Davos

Kritischer Wendepunkt für die Welt

Erstmals seit drei Jahren findet das Weltwirtschaftsforum in Davos wieder als reguläres Wintertreffen statt. Die Liste der zu diskutierenden Herausforderungen ist lang – und die Stimmung düster.

Kritischer Wendepunkt für die Welt

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Erstmals seit drei Jahren findet in der neuen Woche das Weltwirtschaftsforum in Davos wieder als reguläres Wintertreffen vor Ort statt. 2020 hatte sich die Politik- und Wirtschaftselite bislang letztmalig Mitte Januar in dem idyllischen Schweizer Skiort versammelt – nur wenige Wochen vor den weltweiten Covid-Lockdowns. 2021 fand das Treffen dann rein virtuell statt und 2022 wurde es wegen der Pandemie auf den Frühsommer verlegt. Nächste Woche nun reisen nach Angaben der Organisatoren mehr als 2700 Vertreter aus 130 Ländern nach Davos.

Jenseits der Freude über die Rückkehr zu alten Traditionen und über das persönliche Wiedersehen besteht bei dem Forum von Montag bis Freitag, 16. bis 20. Januar, aber wohl wenig Grund zu feiern – findet das Treffen doch in extrem schwierigen und sehr unsicheren Zeiten statt. Ukraine-Krieg, Inflation, Rezessionsgefahr, Energiekrise, Klimawandel, Ernährungskrise – die Liste der aktuellen Krisen und Herausforderungen ist lang. „Die Welt befindet sich an einem kritischen Wendepunkt. Die schiere Zahl der aktuellen Krisen erfordert ein mutiges gemeinsames Handeln“, heißt es vonseiten der Organisatoren. „Cooperation in a Fragmented World“ lautet denn auch das diesjährige Motto der Tagung – zu Deutsch: „Zusammenarbeit in einer zersplitterten Welt“.

Wie ernst viele die Lage einschätzen, hat diese Woche auch der sogenannte Global Risks Report noch einmal gezeigt. Diese Risikoanalyse veröffentlicht das World Economic Forum (WEF) alljährlich vor dem Treffen und sie ist die Grundlage für die Debatten in Davos. An der diesjährigen Umfrage haben rund 1200 Experten und Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik teilgenommen. Und das Bild, das sie entwerfen, ist düster wie nie. Die Experten sagen „ein unsicheres und turbulentes Jahrzehnt voraus“. Das WEF spricht von „Polykrisen“, die sich gegenseitig verstärken könnten.

Auf Sicht von zwei Jahren sehen die Experten die Krise bei den Lebenshaltungskosten, Naturkata­strophen und extreme Wetterereignisse sowie geoökonomische Konfrontationen als die größten Risiken an. Auf Sicht von zehn Jahren dominieren Klima- und Umweltthemen. Scheitern bei der Abmilderung des Klimawandels, Scheitern bei der Anpassung an den Klimawandel sowie Naturkatastrophen und extreme Wetterereignisse stehen da ganz oben auf den traditionellen Listen der Top-10-Risiken.

„Bei dieser bereits giftigen Mischung von bekannten und steigenden weltweiten Risiken könnte ein neuer Schock – durch eine neuen militärischen Konflikt oder ein neues Virus – unbeherrschbar sein“, sagt Saadia Zahidi, Managing Director des WEF. „Das Klima und die menschliche Entwicklung müssen im Mittelpunkt des Interesses der führenden Politiker der Welt stehen, auch wenn sie die aktuellen Krisen bekämpfen. Zusammenarbeit ist der einzige Weg nach vorn.“ Zugleich ist aber die Sorge vor einem Zurückdrehen der Globalisierung groß.

Zahidi ist auch besorgt, dass die Welt in einen „Teufelskreis“ geraten könnte. „Nur sehr wenige Führungspersönlichkeiten der heutigen Generation haben diese Art von traditionellen Risiken im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln und Energie erlebt, während sie gleichzeitig mit den kommenden Schulden und dem Klima kämpfen.“ Die befragten Experten sagen voraus, dass sich in der neuen ökonomischen Ära die Kluft zwischen reichen und armen Ländern weiter vergrößern wird – und sogar „der erste Rückschritt in der menschlichen Entwicklung seit Jahrzehnten“ drohe.

Zu jenen, die genau das verhindern möchten und nicht zuletzt deshalb in Davos dabei sein werden, gehört Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Zwei andere, ganz wichtige Namen fehlen indes auf der Gästeliste: US-Präsident Joe Biden und Chinas Präsident Xi Jinping.

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