Ein Jahr Ampel

Krisen­management wird erst am Ende bewertet

Das erste Jahr fährt die Ampel im Krisenmodus noch unter Schonfrist. Für ihre Performance zählt ein vertrauensbildender Kurs auch für die Wirtschaft.

Krisen­management wird erst am Ende bewertet

Vor einem Jahr hat der Bundestag Olaf Scholz (SPD) zum Kanzler gewählt. Er regiert seitdem in einem Experiment – der ersten Dreierkonstellation im Bund. SPD, Grüne und FDP formieren die Ampel. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat die Pläne der Koalition gut zwei Monate nach Amtsantritt unter neue Vorzeichen gestellt. Die ursprünglichen Ziele der Parteien – mehr Gerechtigkeit für die SPD, die Klimawende für die Grünen und die Rückkehr zu solider Haushaltspolitik für die FDP – mussten dem Krisenmanagement weichen. Noch bevor die Corona-Pandemie ganz überwunden war, stand mit den Folgen des russischen Kriegs die neue Herausforderung vor Tür. Zeitenwende heißt das von Scholz propagierte Programm. Die Regierungsparteien gelangten erst gar nicht in den früheren Normalmodus zurück.

Die Demoskopen ermitteln keine guten Werte für die Ampel. SPD und FDP haben verloren, die Grünen schneiden dagegen besser ab als bei der Bundestagswahl. Zusammen kämen sie heute nicht auf die Regierungsmehrheit. Dieses anfängliche Tief ist auch bei früheren Regierungen nicht untypisch in der Bilanz des ersten Jahres. Dreierbündnisse müssen zudem lauter sein als Zweierkoalitionen, weil jeder Partner gehört werden will. Das vermittelt den beim Wähler unbeliebten Eindruck des Streits. Unter dem Druck der Krise und der Unerfahrenheit des Kabinetts, in dem von 14 Bundesministern zehn noch nie ein solches Amt führten und nur zwei zuvor im Land, gab es Anfängerfehler wie bei der Gasumlage. Die für gefährdete Importeure gedachte Hilfe – zum Kauf teuren Gases als Ersatz für russisches – musste Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unter öffentlichem Druck wieder zurückziehen. Die eilends dazugehörige Mehrwertsteuersenkung, die einen handwerklichen Fehler ausbügeln sollte, blieb auf Gas bestehen, obwohl die Umlage nicht kam. Die Energiepreispauschale ging mangels Auszahlungsweg erst an den Rentnern vorbei. Für die Studenten wird der Weg noch gesucht. Diese Diskrepanz zwischen politischer Absicht und Umsetzbarkeit muss die Ampel überwinden, wenn sie auf Dauer reüssieren will.

Gutes Krisenmanagement ist wichtig für die Performance der Ampel – aber noch wichtiger wird sein, wie sie wieder den Weg aus der Krise findet und ihre Ankündigungen im Koalitionsvertrag umsetzen kann. Den Grünen ist es politisch gelungen, die Abhängigkeit von russischem Gas in die Notwendigkeit eines schnelleren Abschieds von fossilen Energieträgern zu wenden. Schwierig wird es für die FDP, die mit dem Finanzministerium ihr Wunschressort für sich reklamieren konnte. Amtschef Christian Lindner (FDP) steht nun für die enorme Staatsverschuldung als Krisenfolge. Die Operation, Kreditermächtigungen in Sondervermögen zu horten, um damit in späteren Jahren mehr Schulden zu machen, als dem Staat guttut, ist für die Staatsfinanzen, aber auch für die FDP gefährlich.

Der russische Krieg hat der Ampel weitere Themen vorgegeben. Die Weltordnung formiert sich neu. Deutschland muss sein Verhältnis zu China überdenken. Auch die nationale Sicherheit hat einen anderen Stellenwert bekommen. Die Strategien zwischen politischen und wirtschaftlichen Zielen auszuloten, hat sich die Ampel vorgenommen. Für den Wirtschaftsstandort wird viel davon abhängen, wie weltoffen Deutschland bleiben kann. Investoren von außerhalb der EU darf die Regierung nicht pauschal verschrecken. Mit den hohen Energiepreisen steht der Industriestandort unter Druck. Denn auch nach einem Ende des Kriegs in der Ukraine wird Energie teuer bleiben. Die Wirtschaft schlägt Alarm. Wie zentral es für ein Land ist, auf eine industrielle Basis bauen zu können, hat sich in der Finanzkrise gezeigt – und auch wie fatal es ist, wenn sie fehlt.

Entscheidend für den Weg aus der Krise wird auch ein Ende des Ad-hoc-Interventionismus sein und das Vertrauen auf die Belastbarkeit von Prinzipien. Im Zuge von Strom- und Gaspreisbremse will die Ampel entgegen jeglicher Steuersystematik nicht Gewinne, sondern Erlöse abschöpfen. Der zusätzliche EU-Energiekrisenbeitrag – nicht vom Fachressort Finanzen, sondern vom Wirtschaftsressort in Brüssel verhandelt – steht verfassungsrechtlich hierzulande auf schwachen Füßen. Der geplante Eingriff ins Wettbewerbsrecht treibt die Wirtschaft auf die Barrikaden. Auch ohne wettbewerbsrechtliche Verstöße solle die Kartellbehörde einschreiten dürfen. Ein Jahr Ampel heißt ein Jahr Schonfrist wegen besonderer Umstände. Je mehr der Krisenzustand zur neuen Normalität wird, umso mehr muss die Ampel für ihre eigenes Heil einen vertrauensbildenden Kurs auch für den Wirtschaftsstandort fahren.

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