Konjunktur

Auftragspolster der Industrie wird dünner

Erstmals seit Beginn der Pandemie ist der Auftragsbestand der deutschen Industrie spürbar abgeschmolzen. Trotzdem bleibt er eine Stütze der Konjunktur. Gute Nachrichten gibt es vom Arbeitsmarkt.

Auftragspolster der Industrie wird dünner

ba Frankfurt

Der Auftragsstau der deutschen Industrie hat sich im September erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie spürbar gelöst. Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) fiel der reale (preisbereinigte) Auftragsbestand im verarbeitenden Gewerbe kalender- und saisonbereinigt um 0,9% zum Vormonat. „Damit ist der Auftragsbestand erstmals wieder deutlich gesunken, nachdem er von Mai 2020 bis August 2022 fast durchgehend um insgesamt 37,6% gestiegen war“, teilten die Wiesbadener Statistiker mit.

„Stütze der Konjunktur“

Die Betriebe konnten nach der ersten Phase der Coronakrise wegen der stockenden Lieferketten die starke Nachfrage nach Industrieprodukten nicht vollständig abarbeiten. Daher stauten sich die offenen Aufträge immer weiter an. „Diese Entwicklung ist vorerst unterbrochen“, hieß es bei Destatis: Im September war der nominale Auftragseingang erstmals seit Mai 2020 niedriger als der Umsatz der Betriebe. Während die Neubestellungen vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der Energiekrise um 4,0% fielen, kletterten die Umsätze um 0,2%. „Im Ergebnis wurden mehr Aufträge abgearbeitet, als neue hinzugekommen sind.“ Das Niveau allerdings bezeichnen die Wiesbadener als „weiter sehr hoch“: Im Vergleich zum September 2021 war der Auftragsbestand kalenderbereinigt 6,9% höher.

Rückläufige Auftragseingänge oder Stornierungen würden daher „vorerst nicht voll auf die Industrieproduktion durchschlagen“, betonte Nils Jannsen, Leiter Konjunktur Deutschland am IfW Kiel. „Der hohe Auftragsbestand bleibt eine wichtige Stütze für die deutsche Konjunktur in dem rauen weltwirtschaftlichen Umfeld.“ Seit Jahresbeginn hätten die Auftragseingänge um rund 10% nachgegeben, während sich die ­Lieferkettenprobleme „zumindest etwas“ entspannten: „Setzt sich diese Entwicklung fort, so dürften die Auftragsbestände nun zunehmend abgearbeitet werden.“ Die Bestände lägen im September noch um 30% über dem Niveau von Ende 2019, also vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Laut Ifo-Institut berichteten im Oktober noch 63,8% der befragten Firmen von Engpässen und Problemen bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen, nach 65,8% im September.

Reichweite sinkt

Auch die Reichweite des Auftragsbestands fiel im September erstmals wieder deutlich: Nachdem sie seit März 2022 jeden Monat bei mindestens 8,0 Monaten gelegen hatte – so zuletzt auch im August –, fiel die Reichweite nun auf 7,7 Monate. So lange müssten die Betriebe theoretisch bei gleichbleibendem Umsatz produzieren, um die bereits vorhandenen Aufträge abzuarbeiten. Eine überdurchschnittlich hohe Reichweite verzeichnen weiter die Hersteller von Investitionsgütern mit 11,4 Monaten, nach 11,8 Monaten im August.

Im dritten Quartal trug die Industrie allerdings nur wenig dazu bei, dass die Zahl der Erwerbstätigen hierzulande auf ein Rekordhoch gestiegen ist. Laut Destatis waren rund 45,6 Millionen Personen erwerbstätig, das sind saisonbereinigt 22000 Personen mehr als im zweiten Quartal, was prozentual eine Stagnation bedeutet. Ohne Saisonbereinigung erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen im Zuge der einsetzenden Herbstbelebung um 166000 Personen (+0,4%). Dieser saisonübliche Anstieg fiel 2022 aber verhaltener aus als im Durchschnitt der Vorkrisenjahre 2017 bis 2019, den Destatis mit einem Zuwachs um 224000 Personen bzw. 0,5% angibt.

„Die Zahl der Erwerbstätigen erreichte damit gleichwohl einen neuen historischen Höchststand“, erklärten die Statistiker: Der bisherige Höchstwert von ebenfalls 45,6 Millionen Erwerbstätigen aus dem Schlussabschnitt 2019 wurde nun um 82000 Personen (0,2%) überschritten. Während im dritten Quartal die Erwerbstätigkeit im verarbeitenden Gewerbe um 0,5% und im Baugewerbe um 0,4% zulegte, verzeichneten die Dienstleistungsbereiche einen Beschäftigtenzuwachs um 1,3%. In der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei bestätigte der Rückgang um 1,4% den langfristigen Trend in dieser Branche.

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