Michael Krake, Weltbank

„Solidarität wird ungebrochen sein“

Die internationale Staatengemeinschaft wird den Finanzierungsbedarf für den Wiederaufbau der Ukraine decken, sagt Michael Krake, Exekutivdirektor bei der Weltbank, im Interview der Börsen-Zeitung.

„Solidarität wird ungebrochen sein“

Peter De Thier.

Herr Krake, die Weltbank hat seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs für die Ukraine Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe bewilligt und größtenteils schon freigegeben. Unklar ist, wie lange der Krieg noch dauern wird. Mit wie viel Hilfe aus Ihrem Hause kann Kiew noch rechnen?

Seit Kriegsbeginn haben wir im Exekutivdirektorium der Weltbank bereits 18 Mrd. Dollar an Hilfe beschlossen, von denen 16 Mrd. Dollar schon ausgezahlt wurden. Das ist eine stolze Zwischenbilanz. Schließlich hat die Weltbank bisher über die Hälfte aller nichtmilitärischen Hilfe für die Ukraine bereitgestellt. Dass die Weltbank über die internationale Staatengemeinschaft derartige Ressourcen mobilisieren konnte und so schnell, agil und massiv reagieren konnte, das ist fast schon eine Meisterleistung. Das geht bei globalen Organisationen in der Regel nicht so schnell.

Und wenn das dennoch nicht reichen sollte?

Ich gehe davon aus, dass die Solidarität der Staatengemeinschaft mit der Ukraine ungebrochen sein wird und das Land weiter unterstützt wird, im Krieg und darüber hinaus. Der ukrainische Haushalt für dieses und das kommende Jahr ist insbesondere auch mit Hilfe der EU weitgehend durchfinanziert, was natürlich zusätzliche Herausforderungen nicht ausschließt. In ersten Analysen schätzt die Weltbank den Finanzierungsbedarf, unter anderem zum Wiederaufbau der Infra­struktur, auf 349 Mrd. Dollar. Diese Zahl wird noch nach oben angepasst werden müssen. So riesig der Betrag ist, sieht das schon wieder machbarer aus, wenn man bedenkt, dass die Finanzierung auf 20 Jahre oder mehr verteilt wird.

Die jüngsten Konjunkturprognosen der Weltbank zeichnen ein eher düsteres Bild. Warum dieser Pessimismus, wenn andere Ökonomen mittlerweile von einer nachlassenden Rezessionsgefahr sprechen?

Die Weltbank sieht in der Tat andauernde Risiken für die Weltwirtschaft. Deswegen haben Weltbank-Ökonomen ihre Voraussagen für das globale Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 3,0 auf 1,7% heruntergesetzt. Mögliche Risiken werden vor allem für die USA, Europa und auch China gesehen – alles Motoren für die Weltwirtschaft. Bei der Jahrestagung im Oktober 2022 hatten wir ja schon gesagt, dass jeden Tag die Gefahr einer Rezession steigen kann. Diese Einschätzung hat gute Gründe, denn wir schauen vor allem darauf, was ein Konjunktureinbruch speziell für die ärmsten Länder der Welt und Armut in Schwellenländern bedeutet.

Können Sie diese spezielle Sicht der Weltbank auf die globale Konjunktur genauer erklären?

Gemeint ist damit, dass die Auswirkungen auf arme Länder trotzdem massiv sein können, selbst wenn eine Rezession aus Sicht der Weltwirtschaft nicht so heftig ausfällt, wie die Mehrheit der Ökonomen noch vor einiger Zeit gedacht oder befürchtet hatte. Anders ausgedrückt: Wenn die USA und Europa einen Husten haben, dann haben die armen Länder womöglich schon eine Lungenentzündung. Die Gründe sind zahlreich: Als Folge einer Rezession, selbst wenn sie auf den ersten Blick nicht ganz so schlimm ausfällt, kann es bei den Kunden der Weltbank, insbesondere den ärmeren Staaten, zu einer deutlich geringeren Investitionstätigkeit, einem starken Rückgang der Exporte, Kapitalabflüssen und somit auch zu erschwerten Finanzierungskonditionen kommen. Hinzu kommt, dass Russlands Angriff auf die Ukraine massive Folgen für die Ernährungssicherheit hat, und zwar weltweit.

Wie kommt der von Entwicklungsministerin Svenja Schulze geforderte „globale Schutzschirm“ voran, der die Schäden und Verluste durch den Klimawandel in ärmeren Volkswirtschaften abfedern soll?

Den Schutzschirm hatte die Ministerin gemeinsam mit den G7 und mit 58 betroffenen Ländern ins Leben gerufen. Die deutsche Anschubfinanzierung in Höhe von 170 Mill. Euro ist schon ein wichtiger Start. Und dass der Schutzschirm gegen den Klimawandel nicht nur ein Konzept ist, sondern schon lebt, das sieht man ja am Beispiel Pakistans. Ich würde den Schutzschirm als echten Fortschritt hin zu mehr Klimagerechtigkeit, aber derzeit auch noch als „zartes Pflänzchen“ beschreiben, weil einerseits die Mechanismen stehen, aber es noch an der großflächigen Finanzierung fehlt. So starteten auch andere globale Finanzierungsinstrumente, und das Geld wird noch kommen. Wichtig ist aber auch, dass wir im Kampf gegen den Klimawandel nicht allein auf einen Mechanismus setzen können.

Zwar sind bei dem Schutzschirm die G7-Länder an Bord. Aber wie sieht es denn mit China, einem der größten Umweltsünder, aus?

China nimmt in Sachen Klimaschutz seine Verantwortung noch nicht in der Form wahr, in der wir uns das wünschen. Gleichwohl hat sich China auf den Weg gemacht, und der Ausbau der erneuerbaren Energiekapazitäten ist enorm. Zu bedenken ist auch, dass wir nicht damit rechnen können, dass China gleich vom ersten Tag an dabei ist, wenn wir im Rahmen der G7 eine neue Finanzierungsinitiative starten. Das Engagement Chinas erwarte ich dann eher im Rahmen der G20. Und auch reiche arabische Länder könnten mehr tun.

Die Ministerin setzt sich ja auch für eine umfassende Reform der Weltbank ein, die sich mehr auf globale Krisen – nicht zuletzt den Klimaschutz – konzentrieren sollte. Wie kommen die Reformbemühungen voran?

Viele der Vorschläge, die Ministerin Schulze bei der Jahrestagung im Oktober eingebracht hat, finden in den derzeitigen Schritten seitens der Weltbank, die sofort danach voll in Fahrt kamen, bereits ihren Niederschlag. Im Kern geht es ja darum, grenzübergreifende und globale Herausforderungen in ihr Geschäftsmodell zu integrieren. Wenn es etwa um Energietransformation, Pandemievorsorge oder den Kampf gegen den Klimawandel geht, müssen wir unser Kerngeschäft, nämlich die Bekämpfung extremer Armut und die Realisierung eines verteilten Wohlstands, um diese grenzübergreifenden Aufgaben ergänzen.

Und worin bestehen die angedachten Maßnahmen genau?

Es gibt verschiedene Ansätze, die Teil einer „evolution roadmap“ sind und uns einen Fahrplan für die nächsten vielleicht zehn Jahre oder mehr geben werden. Dazu können zum Beispiel attraktive Konditionen bei der Finanzierung von Projekten mit grenzüberschreitendem Nutzen gehören, etwa Anreize für die betroffenen Staaten, um auf erneuerbare Energien umzusteigen. Notwendig sind auch bessere Analysen und Diagnosen, um Projekte effizienter umsetzen zu können. Insbesondere müssen wir unsere Klienten zu der Erkenntnis bringen, dass Klimaschutz und Entwicklung zwei Seiten derselben Medaille sind, diese also untrennbar verbunden sind.

Die extreme Armut, deren Bekämpfung zum Kerngeschäft der Weltbank zählt, hat seit der Corona-Pandemie deutlich zugenommen. Was kann getan werden, um den Trend umzukehren?

Wir haben als Weltgemeinschaft in den letzten 20 Jahren mehr als eine Milliarde Menschen aus der extremen Armut – die heute als Pro-Kopf Einkommen von unter 2,15 Dollar pro Tag festgelegt ist – befreit. Das ist ein großer entwicklungspolitischer Erfolg. Gleichwohl werden nach aktuellen Weltbank-Schätzungen bis 2030 vielleicht 600 Millionen Menschen weltweit in extremer Armut leben, das sind 7% aller Erdenbürger. Da die Armut multidimensional ist, muss man sie von mehreren Seiten anpacken. Dazu zählen die Schaffung von Einkommensmöglichkeiten und der Ausbau sozialer Sicherungssysteme. Auch müssen die ärmsten Länder verstärkt in internationale Handelsgeflechte integriert werden. Die müssen nicht global, sondern können durchaus regional sein. Ein großer Teil der Armut wurde aber auch durch Konflikte und geopolitische Fragilität ausgelöst. Da kann die Weltbank weniger tun, da sind vor allem politische Lösungen in den Ländern notwendig.

Das Interview führte

BZ+
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