Baustoffkonzern

Saint-Gobain gilt als Megatrend-Profiteur

Der französische Baukonzern Saint-Gobain gilt unter Bondmarktstrategen als gut aufgestellt, um von künftigen Megatrends organisch und durch Zukäufe zu profitieren.

Saint-Gobain gilt als Megatrend-Profiteur

Von Jens Münstermann*)

Im August des laufenden Jahres hat Saint-Gobain mit den Laufzeiten 8/25, 6/28 und 8/32 gleich drei Anleihen mit einem Volumen von je 500 Mill. Euro begeben. Die Anleihen wurden mit Kupons von 1,625%, 2,125% und 2,625% ausgestattet. Die zugehörigen Emissionsspreads beliefen sich auf 50 Basispunkte (BP), 80 BP und 110 BP. Aktuell notieren die drei Anleihen mit einem jeweils engeren Spread von 30 BP, 71 BP und 103 BP. Nichtsdestotrotz liegen die Kurse der Anleihen mit rund 95%, 91% und 86% mittlerweile deutlich unter pari. Die zu erwartenden Renditen der drei Anleihen sind auf 3,4%, 3,9% und 4,4% gestiegen.

Der Sektor Construction & Materials nimmt innerhalb des iBoxx EUR No-Financials eine geringe Indexgewichtung ein. Gemessen am Marktwert lag diese zuletzt bei rund 2%. Innerhalb des Bausektors nimmt der börsennotierte französische Baustoffkonzern Saint-Gobain mit einer Gewichtung von nahezu 20% eine führende Rolle ein. Es folgen mit Holcim und Heidelberg Cement zwei weitere Konzerne aus dem Bereich Materials mit vergleichsweise großen Gewichtungen von rund 19% und 15%.

Ausgeglichene Fälligkeiten

Saint-Gobain verfügt über ein ausgeglichenes Fälligkeitsprofil. Von den zwölf Euro-Benchmark-Anleihen im Volumen von 8,2 Mrd. Euro sind zwei Anleihen im Volumen von zusammen 1,25 Mrd. Euro 2023 fällig. In acht der nächsten zehn Jahre sind Anleihen fällig. Wir erwarten dementsprechend, dass Saint-Gobain über die nächsten Jahre hinweg regelmäßig am Anleihemarkt tätig wird.

Die Sekundärmarktkurve von Saint-Gobain verortet den Baustoffkonzern im Bereich Investment Grade. Dabei orientieren sich die Bond-Spreads der kürzer laufenden Anleihen an der Marktkurve A– und die der längeren Laufzeiten an der Marktkurve BBB+. Der Fünf-Jahres-CDS richtet sich dagegen an der Marktkurve BBB– aus. Er notiert aktuell mit 162 BP deutlich weiter als der Bond mit vergleichbarer Laufzeit (10/2027), dessen Spread bei 58 BP liegt. Der Fünf-Jahres-CDS hat sich gegenüber dem Jahrestief von 36 BP zu Beginn des Jahres mehr als vervierfacht. Er notiert damit oberhalb des 20-jährigen Durchschnitts von 92 BP, aber weit unterhalb des in der Finanzkrise Ende 2008 markierten Höchststands von 538 BP.

Im Jahr 2020 stieg der Fünf-Jahres-CDS zu Beginn der Corona-Pandemie zwischenzeitlich auf ein Niveau von 137 BP. Lockdowns hatten dazu geführt, dass die Arbeiten auf bestehenden Baustellen in vielen Ländern Europas, inklusive Frankreich, dem Heimatmarkt von Saint-Gobain, vorübergehend eingestellt wurden. Die europäische Bautätigkeit erholte sich jedoch schnell von diesem Einbruch.

Saint-Gobain zählt mit einem Umsatz von 44 Mrd. Euro (2021) zu den größten Baustoffkonzernen der Welt. Die wesentlichen Ge­schäftstreiber umfassen Renovierungen, Wohnungsneubau und den Neubau von Nichtwohngebäuden. Die regionalen Schwerpunkte lagen im abgelaufenen Geschäftsjahr mit Umsatzanteilen von 26% und 38% im Heimatmarkt Frankreich und Westeuropa. Nordamerika folgte mit einem Anteil von rund 15%. Die Emerging Markets vereinten insgesamt einen Umsatzanteil von 21% auf sich.

Die Baubranche unterliegt allgemein einer hohen Zyklizität. Das aktuelle Umfeld belastet mit Rezessionssorgen, Zinsanstiegen, gestörten Lieferketten und hohen Preissteigerungen bei Rohstoffen und Energie. Schnell steigende Baukosten treffen in Abhängigkeit von den Rahmenvereinbarungen (z. B. Kosten-Plus-Verträgen, Preisgleitklauseln oder Festpreisvereinbarungen) Bauzulieferer, Projektentwickler, Bauunternehmen, Subunternehmer und Investoren. Damit steigen die Risiken von Projektverschiebungen und Stornierungen. In Deutschland, dem am Bauvolumen gemessenen größten Baumarkt in Europa, brach im Juli 2022 der Auftragseingang im Wohnungsbau im Jahresvergleich um 19% ein.

Preiserhöhungen voraus

In Europa hat der Ukraine-Krieg eine Energiekrise ausgelöst. Saint-Gobain beziffert die Energiekosten des Jahres 2021 mit 1,5 Mrd. Euro oder 3% des Umsatzes. Der Konzern avisierte mit dem Halbjahresbericht im Juli für das laufende Jahr 2022 einen Anstieg bei Energie und Materialkosten von rund 3 Mrd. Euro. Zu diesem Zeitpunkt berichtete der Konzern auch, dass rund 80% der 2022 und 60% der 2023 zu beziehenden Gas und Strommengen gehedgt seien. Saint-Gobain ist für 2022 entsprechend zuversichtlich, die Steigerungen bei Material- und Energiekosten durch Hedging und Preiserhöhungen auszugleichen. Höhere Energiepreise und die absehbare Branchenabkühlung werden sich bei Saint-Gobain zeitversetzt umso deutlicher negativ bemerkbar machen.

Saint-Gobain hat Ende 2018 ein Transformationsprogramm aufgelegt und im Zuge dessen Unternehmen mit einem Umsatz von rund 6,2 Mrd. Euro und einer Ebitda-Marge von unter 5% abgegeben. Gleichzeitig wurden Firmen mit einem Umsatz von rund 3,5 Mrd. Euro und einer Ebitda-Marge von rund 20% erworben. Im Rahmen der Unternehmensstrategie „Grow & Impact“ plant Saint-Gobain bis 2025 Unternehmen für einen Betrag von (netto) 5 Mrd. Euro zu akquirieren. Wachstum soll unter anderem im Bereich der nachhaltigen Leichtbauweise und in Nordamerika sowie Asien erfolgen.

Dazu passend hat Saint-Gobain jüngst den Abschluss der Übernahme von GPC Applied Technologies bekannt gegeben. Das Übernahmeangebot des vormals in den USA börsennotierten Bauchemieherstellers im Wert (EV) von 2,3 Mrd. Dollar wurde bereits 2021 abgegeben. Seinerzeit wurde für GPC für 2022 ein Adjusted Ebitda von 170 Mill. Euro erwartet. Das angegebene Übernahmemultiple lag bei 13,2x vor Synergien und 8,8x inklusive der nach fünf Jahren erwarteten Synergien von jährlich 85 Mill. Euro. Der erwartete Einfluss auf den Leverage von Saint-Gobain wurde mit geringen 0,3x Net Debt/Ebitda angegeben. Saint-Gobain verfolgt zur Sicherung eines IG-Status einen Leverage von 1,5x bis 2x.

Höheres Ebitda

Saint-Gobain berichtete für das erste Halbjahr 2022 ein im Jahresvergleich um 13% gestiegenes Ebitda von 3,7 Mrd. Euro. Per 30 Juni 2022 wies der Baustoffkonzern liquide Mittel von 6,9 Mrd. Euro aus. Zusätzlich verfügte der Konzern über zwei freie syndizierte Kreditlinien von zusammen 4 Mrd. Euro. Bei Nettoschulden von 8,3 Mrd. Euro verminderte sich der Ebitda-Leverage auf Basis der vorigen zwölf Monate leicht auf 1,2x (i.V. 1,3x). Das Gearing (Net Debt/Shareholders’ Equity) verbesserte sich ebenfalls auf 36% (i.V. 39%).

Unabhängig vom schnell erodierenden Makroumfeld ist Saint-Gobain bilanziell und strategisch gut aufgestellt, um von zukünftigen Megatrends organisch und durch Zukäufe zu profitieren. Zu diesen Trends gehören die Renovierung von Gebäuden zur Einsparung von Energie und CO2, die Leichtbauweise zur Einsparung von Ressourcen und eine anhaltende Urbanisierung in den Emerging Markets.

*) Jens Münstermann ist Senior Analyst für den Sektor Bau bei der Landesbank Baden-Württemberg.