Wassersportindustrie

French Paradox

Frankreich ist die weltweite Nummer 1 für Segelyachten. Nach Covid erlebte die Branche einen Boom, doch nun steht sie vor neuen Herausforderungen.

French Paradox

Der Wind ist günstig. Immer noch, auch wenn er inzwischen wieder ein wenig nachgelassen hat und am Horizont dunkle Wolken aufziehen. Die Situation der Wassersportindustrie in Frankreich, der weltweiten Nummer 1 für den Bau von Segelyachten und der Nummer 1 für Freizeitboote in Europa, ist paradox. Auf der einen Seite sind die Auftragsbücher der Bootsbauer voll. Auf der anderen Seite kommen sie mit der Produktion nicht hinterher, weil auch sie den weltweiten Chipmangel zu spüren bekommen. Die Verhältnisse haben sich zwar wieder etwas gebessert, doch bei der Motorisierung und bei Generatoren ist die Lage noch immer angespannt.

„Wir gehen mit einer positiven Einstellung in die Saison 2022/ 23“, sagt der Vorsitzende des Verbandes der französischen Wassersportindustrie Fédération des Industries Nautiques (FIN), Jean-Paul Chapeleau. „Die Lagerbestände sind niedrig und die Auftragsbücher voll.“ Doch die Euphorie, die die Yacht-Branche nach dem Ende der strengen Covid-Beschränkungen in Frankreich erfasst hatte, ist angesichts der hohen Inflation inzwischen wieder ein wenig abgeklungen. „Nach zwei außergewöhnlichen Jahren normalisiert sich der Markt wieder“, meint Alain Pichavant von Nautic Festival, dem Veranstalter der Bootsmesse in Paris. Ähnlich sieht die Lage der Wassersportindustrie in Deutschland aus.

Dabei hatte die Branche in Frankreich nach Ausbruch der Covid-Pandemie eine lange Durststrecke befürchtet, da Wassersport selbst nach dem Ende der strengen Ausgangssperre im Frühjahr 2020 zunächst weiter verboten war. Entsprechend brach der Umsatz im Corona-Jahr 2020 von 5,3 Mrd. Euro auf 4,7 Mrd. Euro ein. „Anfangs haben wir gedacht, dass wir drei bis fünf Jahre brauchen würden, um wieder zum Niveau von 2019 zurückkehren zu können“, sagt FIN-Präsident Chapeleau. Doch 2021 habe sich die Branche wiederbelebt. Der Umsatz legte wieder auf 4,95 Mrd. Euro zu, und der Vorsteuerumsatz des Bereichs Yachtbau verbesserte sich wieder auf 1,24 Mrd. Euro, nachdem er im Vorjahr um 10,6% eingebrochen war. Vor allem wurden mit 79% so viele in Frankreich gebaute Yachten wie nie zuvor exportiert.

Kleine Boote spüren Inflation

Die Bénéteau-Gruppe, mit Marken wie eben Bénéteau, First, Jeanneau, Lagoon und Océanis der weltweit größte Hersteller von Segelyachten, gibt sich zuversichtlich. Für dieses Jahr erwartet sie ein Umsatzwachstum von 15% und eine Steigerung des laufenden operativen Ergebnisses um mehr als 30% auf mehr als 125 Mill. Euro. „Das Geschäftsjahr 2023 beginnt mit einem soliden Auftragsbuch“, erklärte Bénéteau gerade bei der Präsentation des neuen Strategieplans. Konzernchef Bruno Thivoyon stellt deshalb zudem eine operative Marge von mehr als 10% in Aussicht. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 hat Bénétau den Umsatz um 11,9% auf 1,23 Mrd. Euro gesteigert. Davon entfielen 1,04 Mrd. Euro auf die Bootssparte. Die operative Marge betrug 7,8%.

Doch die hohe Inflation, der starke Anstieg der Energiepreise sowie die Folgen des Kriegs in der Ukraine gehen auch an der Yachtbranche nicht spurlos vorbei. So schlagen sich die hohen Energiepreise in den Verkaufspreisen für Yachten nieder. Denn diese werden in der Regel aus auf Erdöl basierendem GFK (glasfaserverstärktem Kunststoff) oder Inox hergestellt. Deshalb haben sich die Yachten in den zurückliegenden anderthalb Jahren um rund 15% bis 20% verteuert.

Das hat sich jedoch nach Angaben der Yachtbauer noch nicht großartig in den Auftragsbüchern niedergeschlagen. Das einzige Segment, das ein wenig unter dem Anstieg der Zinsen gelitten habe, sei der Einstiegsbereich beim Dayboating, sagte Bénéteau-Chef Thivoyon im September. Als Dayboating bezeichnet man das Segment von Booten, die zwar größer als eine Jolle sind, auf denen es aber keine Kojen gibt, so dass sie sich nur für Tagestouren eignen, nicht aber für längere Törns.

Eine ähnliche Entwicklung berichtet die deutsche Wassersportindustrie. Demnach machen sich die Auswirkungen der Inflation vor allem für die Hersteller kleinerer Boote bemerkbar, allen voran den Anbietern von kleinen Motorbooten der Preiskategorie bis 20 000 Euro. Erlebten sie seit Ausbruch der Corona-Epidemie einen wahren Boom, sind sie inzwischen nicht mehr so gefragt, da die typischen Kunden dieses Segments sich sorgen, ob sie den starken Anstieg der Energiekosten und die hohe Inflation schultern können. Dagegen sei die Nachfrage in den größeren Motorboot-Klassen nach wie vor gut, heißt es in der Branche. In diesem Segment spiele es offenbar keine Rolle, ob die Yacht nun 300 000 oder 350 000 Euro kostet, meint der Bundesverband Wassersportwirtschaft.

Wohnungen auf dem Wasser

Ähnliche Tendenzen seien bei Segelyachten zu beobachten: Je größer, desto größer auch die Nachfrage. Weltmarktführer Bénéteau hat deshalb gerade in seinem Strategieplan angekündigt, den Ausbau der Produktionskapazitäten für 40 bis 60 Fuß große, also 12,19 bis 18,29 Meter lange Segelyachten fortsetzen zu wollen. Einige Branchenkenner glauben sogar, dass die Inflationsangst im oberen Preissegment zu einem neuen Umsatztreiber geworden ist. Frei nach dem Motto: Lieber jetzt bestellen, bevor die Preise noch mehr steigen.

Den Trend zu immer größeren Booten gibt es bereits seit einigen Jahren. Vor allem Katamarane werden immer häufiger als eine Art Ferienwohnung auf dem Wasser genutzt. Bei Weltmarktführer Bénéteau gibt es deshalb in der Bootssparte inzwischen ein eigenes Segment namens „Real Estate on the Water“ dafür. Dazu zählt Bénéteau vor allem Motoryachten der Kategorie 50 bis 70 Fuß (15,24 bis 21,34 Meter). Wettbewerber Fountaine Pajot wirbt in den Beschreibungen seiner größeren Katamaran-Modelle mittlerweile stärker für die Quadratmeterzahl des Salons oder der Eignerkabine als für die Segelfläche.

Luxuriöse Yachten haben auch im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine für Schlagzeilen gesorgt, da seit dem Angriff Russlands auf seinen Nachbarn mehrere Boote russischer Oligarchen beschlagnahmt wurden. Vermögende Russen waren zumindest früher mit ihren Yachten im Sommer häufig in Nobelorten wie Saint-Tropez, Antibes oder Cannes zu Gast. Als Kunden der französischen Yachtbauer haben sie dennoch keine große Rolle gespielt. Als der Krieg ausgebrochen sei, hätten Bestellungen von Kunden aus Russland, Weißrussland und auch der Ukraine weniger als 1% des Auftragsbestands ausgemacht, sagt Bénéteau-Chef Thivoyon.

Das Volumen der Verkäufe nach Russland und Weißrussland sowie in die Ukraine sei marginal, erklärt auch Fountaine Pajot. Der Yachtbauer, zu dem auch die Marke Dufour gehört, exportiert 89% seiner Boote, davon 34% innerhalb von Europa und 22% nach Nordamerika. Bénéteau macht mehr als die Hälfte des Umsatzes in Europa und den Großteil des Rests in Amerika.

Fokus auf Nachhaltigkeit

Auch wenn ihnen die Inflation sowie der Mangel an Rohstoffen und Materialien zusetzen, sind die Yachtbauer bemüht, grüner zu werden. Wie im Flugzeugbau ist Nachhaltigkeit der wichtigste Trend der Zukunft. Fountaine Pajot hat sich deshalb das Ziel gesetzt, in der Yachtbranche zum Pionier für den ökologischen Wandel zu werden. Der Bootsbauer hat dafür das sogenannte OD Sea Lab ins Leben gerufen, eine gemeinsame Innovationsplattform für Ingenieurbüros und Partner.

Eine wichtige Rolle spielt beim Thema Nachhaltigkeit auch die Frage, wie Boote recycelt werden können. Damit dürfte sich die Branche auch beschäftigen, wenn sie sich im Januar wieder auf der Messe „Boot“ in Düsseldorf trifft.

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