Unternehmen gründen, sind sie laut Start-up-Verband im Schnitt 36 Jahre alt − und befinden sich damit häufig auch in einer Phase der Familienplanung. Doch oft erschweren ihnen Hürden wie das aktuelle Angebot von Kinderbetreuungsplätzen oder die Ausgestaltung des Elterngeldanspruchs diese Doppelrolle.

„Die bestehenden Instrumente zur Familienförderung sind nicht auf die Lebensrealität von Selbstständigen ausgerichtet“, sagt Nöll. So ist es bei Selbstständigen beispielsweise der Gewinn der vergangenen zwölf Monate, der die Berechnungsgrundlage für das Elterngeld bildet. Gerade in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie kann der jedoch stark schwanken. Der Start-up-Verband fordert hier Nachbesserungen, genauso wie bei der Ausgestaltung der Mutterschutzregelungen und bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten.

Blindheit wirft Nöll der Politik aber nicht vor. „Es ist kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, sagt er. Mit Blick nach vorn sei er denn auch optimistisch. „Als wir letztes Jahr den Start-up-Monitor vorgestellt haben, haben wir gesagt, dass es nun das Ziel sein muss, den Gründerinnen-Anteil in zehn Jahren wieder zu verdoppeln. Das würde heißen: 2030 haben wir dann 40 % Gründerinnen.“

Eine Sache sei dafür aber entscheidend: „Wir Männer müssen verstehen, dass wir Teil des Problems sind“, so Nöll. Denn dass der Mensch bei Investitions- oder Personalentscheidungen − oft unbeabsichtigt − immer noch das eigene Geschlecht bevorzugt, ist längst nachgewiesen. So überrascht es Nöll auch nicht, dass laut der französischen Analysefirma Figures die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen in europäischen Start-ups sogar noch größer sind als der jeweilige nationale Durchschnitt. „Die Awareness dafür ist nicht da“, sagt Nöll. Hier brauche es mehr Transparenz. Auch das würde helfen, dem betont modernen Anspruch von Start-ups besser zu entsprechen.

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

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