Jahreswirtschaftsbericht

Ampel ringt um wirtschaftspolitischen Kurs

Die Ampel-Koalition will angebotsorientierte Wirtschaftspolitik betreiben. Zwischen Wirtschaftsministerium und Finanzministerium gehen die Ansichten auseinander, was darunter zu verstehen ist.

Ampel ringt um wirtschaftspolitischen Kurs

wf Berlin

Die wirtschaftlichen Aussichten in Deutschland sind nach Einschätzung der Bundesregierung in diesem Jahr besser als im Herbst noch erwartet. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rechnet für 2023 mit einen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von preisbereinigt 0,2%. In der Herbstprognose war die Bundesregierung noch von einem Rückgang von 0,4% ausgegangen. Im Winter sei noch eine technische Rezession möglich, erläuterte Habeck vor der Presse in Berlin. Im Frühjahr aber werde sich die Konjunktur aufhellen. Das Bundeskabinett hatte am Vormittag den Jahreswirtschaftsbericht beschlossen, der alljährlich Ende Januar vorgelegt wird. Neben Konjunkturprognosen stellt die Regierung dort traditionell ihr Arbeitsprogramm für die nächsten Monate vor.

Die Inflationsrate bleibt der Prognose zufolge mit 6,0% in diesem Jahr noch hoch, wird aber 2024 auf 2,8% zurückfallen. Für 2024 erwartet die Regierung ein Wirtschaftswachstum von 1,8%. Der Bericht enthält zwar nur Zahlen für das laufende Jahr und Habeck betonte vor der Presse, dass es sich schließlich um einen Jahreswirtschaftsbericht handele, doch hatte das Ministerium parallel zur Veröffentlichung einen Newsletter mit den Erwartungen für 2024 versandt. 2022 hatte das BIP hierzulande trotz des Ausbruchs des Krieges in der Ukraine nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts um 1,9% zugelegt. Habeck erinnerte daran, dass die Wirtschafts­forschungsinstitute für den Fall einer Gasmangellage einen Einbruch von bis zu 12% des BIP vorausgesagt hatten.

„Wir haben die Energieversorgung sicher gemacht, wir haben die Märkte stabilisiert und Versorgungssicherheit gewährleistet“, sagte der Minister im Rückblick auf 2022 und den Lieferstopp russischen Gases. „Die Wirtschaft selbst hat sich als extrem anpassungsfähig erwiesen“, stellte Habeck fest. Parallel zur Energiefrage habe sie Lieferketten und den Bezug von Rohstoffen neu organisieren müssen. Die Botschaft aus dem Jahr 2022 sei, „dass wir in der Lage sind, mit Entschlusskraft und der Bereitschaft ins Offene zu gehen – also ein Risiko auf uns zu nehmen – Erstaunliches leisten können“. Die Bundesregierung habe dies politisch begleitet, aber im Wesentlichen habe es der Markt selbst geschafft.

Differenzen beim Kurs

Um die deutsche Wirtschaft zu stärken und die Unternehmen bei der Transformation zur Klimaneutralität zu entlasten, bereitet die Bundesregierung die Einführung einer Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter unter dem Stichwort „Superabschreibung“ vor. Sie soll sich im Anschaffungs- oder Herstellungsjahr gewinnmindernd auswirken. Zudem werden dem Jahreswirtschaftsbericht zufolge verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten sowie die steuerliche Förderung von Rücklagenbildung als Krisenvorsorge geprüft. Parallel behält sich die Regierung vor, eine verbesserte Verlustverrechnung zu prüfen.

Aus Kreisen des Bundesfinanzministeriums hieß es, die Regierung strebe eine angebotsorientierte Agenda an. Dabei gehe es nicht nur um die Herausforderungen der Energiekrise. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik sei 2023 vor allem auf mittel- und langfristige Herausforderungen gerichtet. Der Fokus liege auf Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat damit ein offenes Ohr für die deutsche Indus­trie und die übrigen Bereiche der Wirtschaft, die auf bessere Rahmenbedingungen dringen. Zur Wunschliste gehört unter anderem eine niedrigere Steuerbelastung für deutsche Unternehmen, die näher am europäischen Durchschnitt liegt.

Habeck will indessen nur Unternehmen und Branchen staatlich fördern, die zur Dekarbonisierung beitragen. Um die deutsche Wirtschaft stark und erfolgreich in das nächste Jahrzehnt zu führen, werde die Regierung eine Reihe von konkreten Programmen unter dem Titel „Tranformative Angebotspolitik“ auflegen, kündigte Habeck an. „Wir sind nicht blind, wenn es darum geht, Subventionen oder steuerliche Vorteile auszukehren“, sagte der Minister. Es solle nicht alles gefördert werden, sondern zielgerichtet für künftige Märkte. Es gehe etwa darum, die Grundstoffindustrie dekarbonisiert neu auszurichten und um Clean-Technologies wie Batterien, Halbleiter oder Produktionsformen für erneuerbare Energien wie Solaranlagen oder Windkraft. Diese Branchen sollen in Europa und Deutschland angesiedelt und gehalten werden. „Deshalb werden wir die Unterstützung der deutschen Wirtschaft entlang dieser transformativen Angebotspolitik, also entlang der Leitlinien von dekarbonisierter Förderung, weiter schärfen und neu ausrichten“, sagte Habeck. Bereits im ersten Halbjahr werde die Regierung erste Klimadifferenzverträge schließen.

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