Anleihemärkte

Unsicheres Umfeld für Osteuropa-Bonds

Volatil ist es für die Staatsanleihen der osteuropäischen Länder 2022 gewesen. Unbeschwertere Aussichten für dieses Segment dürften sich erst mit einer nachhaltigen Entspannung im Ukraine-Krieg ergeben, so die DZ-Bank.

Unsicheres Umfeld für Osteuropa-Bonds

Von Sophia Oertmann *)

Das Staatsanleihesegment mittel- und osteuropäischer (MOE) Emittenten blickt angesichts des Krieges in der Ukraine auf ein volatiles Jahr 2022 zurück. Zum einen mussten die Länder ihre Energieabhängigkeit reduzieren, neue Handelsbeziehungen ausloten und rekordhohen Inflationsraten begegnen. Zum anderen waren die Euro-denominierten Anleihen des MOE-Segments ebenso wie die Anleihen Kerneuropas von den rasanten Leitzinsanhebungen der EZB betroffen, so dass im zehnjährigen Laufzeitenbereich negative Gesamterträge von 20 bis 30% zu Buche schlugen.

Ein Großteil dieser Verluste war auf den Anstieg des allgemeinen Renditeniveaus zurückzuführen. Erschwerend kam jedoch die erhöhte Risikoaversion der Investoren aufgrund der geografischen Nähe der MOE-Staaten zum Kriegsgebiet hinzu. Die dadurch ausgelösten Spread-Ausweitungen verschärften die negativen Gesamterträge im Vergleich zu den kerneuropäischen Staatsanleihen nochmals.

Mit Blick auf die Spread-Entwicklung und die Bonitätsbeurteilung seitens der Ratingagenturen bilden sich innerhalb des MOE-Segments zunehmend zwei Gruppen heraus. Ungarn und Rumänien gehören mit ihrem Durchschnittsrating von „BBB“ bzw. „BBB-“ zur Gruppe der bonitätsschwächeren Emittenten. Diese Einschätzung ist insbesondere auf länderspezifische Risiken zurückzuführen. Im Fall von Ungarn sind das nicht zuletzt die Streitigkeiten mit der EU, während bei Rumänien der ausgereizte Fiskalrahmen belastend wirkt. Der negative Ratingpfad Ungarns wurde im noch jungen Jahr 2023 bereits zwei Mal unter Beweis gestellt. Zunächst senkte Fitch den Ausblick seines „BBB“-Ratings auf negativ, dann folgte am 27. Januar die Herabstufung auf „BBB-“ durch Standard & Poor’s (S&P). Damit ist Ungarn bei S&P nur noch eine Stufe vom Non-Investment-Grade entfernt. Allerdings ist der Rating-Ausblick vorerst zumindest stabil.

Die Situation Rumäniens ist unkomfortabler. Alle drei großen Agenturen beurteilen das Land mit „BBB-“, Fitch hat sogar seit knapp zwei Jahren den Ausblick auf negativ gesetzt. Die unmittelbare Gefahr einer ersten Herabstufung in den – salopp gesagt – „Ramsch-Bereich“ erklärt auch, wieso rumänische Eurobonds unter den MOE-Staaten mit die höchsten Risikoprämien gegenüber Swaps (ASW-Spread, der Spread gegenüber den Referenzkapitalmarktzinsen zwischen Banken im Euroraum) aufweisen. Sie notieren bei einer Laufzeit von neun Jahren mit aktuell rund 260 Basispunkten (BP) nochmals etwa 100 BP. über ungarischen Eurobonds mit vergleichbarer Laufzeit.

Demgegenüber gehören Polen, Litauen, Lettland, Slowenien und die Slowakei mit Durchschnittsratings rund um „A“ zur Gruppe der bonitätsstärkeren Staaten. Dies spiegelt sich auch in den niedrigeren zehnjährigen ASW-Spreads wider, die aktuell unterhalb von 100 BP notieren. Von temporären Verwerfungen ist aber auch diese Emittentengruppe angesichts der geografischen Nähe zu Russland, Belarus und der Ukraine nicht geschützt. So wies die ASW-Spread-Kurve litauischer Eurobonds im Oktober phasenweise einen inversen Verlauf auf, als Sorgen vor einer möglichen „schmutzigen Bombe“ emporkamen. Wie ordnet sich zwischen diesen beiden Gruppen des MOE-Segments das neue Euro-Mitglied Kroatien ein? Zwar ist das Land mit einem Durchschnittsrating von „BBB+“ etwas näher an den bonitätsschwächeren Staaten, allerdings hat sich der ASW-Spread 2022 deutlich eingeengt und den Niveaus der bonitätsstärkeren Staaten angenähert. Anleger schätzen den Abwärtstrend der Staatsverschuldung, das überdurchschnittliche Wirtschaftswachstum und die bereits vor Kriegsausbruch geringeren Handelsbeziehungen zu Russland.

Sowohl die bonitätsstärkeren als auch die bonitätsschwächeren MOE-Emittenten sind auch 2023 mit anhaltenden Herausforderungen konfrontiert. Der Krieg in der Ukraine dauert an, der Winter ist noch nicht vorbei, und die Diversifizierung der Energieversorgung ist ein langer Prozess. Daher ist erneut mit hohen Budgetdefiziten seitens der Regierungen zu rechnen, insbesondere um die Energieversorgung zu gewährleisten und negative Auswirkungen auf die Wirtschaft abzufedern. So rechnet die lettische Regierung mit Stützungsmaßnahmen im Bereich Energie im Umfang von 1,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), Slowenien plant 2%.

Insgesamt dürften die Budgetdefizite zwischen rd. 2,5 und 6% des BIP liegen und damit die Ratingagenturen kaum zu einem optimistischeren Blick auf die Bonität der MOE-Staaten veranlassen. Zwar hat sich der wirtschaftliche Ausblick aufgrund der etwas gesunkenen Energiepreise und der Aussicht auf das Ausbleiben einer Energiemangellage leicht verbessert. Die drohende Rezession dürfte sich in einigen Ländern dennoch nur wegen der Wachstumsimpulse aus dem EU-Wiederaufbaufonds vermeiden lassen. BIP-Wachstumsraten von mehr als 1% sind 2023 bei kaum einem Land zu erwarten.

Immerhin könnten die hohen Inflationsraten einem Ausufern der Schuldenstandsquoten entgegenwirken, da sich eine höhere Teuerung – bei sonst gleichen Bedingungen – positiv auf die Entwicklung der Schuldenstandsquote auswirkt. Ende 2022 wiesen alle MOE-Staaten zweistellige Inflationsraten auf. Bei Litauen, Lettland und Ungarn lagen sie sogar über 20%. Daher dürften die Schuldenstandsquoten 2022 und 2023 trotz des niedrigeren Wirtschaftswachstums und der hohen Budgetdefizite nicht übermäßig ansteigen – ein schwacher Trost für die Staaten, aber ein wichtiges Argument bei der Bonitätsbeurteilung.

Dennoch bleiben die marktseitigen Risiken für das MOE-Segment gegenüber im Rating vergleichbaren Staaten Kerneuropas hoch. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuell wieder etwas niedrigeren Spread-Ausgangsniveaus besteht das Risiko deutlicher ASW-Spread-Ausweitungen. Katalysatoren für eine solche Bewegung könnten neben einer Zuspitzung im Krieg in der Ukraine auch negative Wirtschaftsdaten sein, die die anhaltenden Rezessionsgefahren untermauern. Aber auch weitere Ratingherabstufungen könnten den Ausschlag zu plötzlichen Spread-Ausweitungen geben. Hierbei zeigen insbesondere die bonitätsschwächeren Emittenten eine höhere Spread-Reagibilität.

In Summe gestaltet sich das Chance-/Risikoverhältnis des MOE-Staatsanleihesegments für 2023 ebenso asymmetrisch wie es bereits im vorigen Jahr war. Zahlreichen Risikofaktoren stehen kaum Argumente gegenüber, die für einen nachhaltigen Einengungstrend der Spreads sprechen würden. Unabhängig von den Spread-Niveaus ist es vor allem die hohe Volatilität, die Anlegern zu schaffen macht. Unbeschwertere Aussichten für das MOE-Segment dürften sich erst mit einer nachhaltigen Entspannung im Ukraine-Krieg ergeben – bis dahin benötigen Investoren Mut ohne Erfolgsgarantie.

*) Sophia Oertmann ist Rentenmarktanalystin bei der DZ Bank.