Devisen

Langgezogener Boom treibt den Dollar an

Der langgezogene, dafür flacher als erwartete Boom entfaltet starke Auswirkungen. Denn er trifft weltweit auf Lieferketten, die nach der schnellen, durch staatliche Unterstützungsprogramme getriebenen Erholung vom Corona-Einbruch 2020 schon sehr angespannt sind.

Langgezogener Boom treibt den Dollar an

Von Wolfgang Kiener*)

Nach dem Wahlsieg von Präsident Joe Biden und seiner Demokraten vor rund einem Jahr war von manchen Auguren ein riesiger US-Konjunkturboom für das Jahr 2021 vorhergesagt worden, bei dem sich fiskalische Stimulierungsmaßnahmen und Konsum-Nachholeffekte mit dem Nachlassen der Corona-Pandemie kumulieren würden. Im Endeffekt ließ der Boom dann bei anhaltender Pandemie etwas auf sich warten bzw. er trat nicht so sehr in kumuliert zugespitzter, sondern eher in zeitlich gestreckter Form auf. Zwischendurch wurde bereits die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt Nachholbedarf beim Konsum gebe, bis die Amerikaner in den letzten Monaten mit dem Auslaufen von Unterstützungsmaßnahmen wie den Sonder-Arbeitslosenhilfen mehr auszugeben begannen, was zu einer rückläufigen Sparquote beitrug.

Starke Auswirkungen

Dieser langgezogene, flachere Boom entfaltet nun jedoch starke Auswirkungen. Denn er trifft weltweit auf Lieferketten, die nach der schnellen, durch staatliche Unterstützungsprogramme getriebenen Erholung vom Corona-Einbruch 2020 schon sehr angespannt sind. Zudem haben sich während der Pandemie viele ältere Amerikaner vom Arbeitsmarkt in die Rente verabschiedet und die verringerte Einwanderung seit der Trump-Präsidentschaft trägt ebenfalls dazu bei, dass in den USA Arbeitskräftemangel herrscht. Die Inflation zieht daher flott an und übertrifft derzeit immer wieder die Konsensschätzungen. So gibt es auch aus der Fed Stimmen, die eine Beschleunigung des eben erst begonnenen „Taperings“ (Reduzierung) der QE-Anleihekäufe und frühere und schnellere Zinserhöhungen fordern. Der Dollar, der im Zuge der Überwindung des sommerlichen Tiefs bei US-Staats­anleiherenditen bereits durch Eindeckungskäufe auf die – Mitte 2021 noch hohen – offenen Dollar-Shortpositionen gestärkt worden war, wertete vor diesem Hintergrund zuletzt stark auf.

Gebremster Aufschwung

Der Euro hingegen, den die aufholende Konjunktur im Euroraum zuvor lange gestützt hatte, leidet aktuell stark unter der laufenden Corona-Welle in etlichen Ländern des Euroraums, welche den Wirtschaftsaufschwung temporär deutlich bremsen wird. Zudem sind marktbasierte Inflationserwartungen für den Euroraum, passend zum tatsächlichen Anstieg der Kerninflation, in den letzten Monaten auf ein Niveau von knapp 2% gestiegen. Das liegt zwar weiter unter den Erwartungen für die USA, ist aber der höchste Wert seit über fünf Jahren. Dennoch wiederholt die EZB gebetsmühlenartig, sie werde auf absehbare Zeit keine Anhebung der negativen Leitzinsen vornehmen. Die Realzinsen im Euroraum befinden sich dementsprechend nahe an Allzeittiefs. Auf Seiten des Euro scheint somit aktuell viel Negatives im Wechselkurs eingepreist zu sein.

In dieser Gemengelage ist in der kurzen Frist schwer vorherzusagen, welches Ausmaß die Dollar-Stärke annehmen wird. Die Amerikaner könnten ihre Sparquote so absenken, dass sowohl Einzelhandelsumsätze als auch die Inflation zunächst weiter über den Erwartungen liegen werden. Zudem sind erneute starke Stellenzuwächse auf dem Arbeitsmarkt möglich, welche wohl die Erwartungen an eine schnelle Straffung der Fed-Geldpolitik anheizen würden. Ferner ist auch das Risiko nicht ganz auszuschließen, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt, deren Be­kämpfung mit so starken Zinserhöhungen einherginge, dass der Dollar vorübergehend noch viel weiter aufwerten würde – vergleichbar zu den 80er Jahren unter Fed-Chef Paul Volcker. Hiervon gehen wir jedoch nicht aus, da sich damals diese Spirale über Jahre hinweg in den 70ern hochgeschaukelt hatte, in denen die Inflationsbekämpfung vernachlässigt worden war. Allein die erneute Nominierung Jerome Powells zum Fed-Chef durch Präsident Biden, anstelle der taubenhafteren Kandidatin Lael Brainard, ist schon ein Zeichen dafür, dass die Inflation unpopulär ist und auch die Regierung unter Druck steht, dagegen vorzugehen.

Fiskalpakete stützen

Wir rechnen damit, dass sich die US-Sparquote nächstes Jahr auf ermäßigtem Niveau stabilisiert. Dann werden zwar Präsident Bidens längerfristig angelegte Fiskalpakete (das kleinere für Infrastruktur, das größere für diverse andere Staatsausgaben) die Konjunktur stützen, im Vergleich zu diesem Jahr nimmt der Fiskalimpuls aber deutlich ab. Die nur knappen Mehrheiten der Demokraten im US-Kongress hatten Biden be­reits gezwungen, u.a. aufgrund von Inflationssorgen moderater Demokraten, sein größeres Fiskalpaket erheblich abzuspecken. Jüngste regionale Wahlergebnisse weisen außerdem auf das Risiko hin, dass die Demokraten ihre Mehrheiten bei den Zwischenwahlen im November verlieren könnten und die Aussichten auf weitere Fiskalpakete gänzlich schwinden würden. Vor diesem Hintergrund sollten die Engpässe in der „überspannten“ US-Wirtschaft und damit auch der Inflationsdruck im Laufe von 2022 nachlassen. In einzelnen, aktuell von übertriebenen Preissteigerungen betroffenen Segmenten kann es dabei durchaus auch zu sinkenden Preisen kommen. Angesichts dessen dürften die Erwartungen an baldige und schnelle Zinserhöhungen enttäuscht werden – wir rechnen erst Ende 2022 mit einem ersten Zinsschritt der Fed.

Verringerte Käufe

Im Euroraum hingegen erwarten wir, nach der Überwindung der laufenden Corona-Welle, dass die EZB ihre QE-Anleihekäufe nächstes Jahr erheblich verringert. Das für nächstes Jahr angekündigte Ausweisen der Inflation aus selbstgenütztem Wohneigentum, welche längerfristig in die Inflationsmessung aufgenommen werden soll, wird zwar zunächst wohl ohne direkte Konsequenzen für die Geldpolitik bleiben. Es dürfte aber deutlich machen, dass das EZB-Inflationsziel von 2% p.a. mittelfristig in Reichweite ist.

Wenn auf diese Weise insgesamt zunehmend klar wird, dass sich in den kommenden Jahren kein so großer US-Zinsvorsprung gegenüber dem Euroraum aufbauen sollte, wie es an den Märkten derzeit erwartet wird, ist im Laufe von 2022 mit einer sukzessiven Dollar-Abwertung bis auf über 1,20 Euro je Dollar zu rechnen. Jeder auch noch so langgezogene (US-)Konjunkturboom nimmt irgendwann sein Ende – und damit auch die ihn begleitende, zuletzt sehr ausgeprägte Dollar-Stärke.

*) Wolfgang Kiener ist Senior Analyst im Investment Research der Bayerischen Landesbank.

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