Großbritannien

Preise am Wohn­immobilien­markt geraten unter Druck

Steigende Zinsen und nach oben schießende Lebenshaltungskosten machen Käufern und Verkäufern in Großbritannien gleichermaßen Sorgen. Vermietern spielt die Situation in die Hände.

Preise am Wohn­immobilien­markt geraten unter Druck

Viele Jahre lang haben sich die Preise am britischen Wohnimmobilienmarkt nur in eine Richtung entwickelt: aufwärts. Nun zeichnet sich ein Ende der rasanten Verteuerung von Wohnraum ab. Im Oktober gab sowohl der von der Nationwide Building Society erstellte Hauspreisindex als auch die vom Rivalen Halifax Bank of Scotland berechnete Vergleichszahl nach. Die Bank of England erhöhte zuletzt den Leitzins so stark wie zuletzt vor 33 Jahren. Erstkäufer und Eigenheimbesitzer, die ihre Hypothek refinanzieren müssen, müssen künftig doppelt so hohe Raten zahlen wie noch vor wenigen Wochen. Für sie ist es der größte Zinsschock seit Ende der 1980er Jahre. Einer Nationwide-Umfrage zufolge zahlten alle britischen Haushalte im September im Schnitt 11% mehr für ihre Hypothek als ein Jahr zuvor. Zugleich machen ihnen rasant steigende Lebenshaltungskosten zu schaffen. Politisch ist das Thema hochexplosiv. Premierministerin Liz Truss kam dadurch zu Fall. Fast zwei Drittel der britischen Haushalte verfügen über Wohneigentum. Besser gesagt: Sie sind Hypothekenschuldner, deren Vermögen in hohem Maße von der Entwicklung der Immobilienpreise abhängt.

Angst vor dem Crash

Sowohl Käufer als auch Verkäufer verlassen den Markt, wie die jüngste RICS-Umfrage unter Immobiliensachverständigen zeigt (siehe Grafik). Die Zahl der neuen Käuferanfragen ging den sechsten Monat in Folge zurück. Doch in der Regel dauert es mehrere Monate, bis sich die Preise einer schwächeren Nachfrage anpassen. Dem Immobilienportal Zoopla zufolge wurde bei 7% der angebotenen Objekte der Preis um mehr als 5 % zurückgenommen. Das waren mehr Preiszugeständnisse als in den vorangegangenen Monaten. Doch rechnet man für das laufende Jahr mit keinen großen Preisbewegungen mehr.

Steigende Hypothekenzinsen haben in der Londoner City Ängste vor einem Immobiliencrash geweckt. Sie waren, wie die Renditen britischer Staatsanleihen, nach oben ge­schossen, nachdem der damalige Schatzkanzler Kwasi Kwarteng Ende September seinen Wachstumshaushalt vorgelegt hatte, ohne sich zur Gegenfinanzierung der darin enthaltenen Steuersenkungen zu äußern. Hinter vorgehaltener Hand wurde über einen Preisrutsch von 20 %, wenn nicht 30 % spekuliert.

Die im FTSE Epra Nareit UK Index notierten britischen Immobiliengesellschaften haben seit Jahresbeginn rund ein Drittel ihres Börsenwerts verloren. Das entsprach fast schon dem Negativszenario des diesjährigen Stresstests der Bank of England. Das Planspiel unterstellt einen Rückgang der Wohnimmobilienpreise von fast einem Drittel. Gewerbeimmobilien verbilligen sich unterdessen um fast die Hälfte.

Anders als vor der Finanzkrise waren die Institute bei der Vergabe von Wohnimmobilienkrediten vorsichtiger. Dass sie mehr Eigenkapital verlangten und Produkte vom Markt nahmen, habe die Marktbedingungen nicht verbessert, wird der Makler Stephen Gadsby von Gadsby Nichols aus Derby im RICS-Bericht zitiert. Sein Kollege Tom Wilson von King West in Stamford verglich den vergangenen Monat mit einer Achterbahnfahrt.

„Käufer sind nach dem Mini-Haushalt in Scharen vor den Schrecken des Wohnimmobilienmarkts geflüchtet“, sagte die Analystin Sarah Coles von Hargreaves Lansdown. Inzwischen haben sich die Gemüter wieder etwas beruhigt. Die Bank of England ließ durchblicken, dass die Zinsen nicht so weit steigen könnten wie am Markt bereits eingepreist. Bei der Mutter von Halifax, der Lloyds Banking Group, sieht das nach Wahrscheinlichkeit verschiedener Entwicklungsmöglichkeiten gewichtete Szenario für das kommende Jahr so aus: Die Wohnimmobilienpreise sinken um 8,8 %, Gewerbeimmobilien verbilligen sich gar um 16 %. Die schottische Gruppe ist einer der größten Hypothekenanbieter im Vereinigten Königreich. Die im EY Item Club versammelten Wirtschaftsforscher gehen für die kommenden 12 bis 18 Monate von einem Rückgang der Eigenheimpreise zwischen 5 % und 10 % aus.

Hohes Zinsniveau

Der Halifax-Hauspreisindex sei zwar im Oktober nur um 0,4 % gefallen, während der Nationwide-Index um 0,9 % sank, sagte Martin Beck, Chief Economic Advisor der Vereinigung. Doch habe es sich um den stärksten Rückgang seit Februar 2021 gehandelt sowie um den dritten binnen vier Monaten. „Der Rückgang im Oktober wird sich in den kommenden Monaten wahrscheinlich wiederholen“, sagte Beck. „Ob­wohl die Hypothekenzinsen wieder von den Höchstständen herunter sind, die wir direkt nach dem Mini-Haushalt gesehen haben, bleiben sie im Vergleich zu Anfang bis Mitte September hoch.“

Daten von Immobilienportalen wie Zoopla sind meist aussagekräftiger als die der Hypothekenbanken, weil sie aus den Preisen erstellt werden, zu denen Wohnimmobilien von Partnern der Websites angeboten werden. Denn im britischen Verkäufermarkt sind Angebots- und Ab­nahmepreis nicht weit voneinander entfernt. Die von den Finanzinstituten zusammengestellten Indizes be­ziehen sich dagegen auf die von ihnen gewährten Kredite. Das Luxussegment, in dem dramatische Preissteigerungen zu verzeichnen waren, bleibt dadurch außen vor. Zudem werden die Daten von Halifax und Nationwide saisonal bereinigt.

Wichtig ist, dass die Wohnimmobilienpreise 2022 im Vergleich zum Vorjahr immer noch kräftig gestiegen sind, wenn auch nicht so stark wie 2021, als sich die Wirtschaft gerade vom stärksten Abschwung in drei Jahrhunderten erholte. Halifax zu­folge kostet eine Wohnimmobilie im Schnitt 8,3 % mehr als ein Jahr zuvor. Der Markt ist auch nicht zum Erliegen gekommen. In diesem Herbst werden Zoopla zufolge 300000 Transaktionen abgewickelt. Damit wechselten im laufenden Jahr 1,3 Millionen Objekte den Besitzer. Das knappe Angebot dürfte dafür sorgen, dass die Preise nicht unmittelbar ins Rutschen kommen.

„Nie da gewesene Renditen“

Vermietern spielt die Situation in die Hände. Die Nachfrage nach Mietwohnungen liegt um ein Fünftel über Vorjahresniveau. In London lag die durchschnittliche Miete dem Immobilienportal Rightmove zufolge im dritten Quartal um 16% über Vorjahresniveau. Die Zahl der angebotenen Mietwohnungen ging derweil um ein Viertel zurück. „Während der wirtschaftliche Ausblick ungewiss er­scheint, ist die Zahl der Mieter, die nach London zurückkehren und weiter mieten, gestiegen“, sagte Andrew Weir, der CEO des Immobilienfonds London Central Portfolio. In den teuersten Gegenden der britischen Metropole (London Prime Central) be­laufe sich die durchschnittliche Mietdauer nun auf gut 23 Monate. „Die längere Mietdauer trägt zur Knappheit des verfügbaren Angebots bei, was wiederum zu Preisinflation führt“, sagte Weir. Er rät Anlegern, von den „historisch niedrigen“ Preisen für kleine Wohnungen Gebrauch zu machen, um in den Genuss der „nie da gewesenen Renditen“ zu kommen, die sich damit erwirtschaften ließen. Das kann sich nicht jeder leisten. Für viele Erstkäufer ist es billiger zu mieten als zu kaufen. Nach Rechnung von Rightmove liegt die durchschnittliche monatliche Hypothekenrate für Erstkäufer mit 10 % Eigenkapital um ein Fünftel über der Miete für ein vergleichbares Objekt.

Von Andreas Hippin, London

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