Fokus auf den Heimatmarkt

Home Bias kostet deutsche Investoren Milliarden

Deutsche institutionelle Investoren gewichten europäische Aktien in ihren Portfolios unverhältnismäßig hoch. Das birgt laut einer aktuellen Studie der Frankfurt School erhebliche Renditenachteile.

Home Bias kostet deutsche Investoren Milliarden

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Für institutionelle Investoren in Deutschland rächt sich der starke Fokus auf den Heimatmarkt. Denn sie allokieren Euroland-Aktien in ihren Portfolios mit 43%, obwohl die Titel im MSCI World lediglich ein Gewicht von 10% einnehmen – die Folge sind erhebliche Renditenachteile gegenüber einem international diversifizierten Portfolio. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Frankfurt School of Finance im Auftrag von Nomura Asset Management, die der Börsen-Zeitung vorab vorliegt.

„Der Home Bias kostet die Investoren einerseits Rendite und erhöht andererseits die Risiken“, sagt Olaf Stotz, Professor für Asset Management und Pension Economics an der Frankfurt School. Das durchschnittliche institutionelle Aktienportfolio habe im vergangenen Jahrzehnt eine jährliche Rendite von 10,53% erzielt, wie eine Schätzung auf Basis von Statistiken der Deutschen Bundesbank ergebe. Demgegenüber erreichte das Weltportfolio eine Performance von 11,68% per annum.

Milliarden verschenkt

Zusätzlich weise das durchschnittliche institutionelle Portfolio ein höheres Kursschwankungsrisiko auf. Rechne man diese Risikoerhöhung in Renditepunkte um, ergebe sich ein zusätzlicher Opportunitätsverlust von 1,39 Prozentpunkten. Insgesamt habe der institutionelle Anleger also im Durchschnitt auf 2,54 Prozentpunkte an Rendite verzichten müssen. Nehme man an, dass institutionelle Investoren rund 600 Mrd. Euro in Aktien investierten, dann entgingen ihnen im Schnitt pro Jahr rund 15 Mrd. Euro an Gewinnen.

Der Home Bias sei auf eine verzerrte Risikowahrnehmung der Anleger zurückzuführen. Laut einer Umfrage, die Nomura im November vorgenommen habe, rechneten drei Viertel der institutionellen Investoren in Asien mit höheren Kursschwankungen als in Deutschland, dies sei durch die empirisch feststellbare Volatilität nicht gedeckt. Zudem schätzten Investoren die Verfügbarkeit von Informationen und die eigene Kompetenz bei der Verarbeitung dieser im Heimatmarkt höher ein.

Insbesondere in Asien sei das Untergewicht deutscher Investoren eklatant. Der Home Bias wird laut Stotz dadurch verstärkt, dass asiatische Werte an den globalen Aktienmärkten ohnehin unterrepräsentiert seien. „China und Indien kommen gemeinsam auf 6 bis 7% der Weltmarktkapitalisierung, gegenüber dem Anteil an der globalen Bevölkerung und Wirtschaftsleistung ist das eine deutliche Untergewichtung“, sagt der Wissenschaftler. Gerade diese beiden Staaten verfügten über ein enormes Humankapital, das die Wachstumsdynamik noch antreiben werde. „In der Folge werden sich die Kapitalmärkte entwickeln und stärker an die Bevölkerungsverhältnisse anpassen“, prognostiziert Stotz.

Generationenwandel hilft

Über die vergangenen zehn Jahre sei der Home Bias ausgehend vom Niveau von 45% zurückgegangen. „Dies dürfte auf den Generationenwandel in den Entscheidungsgremien zurückzuführen sein. Dort sind Menschen nachgerückt, die eine internationalere Ausbildung genossen haben, globale Diversifikationsmöglichkeiten als Geschenk verstehen und somit für ein graduelles Umdenken ihrer Institutionen sorgen“, führt Stotz aus. Der Trend zu einer stärkeren Diversifikation werde sich daher fortsetzen.

„Selbst in der Corona-Pandemie, in deren Zuge wieder stärkere nationalistische Tendenzen aufgekommen sind, hat sich der Home Bias nicht auffällig nach oben bewegt“, sagt Gerhard Engler, Geschäftsführer von Nomura Asset Management. Die vorangegangene Phase der Globalisierung habe dazu geführt, dass entlegenere Märkte für europäische Investoren besser wahrnehmbar seien. „Insbesondere die Entscheidung für Japan fällt vielen Anlegern aufgrund der Parallelen zur deutschen Industriekultur und des sicheren Rechtssystems inzwischen leichter“, betont Engler. So sei die Differenz zwischen dem Anteil Japans an der Weltmarktkapitalisierung und der Gewichtung in deutschen Portfolios in den vergangenen 20 Jahren von 4,5 auf 3 Prozentpunkte gesunken. „Allerdings werden die Chancen in Japan immer noch unterschätzt“, sagt der Anlagestratege.

Wachse das Gewicht asiatischer Werte in internationalen Indizes, werde dies zu höheren Zuflüssen passiv verwalteter Mittel führen. „Allerdings lassen sich die Vorteile der Region durch aktives Management besser nutzen“, sagt Engler. So gebe es in Asien viele innovative Small und Mid Caps, die in der Gesamtbetrachtung eine untergeordnete Rolle spielten. Der Home Bias trage dazu bei, dass Investoren Chancen gerade bei kleineren Werten verpassten.

Die Untersuchung zeigt aber auch, dass europäische institutionelle Anleger auch den US-Aktienmarkt in ihren Portfolios unterproportional gewichteten. „Die Differenz zwischen dem Anteil amerikanischer Werte an der Weltmarktkapitalisierung und ihrer Allokation in deutschen Portfolios beträgt rund 20 Prozentpunkte, dieses Missverhältnis hat sich in den vergangenen 20 Jahren nicht verringert“, sagt Stotz.

Dabei stellt sich indes die Frage, wie groß der Spielraum institutioneller Investoren, den Home Bias zu verringern, überhaupt ist. „Natürlich gibt es eine Fülle von Restriktionen, die Anlagen im Ausland erschweren“, räumt Engler ein. Dazu zählten regulatorische Auflagen, aber auch mit Kunden abgestimmte Anlagekriterien. Im Aggregat betrachtet schöpften deutsche Institutionen ihre Anlagemöglichkeiten im Ausland aber bei weitem nicht aus.

Unterdessen verweisen einige Assetmanager aber auch auf einen rationalen Home Bias unter ESG-Gesichtspunkten. So unterschieden sich europäische Nachhaltigkeitsrichtlinien von jenen in anderen Erdteilen. Es spare also Zeit und Aufwand, in heimische ESG-Anlagen zu investieren. „Klimarisiken werden im asiatischen Raum von europäischen Investoren als größer eingeschätzt – dabei gibt es keinen objektiven Vergleichsmaßstab, der diese Annahme untermauert“, sagt Stotz.

Neue Chancen in China

Kurzfristig könnte sich der Home Bias europäischer Investoren indes als konstruktiv herausstellen. So hat die Regulierungsoffensive Pekings im heimischen Tech-Sektor sowie die Krise an Chinas Immobilienmarkt die Börsen der Volksrepublik 2021 schwer belastet. Ein wirtschaftlicher Post-Corona-Aufschwung könnte zudem den zyklisch geprägten europäischen Aktienmarkt stützen. „Natürlich bietet auch Europa langfristig Chancen, das Wachstumspotenzial in China und den umliegenden Schwellenländern ist aber ungleich höher“, sagt Engler. Zwar besäßen europäische Unternehmen dabei Partizipationschancen, allerdings entstünden diese vor allem in alten Industrien. „Im Technologiesektor haben sich chinesische Konzerne eine Vormachtstellung erarbeitet“, betont der Nomura-Geschäftsführer. Die Regulierungsoffensive könne sich langfristig sogar positiv auswirken, da Peking so Monopolen vorbeuge. Japan habe indes kreative Lösungen für sein Problem einer überalterten Gesellschaft gefunden, zum Beispiel in der Robotik oder der Telemedizin, und könne diese in die gesamte Welt exportieren.

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