Grüne Investitionen

100 Bill. Dollar für Net Zero nötig

Laut einer Studie von BNY Mellon und Fathom Consulting sind Investitionen von 100 Bill. Dollar nötig, damit die Weltwirtschaft bis 2050 das Netto-null-Ziel erreicht. Fast die Hälfte der Investitionen sollte in Energieerzeuger und Versorger fließen.

100 Bill. Dollar für Net Zero nötig

Von Werner Rüppel, Frankfurt

Der Vermögensverwalter BNY Mellon Investment Management hat in Zusammenarbeit mit Fathom Consulting die umfangreiche Studie „Net Zero by 2050“ vorgelegt. Die Ergebnisse dieser Studie liegen der Börsen-Zeitung exklusiv vor. Aus der Studie geht hervor, dass die Weltwirtschaft deutlich hinter dem Zeitplan zurückliegt, um das im Pariser Klimaabkommen von 2016 festgelegte Ziel einer Netto-null-Emission im Jahr 2050 zu erreichen. Doch hat die Studie auch eine ausgesprochen positive Botschaft: Diese Lücke kann mit 100 Bill. Dollar an „grünen“ Investitionen im Vergleich zur Variante des „Business as usual“ (BAU) geschlossen werden.

Obwohl grüne Investitionen in den vergangenen Jahren zunehmen, zeigt die Studie deutlich auf, dass Regierungen, Vermögensverwalter und Unternehmen mehr tun müssen, um das Netto-null-Emissions-Ziel zu erreichen. Die 100 Bill. Dollar entsprechen etwa 15% der gesamten weltweiten Investitionen in den kommenden 30 Jahren oder etwa 3% des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im gleichen Zeitraum. Darüber hinaus müssen allein die Unternehmen des S&P 500 bis 2050 rund 12 Bill. Dollar an grünen Investitionen tätigen, um auf Kurs zu bleiben.

Bei diesen Investitionen gehe es nicht um die Kosten, um den Klimawandel aufzuhalten, es gehe vielmehr um die Abkehr von einer Wirtschaftstätigkeit, die große Mengen an Treibhausgasemissionen verursache. Je länger der Übergang verzögert werde, desto höhere Ausgaben würden erforderlich sein. Es gebe erhebliche Hürden, die die Welt auf dem Weg zum Netto-null-Effekt überwinden müsse.

„Das Erreichen von Netto-Null bis 2050 erfordert hohe Investitionen in die Energiewende, aber es ist machbar. Wenn wir es richtig bewerkstelligen, wird der Nutzen für die Gesellschaft und die Anleger enorm sein“, erklärt Shamik Dhar, Chefvolkswirt von BNY Mellon, der zusammen mit Brian Davidson, Leiter des Bereichs Klimaökonomie bei Fathom Consulting, die Studie verfasst hat. „Investitionen sind jedoch nur eine Seite der Medaille – es bedarf umfassenderer politischer Maßnahmen, um das Tempo der Dekarbonisierung zu beschleunigen. So wurde der Ruf nach einer globalen Kohlenstoffsteuer laut; wir halten einen koordinierten Ansatz jedoch für unwahrscheinlich. Die Regierungen müssen vielmehr Investitionen des Privatsektors fördern und Anreize schaffen sowie gleichzeitig die Risiken der Energiewende durch politische Maßnahmen abmildern.“

Brian Davidson erklärt: „Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels sind nach wie vor nur unzureichend bekannt. Diese Studie trägt dazu bei, Licht ins Dunkel zu bringen, und wird Unternehmen, Investoren, politischen Entscheidungsträgern und anderen Interessengruppen helfen, dieses wichtige Thema besser zu verstehen.“

Mit der Zahl von 100 Bill. Dollar werden die Investitionen, um Net Zero bis 2050 zu erreichen, quantifiziert. Natürlich handelt es sich dabei um eine Schätzung. In der Studie wird eine Bandbreite von 61,4 bis 166,1 Bill. Dollar genannt, die sich aus unterschiedlichen Modellannahmen ergeben. Doch ist immerhin eine klare Zahl genannt, die zudem erreichbar erscheint.

Historische Dimension

In dem Maße, wie die Welt Ressourcen von der Produktion von umweltschädlichen Treibhausgasen hin zu sauberem Kapital verlagert, hat dies das Potenzial, die größte Umschichtung von Kapital in der Geschichte zu werden, sagen Dhar und Davidson. Diese Verlagerung könnte genauso, wenn nicht sogar noch mehr, umwälzend sein wie der US-Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg oder Chinas Aufstieg in den 1990er/2000er Jahren. Nicht nur für die Gesellschaft, auch für weitsichtige Investoren könne der Nutzen beträchtlich sein. Jeder Übergang, vor allem einer von dieser Größe und diesem Ausmaß, berge nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Eine Analyse des Investitionsbedarfs nach Sektoren und Ländern zeige, dass die Netto-null-Umstellung informierten Investoren Chancen bieten sollte.

Die Unterschiede hinsichtlich der einzelnen Branchen seien beträchtlich. Energieproduzenten und Versorger sind laut der Studie durch den Klimawandel am stärksten betroffen und benötigten am meisten Kapital für die Dekarbonisierung. Es sei von entscheidender Bedeutung, mehr als die Hälfte der grünen Investments in diese Wirtschaftszweige zu lenken, um die Ziele bis 2050 zu erreichen. Dies obwohl die Marktkapitalisierung dieser Branchen nur 6% der gesamten Kapitalisierung der globalen Märkte ausmache.

Im Zuge der Energiewende häuften diese Branchen zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit Vermögenswerte an, die wertlos werden. In der Studie wird ein Wert von 20 Bill. Dollar an solchen „Stranded Assets“ prognostiziert, der umso größer werde, je länger sich die Energiewende verzögert. Um das finanzielle Risiko für Investoren zu begrenzen, müssten die Unternehmen diese Kosten ermitteln und für die dadurch entstehenden Kosten aufkommen.

Chancen für Investoren

Die Investitionen über 100 Bill. Dollar würden Anlegern über viele Branchen und Regionen hinweg Chancen eröffnen. Zulieferer, die Energieproduzenten und Versorger die Mittel zur Dekarbonisierung zur Verfügung stellen, werden laut der Studie den größten Nutzen haben. Zu den größten Profiteuren dürften demnach Unternehmen gehören, die Batteriespeicher, Netzinfrastruktur und Rohrleitungen für die Kohlenstoffdioxidspeicherung („Carbon Capture“), Wasserstoff und Erdgas herstellen. Die breite Einführung von Wasserstoff als Brennstoff und als Mittel zur Stromerzeugung könne bedeuten, dass ein Großteil der bestehenden Gaskraftwerks- und Pipeline-Infrastruktur einfach umgewidmet wird.

„Einige der niedrig hängenden Früchte sind noch nicht gepflückt worden“, stellt die Studie fest. „Ein Beispiel ist die Umstellung von der Kohleverstromung auf erneuerbare Energien: Die Finanzierung dieser Umstellung kann weitreichende Auswirkungen haben, einschließlich Kosteneinsparungen für Haushalte bei ihren Stromrechnungen, was zu einem größeren sozialen Nutzen führt. Solche Investitionen sind nicht nur für das Klima sinnvoll, sondern auch für die Wirtschaft.“

Auch Unternehmen, die grüne Investitionsgüter an Haushalte liefern, würden profitieren. Unterm Strich würden nicht alle der 100 Bill. Dollar der grünen Investitionen von börsennotierten Aktien oder dem Unternehmenssektor getätigt werden, so die Studie. „Sie werden vielleicht einen großen Teil der schweren Arbeit leisten, aber ein Großteil davon wird wahrscheinlich von Haushalten und Regierungen geleistet werden, zum Beispiel durch den Kauf von Elektroautos, neue, umweltfreundliche Heizsysteme und die Isolierung ihrer Häuser und Gebäude. Die Mittel dafür sollten aus einer Reihe von Quellen, darunter Einkommen, Steuereinnahmen und Darlehen, kommen.“ Eine kluge und weitsichtige Politik könne diesen Prozess erleichtern. Nicht zuletzt könnten Investitionen in neue Technologien und grünes Kapital helfen, Kosten zu senken.

China im Fokus

„Als verantwortungsvolle Investoren und Manager des Kapitals unserer Kunden sehen wir einen großen Wert in Unternehmen mit glaubwürdigen Plänen, wie sie die Energiewende meistern wollen“, erklärt Kristina Church, Global Head of Responsible Strategy bei BNY Mellon Investment Management. „Für Vermögensverwalter ist ein kontinuierliches Engagement mit dem öffentlichen und privaten Sektor von entscheidender Bedeutung, um einen fairen Übergang zu schaffen.“ Das Kapital aus Unternehmen abzuziehen sei das allerletzte Mittel, wenn ein Unternehmen die notwendige Umstrukturierung im Sinne der Energiewende nicht vollziehe. „Unsere Investitionen hingegen sollen sicherstellen, dass das Kapital dorthin fließt, wo es am dringendsten benötigt wird und wo die größten Chancen für Investoren liegen.“

Geografisch gesehen wird mehr als die Hälfte der 100 Bill. Dollar in den Schwellenländern und fast ein Viertel allein in China benötigt, stellen Dhar und Davidson heraus. Der Anteil der weltweiten grünen Investitionen, die in den Schwellenländern erforderlich seien, um Netto-Null zu erreichen, ist größer als der derzeitige Anteil dieser Märkte am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Da die Dekarbonisierung dort im Vergleich zu den fortgeschrittenen Volkswirtschaften billiger sei, könne die Energiewende in den Schwellenländern zu größeren Renditen führen, sowohl finanziell als auch ökologisch.

China brauche mehr grüne Investitionen als jedes andere Land. „Hierfür gibt es einige Gründe. Erstens ist das Land groß und erwirtschaftet bereits mehr als 15% des weltweiten BIP“, so die Studie. „Zweitens wird es von heute bis 2050 schneller wachsen als die meisten Volkswirtschaften, und es werden mehr Investitionen zur Unterstützung dieses Wachstums erforderlich sein. Drittens: Ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Stromerzeugung in China aus fossilen Brennstoffen und das Land hat auch eine überdurchschnittliche CO2-Intensität des BIP.“

Auch die USA sind gefragt

Jeder Dollar an grünen Investitionen in einem Emerging Market könne mehr Dekarbonisierung erreichen als der entsprechende Betrag in einer fortgeschrittenen Wirtschaft. Neben China würden auch Länder wie Indien, Südkorea und Indonesien voraussichtlich schneller wachsen als der Weltdurchschnitt und verwendeten zugleich derzeit viel Kohle für die Stromerzeugung. Folglich benötigten sie einen größeren Anteil an grünen Investitionen als ihr derzeitiger Anteil des globalen BIP.

Doch müssen nicht allein Investitionen in den Schwellenländern erfolgen, um das Netto-null-Ziel im Jahr 2050 zu erreichen. Auch die Industrieländer sind laut der Studie gefragt. Etwa ein Drittel der Investitionen müssten in den USA und der Europäischen Union getätigt werden. So entfallen, um Net Zero im Jahr 2050 zu erreichen, zwar 22,6% der dafür weltweit notwendigen Investitionen auf China, aber auch 17,4% auf die USA. Dahinter folgen Indien mit 6,4%, Japan mit 4,0% und Deutschland mit 3,5%. Die Anteile von Großbritannien, Frankreich und Italien liegen bei 2,8%, 2,8% und 2,2%.

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