Tourismus in Spanien

Die Gäste sind zurück

Nachdem 2020 und 2021 nur sehr wenige Touristen aus dem Ausland nach Spanien kamen, erreichte die Besucherzahl im letzten Jahr 85% des Niveaus vor Ausbruch der Pandemie. Die Branche und die Regierung machen nun jedoch Dampf bei Neuausrichtung des Tourismusmodells hin zu mehr Qualität.

Die Gäste sind zurück

Das Gastgewerbe in Madrid freut sich diese Woche über eine sehr gute Auslastung. Der trübe Januar zieht zwar nicht so viele Touristen in die spanische Hauptstadt. Doch die Tourismusmesse Fitur ist nach zwei Jahren Pandemie erstmals wieder richtig gut besucht. Es haben Vertreter von 8 500 Unternehmen der Branche aus mehr als 130 Ländern zugesagt. Der erwartete Andrang auf dem Madrider Messegelände Ifema passt ins Bild. Denn Spanien hat das tiefe Tal der Covid-Krise verlassen. Die Buchungen für den Mobile World Congress in Barcelona Ende Februar sind ebenso vielversprechend wie das Ostergeschäft, das den Auftakt zur Tourismussaison markiert.

Spaniens Reiseindustrie kam im letzten Jahr dem Rekord von 2019, bevor das Coronavirus dem Urlaub einen Riegel vorschob, sehr nah. Die Zahlen für Dezember stehen noch aus, aber die Regierung prognostiziert für das vergangene Jahr 70,5 Millionen ausländische Touristen gegenüber 83,7 Millionen 2019. Und die Gäste ließen mehr Geld im Lande. Die Ausgaben von geschätzt 87 Mrd. Euro entsprechen 94 % des Vorkrisenniveaus. „Ich traue mich zu sagen, dass wir 2023 die Rekorde bei Besucherzahl und Ausgaben brechen werden“, sagte die Ministerin für Tourismus, Handel und Industrie, Reyes Maroto, am Montag auf einer Fachtagung im Vorfeld der Fitur-Messe.

Die spanische Notenbank erklärt in einer jüngsten Studie zur Tourismusbranche die rasche Erholung mit der durch die Pandemie „angestauten Nachfrage nach internationalen Reisen“ und den Ersparnissen vieler Menschen nach zwei Jahren ohne Urlaub. Die positive Entwicklung im Urlaubsland Spanien geht hauptsächlich auf die europäischen Stammmärkte zurück, während die Besucher aus Fernost erst zögerlich zurückkommen.

Der Optimismus ist auch an der Börse zu spüren. Die notierten Konzerne wie die Hotelgruppen Meliá und NH legten zu Beginn des Jahres kräftig zu, ebenso wie der Flugkonzern IAG -British Airways und Iberia-, der halbstaatliche Betreiber der spanischen Airports Aena oder der Reise-IT-Konzern Amadeus. Neben den besseren Perspektiven für die Branche prämierten die Anleger auch die Anstrengungen zum Abbau der pandemiebedingten Schulden. Meliá und NH veräußerten mehrere Hotels und setzen nun auf Leasing statt Eigentum.

Die Branche ist erleichtert darüber, dass den Menschen die Reiselust offenbar nicht vergangen ist. Zu den Hochzeiten der Pandemie orakelten viele Experten über das Ende des Tourismus, wie wir ihn kennen, aufgrund eines vermeintlich neuen Freizeitverhaltens und Umweltbewusstseins. „Die Gesellschaft hat begriffen, dass man leben und sich vergnügen muss und dafür eben in den Urlaub fährt“, kommentierte der Geschäftsführer der Reiseabteilung von Spaniens großer Kaufhauskette El Corte Inglés, Ricardo Fernández, auf der erwähnten Fachtagung der Tourismusgruppe Hotusa am Montag.

Die Pandemie hat jedoch auch Spuren im Verhalten der Verbraucher hinterlassen, die sich als ebenso dauerhaft entpuppen könnten wie das Homeoffice. Unternehmen wie die Hotelkette Riu aus Mallorca und andere haben einen Trend hin zu mehr Last-Minute-Buchungen registriert. Die Notenbank verweist auf den geringeren Anteil von Pauschalreisen, vor allem in zwei der wichtigsten Märkte, Großbritannien und Deutschland. Kreuzfahrten legen dagegen wieder stärker zu.

Bei aller Freude über die Rückkehr der Touristen aus dem Ausland – während der Pandemie hat der Anstieg der Inlandsreisen vielen Hotels und Gaststätten das Überleben gesichert – ist man sich in Spanien bewusst darüber, dass man nicht die Hände in den Schoß legen darf. „Wir sollten uns nicht damit zufriedengeben, zum Ausgangspunkt zurückzukehren, sondern die Gelegenheit zur Transformation nutzen“, mahnte Ministerin Maroto die anwesenden Top-Manager. Unternehmer und Experten pflichten ihr bei. Schon lange bevor das Coronavirus den Betrieb lahmlegte, wurde in Spanien viel über die Dringlichkeit einer Modernisierung und Neupositionierung einer seiner wichtigsten Wirtschaftsbranchen diskutiert.

Es gibt viele Ansätze. Das Schlagwort Digitalisierung ist in aller Munde. Die großen Hotelgruppen rüsten digital auf. Auch viele lokale Behörden. Die Touristenhochburg Benidorm „baut“ eine digitale Version im Metaverse. Ein Hindernis bei der Digitalisierung ist jedoch die starke Atomisierung der Reisebranche, mit tausenden kleinen Familienunternehmen, die oft nur ein einziges Hotel betreiben. „Es ist sehr wichtig, eine Konsolidierung zu fördern“, meinte der Präsident der Beratungsfirma Deloitte in Spanien, Héctor Flórez.

Ein anderer Aspekt ist das Humankapital. Die Branchenverbände, wie auch der Unternehmerdachverband CEOE, drängen auf eine bessere Ausbildung des Personals in der Reisebranche, um die Qualität des Aufenthaltes für die Urlauber zu steigern. Ein Problem, das nicht nur das Gastgewerbe betrifft, sind die nach wie vor mangelhaften Englischkenntnisse in Spanien. Das wohl entscheidendste Thema für die Zukunft ist die Nachhaltigkeit. Das Land macht bei der Dekarbonisierung des Schienenverkehrs und der Energieversorgung Fortschritte und viele Hotels sind ebenfalls darum bemüht, ihren Carbon Footprint zu verkleinern. Schließlich versucht man weiterhin, vom klassischen Strandurlaub wegzukommen und andere Urlaubsziele in den an Kultur und Geschichte reichhaltigen Städten oder Naturgebiete im Inland zu bewerben. Mancherorts wie in der extrem beliebten Metropole Barcelona klagen die Einwohner jedoch erneut über den Massenandrang nach Ende der Pandemie. Auch auf der Urlaubsinsel Mallorca gibt es Überlegungen, wie die Zahl der Touristen begrenzt werden könnte.

Diese Hausaufgaben haben das gemeinsame Ziel, die Qualität des Tourismus in Spanien zu verbessern, denn die preisgünstigere Konkurrenz im Geschäft mit Sand und Sonne schläft nicht. Die Banco de España sah in letzter Zeit „Fortschritte in der Fähigkeit, ein zahlungskräftigeres Touristensegment anzuziehen, dank des relativen Anstiegs der Unterkünftige in hochwertigeren Hotels“, heißt es in der Studie. Die Zahlen belegen den Trend zu mehr Qualität. Im letzten Jahr wurden in Spanien 1,65 Mrd. Euro in den Umbau oder Neubau von Hotels investiert, wie Zahlen von Colliers, der internationalen Beratungsfirma für den Real-Estate-Sektor, zeigen. Davon entfielen 58 % auf Unterkünfte mit vier Sternen und 27 % auf die Top-Kategorie der fünf Sterne.

Der im Vergleich zur Gesamtzahl der Besucher höhere Anstieg der Ausgaben der Touristen 2022 hängt natürlich auch mit den höheren Preisen zusammen. Viele Veranstalter, Hotels und Restaurants langten angesichts der wiederbelebten Reiselust ordentlich zu. Allerdings macht die Preisexplosion im letzten Jahr den Margen zu schaffen. Viele Unternehmer berichten, dass sie die stark gestiegenen Kosten für Energie, Material und Lebensmittel nicht ohne weiteres an ihre Kunden weitergeben können. Die Inflation, die in Spanien mit 5,7 % im Dezember weit niedriger lag als in den meisten europäischen Ländern, hält so manchen potenziellen Besucher ab. Die Notenbank schiebt die nachlassende Dynamik der Gäste aus Großbritannien und Deutschland im Sommer auf die hohen Preise, besonders für Flugtickets. „Der Kaufkraftverlust könnte zu einer geringeren Attraktivität zugunsten anderer Ziele im Mittelmeer mit niedrigeren Preisen führen“, warnen die Experten der Notenbank. Den Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik scheint klar zu sein, dass die Wiederauferstehung des Tourismus nach der Pandemie kein Selbstläufer ist.

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