Chinesischer Spielekonzern

„Teuflisches“ Problem für die Netease-Aktie

Der zweitgrößte chinesische Anbieter von Onlinespielen hat ein Problem mit der strengen chinesischen Aufsicht hinsichtlich der Zulassung des neuen potenziellen Blockbusters „Diablo Immortal“.

„Teuflisches“ Problem für die Netease-Aktie

Von Norbert Hellmann,

Schanghai

Die Erholungsbewegung chinesischer Technologie-Aktien ist zum Teil der aufgehellten regulatorischen Perspektive für Onlinespieleanbieter geschuldet. So hat der Internetregulator nach einem fast einjährigen Moratorium für die Freigabe von Spieletiteln im chinesischen Markt damit begonnen, den Rückstau aufzulösen. Den drei führenden Anbietern Tencent, Netease und Bilibili ist Peking dabei allerdings nicht wirklich entgegengekommen und lässt ihre Erfolgstitel in spe auf der Warteliste schmoren.

Netease ist als Nummer 2 mit deutlichem Abstand auf Tencent vom Thema Marktmachteingrenzung als einem wesentlichen Aspekt der Tech-Regulierungskampagne sicherlich weniger stark betroffen als der Platzhirsch. Entsprechend macht man sich Hoffnungen auf eine baldige Freigabe der Netease-Pipeline, die neue monetisierungsfähige Gaming-Angebote in den Markt vordringen ließe. Beim Thema Jugendschutz und Gesellschaftskontrolle, das bei der intransparenten Regulierung des Gaming-Sektors eine immer größere Rolle zu spielen scheint, ist Netease keineswegs außen vor. Dies haben die Anleger jetzt schmerzlich feststellen müssen.

Der Netease-Kurs brach am Montag um 11% ein, als sich herausstellte, dass der für 23. Juni geplante China-Start des von Netease in Koproduktion mit Blizzard für den globalen Markt entwickelten Gaming-Titels „Diablo Immortal“ auf unbestimmte Zeit verzögert werden muss. Netease hatte noch vor Einsetzen des Moratoriums die Lizenzfreigabe erhalten. Nun droht aber von anderer Seite Unheil. Auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo wurde das Konto von Diablo Immortal mit Verweis auf „Verstöße gegen relevante Gesetze und Regeln“ blockiert. Ein Blick auf die offizielle Internetwebseite von Diablo Immortal wiederum verrät, dass sich Netease und Blizzard noch mehr Zeit für „Inhaltsverbesserung“ (Content Enhancement) nehmen wollen, bevor sie das Spiel auf Chinas Verbraucher loslassen.

Blockbuster-Potenzial

Der Teufel steckt manchmal im Detail. Mit gut 10 Millionen Downloads in der ersten Woche nach dem internationalen Release am 2. Juni gilt Diablo Immortal als ein Blockbuster-Titel mit hohem Potenzial. Er ist allerdings eindeutig der Kategorie „Pay2Win“ zuzuordnen, was heißen soll, dass nur Spieler, die laufend Zusatzzahlungen leisten, erfolgreich abschneiden können. Das wiederum könnte in einer Zeit, da Chinas Staatsmedien laufend Suchtgefahren und Erpressungstaktiken im Gaming-Kontext thematisieren, einen Hinderungsgrund für eine regulatorisch unbehelligte Verbreitung abgeben. Experten verweisen auf einen Präzedenzfall im Hause Tencent. Diese hatte im Sommer 2020 für ihr DnF Mobile genanntes Spiel den chinesischen Marktstart zunächst ausgesetzt, um „Suchtvermeidungsmechanismen zu verbessern“. Das Ende vom Lied aber ist, dass der Titel in China nie lanciert wurde.

Marktteilnehmer erklären die schroffe Kursreaktion auf den Diablo-Rückzieher­ damit, dass die Analystengemeinde bei Einschätzung des Netease-Geschäftsverlaufs in der zweiten Jahreshälfte bereits signifikante Beiträge aus dem China-Entree von Diablo Immortal einkalkuliert habe. Damit werden die Konsensschätzungen weniger belastbar, zumal Netease in den kommenden sechs Monaten keinen weiteren Blockbuster für China parat haben dürfte. Immerhin aber sehen die Wachstumschancen im Gaming-Geschäft etwas rosiger aus als beim Erzrivalen Tencent. Im ersten Quartal 2021 sah man bei Netease ein noch ansehnliches Umsatzwachstum um 15% gegenüber Vorjahr, während Tencents Gaming-Sparte nur um 8% zulegte und dabei ausschließlich über internationale Aktivitäten Wachstum generierte.

Im Vergleich zu Tencent, deren umfassendes Social-Media-Geschäft an verkümmerten Werbeeinnahmen schwer leidet, dürfte Netease als „Pure Play“ auf Gaming-Aktivitäten weniger negativ von der aktuellen Konjunktureintrübung in China erfasst sein. Allerdings werden erst die Ergebnisse für das zweite Geschäftsquartal Mitte August genaueren Aufschluss darüber geben. Einerseits darf man vermuten, dass Chinas harte Coronapolitik und Lockdown-Taktik dem Gaming-Geschäft mit seinem Zeitvertreibscharakter mehr Zulauf bringt. Andererseits muss man befürchten, dass die gerade bei jüngeren Verbraucherschichten manifeste Konsumklemme auf die Ausgabebereitschaft für Unterhaltung grundsätzlich abfärbt.

Die bereits im Jahr 2000 mit der ersten Welle von chinesischen Tech-Unternehmen an die New Yorker Nasdaq gekommene Net­ease ist seit zwei Jahren durch ein Zweitlisting in Hongkong nun auch für chinesische Investoren zugänglich. Anfang Dezember durfte Netease gemeinsam mit dem ebenfalls dual in New York und Hongkong gelisteten Onlinehändler JD.com in den Hongkonger Leitindex Hang Seng einziehen und hat dadurch noch kräftigeren Zulauf von institutionellen Investoren gesehen. 2022 liegen Netease gut 10% zurück, während Tencent auf eine Jahresperformance von –17% kommt und der Hang Seng Tech Index knapp 19% im Minus steht.

Vom Jahrestief bei 108 HK-Dollar zur Märzmitte hat sich der Netease-Kurs bei derzeit 142 HK-Dollar wieder entscheidend lösen können. Dem Diablo-Knick zu Wochenbeginn ist jedoch keine entscheidende Gegenbewegung gefolgt. Der grundsätzlich positiven Stimmung im Analystenlager kann dies freilich wenig anhaben. Seitens der 32 Häuser, die Netease verfolgen, werden ausschließlich Empfehlungen zum Kauf oder Übergewichten abgegeben, wobei sich die Kursziele zwischen 183 und 215 HK-Dollar bewegen. Letzteres liegt sogar über dem Netease-Allzeithoch bei 206 HK-Dollar vom Februar 2021.

Netease wird von den Experten also ein strammes Kurspotenzial zwischen 30 und 50% zugetraut. Damit verbindet sich die Einschätzung, dass Chinas führende Gaming-Anbieter ihren internationalen Radius kräftig erweitern, um sich von der Willkür der heimischen Tech-Regulatoren besser zu isolieren. Zum anderen aber setzt der Optimismus auch voraus, dass Chinas Konsumeintrübung den Charakter einer Delle annimmt und sich nicht zu einem Langfristtrend verstetigt. Sonst werden die heimischen Gaming-Riesen nicht mehr zu Wachstumsraten jenseits von 20% zurückfinden, die als Basis für die flotten Kursprognosen gelten.

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