EZB

Angst vor Fragmentierung ist zurück

Die EZB besiegelt ihre spektakuläre Kehrtwende – und Christine Lagarde sieht sich sogleich mit Befürchtungen vor Verwerfungen an den Staatsanleihemärkten konfrontiert.

Angst vor Fragmentierung ist zurück

ms/rec Amsterdam/Frankfurt

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat die Entschlossenheit der Europäischen Zentralbank (EZB) bekräftigt, ein unerwünschtes Auseinanderlaufen der Renditen für Staatsanleihen in der Währungsunion zu vermeiden. Notfalls würden dazu bestehende Instrumente angepasst oder neue aufgelegt, sagte Lagarde nach der EZB-Sitzung in Amsterdam. Sie kündigte aber keine neuen Maßnahmen an und verwies darauf, dass die Reinvestitionen im Zuge des Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP notfalls mit aller nötigen Flexibilität für dieses Ziel eingesetzt werden.

An den Finanzmärkten wird derzeit über die Auflage eines neuen Programms spekuliert, um für mögliche Verwerfungen an den Staatsanleihemärkten gewappnet zu sein. Die spektakuläre Kehrtwende, die die EZB am Donnerstag besiegelt hat, nährt solche Spekulationen. Der EZB-Rat beschloss, die Leitzinsen im Juli um 25 Basispunkte anzuheben. Zuvor enden zum 1. Juli die billionenschweren Nettokäufe von Staats- und Unternehmensanleihen. Für September hat der EZB-Rat das Ende des Negativzinses auf Bankeinlagen im Euroraum in Aussicht gestellt – dann möglicherweise mit einem größeren Zinsschritt.

Spreads reagieren sofort

Die Euro-Notenbanker ringen teils öffentlich und viel mehr noch hinter den Kulissen um die Frage, ob bei dem angekündigten Ende der EZB-Nettoanleihekäufe zugleich ein neues Instrument nötig ist. Sinn und Zweck: Im Notfall könnte die EZB so gegen als exzessiv angesehene Renditeanstiege für einzelne Euro-Länder und ebensolche Zinsunterschiede vorgehen. Einige Euro-Hüter aus der Peripherie drängen sehr stark in diese Richtung; andere, darunter Bundesbankpräsident Joachim Nagel, sehen das durchaus kritisch.

Zusätzliche Brisanz hat die Diskussion dadurch bekommen, dass sich die Risikospreads zuletzt wieder deutlich ausgeweitet haben. So hat sich etwa der Spread zwischen zehnjährigen Bundesanleihen und entsprechenden italienischen Papieren auf mehr als 200 Basispunkte erweitert. Am Donnerstag kletterte er infolge der EZB-Beschlüsse auf 225 Basispunkte. Zu Jahresbeginn waren es noch weniger als 140 Basispunkte.

EZB-Chefin Lagarde sagte im Rahmen ihrer Pressekonferenz in Amsterdam: „Wir sind der ordnungsgemäßen Übertragung unserer Geldpolitik verpflichtet. Und daher werden wir eine Fragmentierung in dem Maße vermeiden, wie sie diese Übertragung beeinträchtigen würde.“ Lagarde fügte hinzu: „Wenn es notwendig ist, werden wir entweder bestehende angepasste Instrumente oder neue Instrumente einsetzen.“ Die EZB habe in der Vergangenheit „hinreichend bewiesen“, dass sie notfalls willens und bereit zum Handeln sei. Konkreter wurde sie nicht.

Erst einmal sind nun die Reinvestitionen im Zuge des Kaufprogramms PEPP das Mittel der Wahl. Die PEPP-Nettokäufe hatte der EZB-Rat im März dieses Jahres auslaufen lassen. Er will aber noch bis mindestens Ende 2024 fällig werdende Papiere ersetzen. Der PEPP-Bestand beläuft sich auf 1,7 Bill. Euro. Der EZB-Rat betonte am Donnerstag: „Die Wiederanlagen im Rahmen des PEPP können jederzeit flexibel über den Zeitverlauf, die Anlageklassen und die Länder hinweg angepasst werden, wenn es im Zusammenhang mit der Pandemie zu einer neuerlichen Marktfragmentierung kommt.“

Auch beim regulären Kaufprogramm APP, das ab Anfang Juli ebenfalls ruht, hält der EZB-Rat vorerst daran fest, freiwerdende Mittel aus auslaufenden Anleihen zu reinvestieren. Der Anleihebestand soll also bis auf Weiteres konstant bleiben und nicht gleich schrumpfen, wie es die US-Notenbank Fed vormacht. Der EZB-Rat habe darüber diesmal nicht gesprochen, sagte Lagarde.

Von einer sofortigen Zinserhöhung hat der EZB-Rat abgesehen. Auch ein kräftigerer Zinsschritt zum Start der Zinswende im Juli ist aller Voraussicht nach vom Tisch. Über beides war an den Märkten spekuliert worden. Nicht wenige Beobachter dringen angesichts der Rekordinflation von 8,1% im Mai darauf. Ihnen gehen die jüngsten Ankündigungen deshalb nicht weit genug.

Voraussetzung für die Zinserhöhung ist nach eigener Maßgabe, dass zuvor die Nettoanleihekäufe enden. An dieser Abfolge hat der EZB-Rat nicht gerüttelt. Lagarde wiegelte mit Verweis auf dieses sogenannte Sequencing ab, warum der EZB-Rat die Leitzinsen nicht auf der Stelle erhöht hat.

Planmäßig enden im Juni für Geschäftsbanken die bisherigen Rabatte bei Refinanzierungsgeschäften mit der EZB. Die Konditionen der TLTRO genannten Geschäfte waren im Zuge der sehr lockeren Geldpolitik besonders vorteilhaft. Auch damit ist es aufgrund der hohen Inflation, die Lagarde als „großes Problem“ bezeichnete, vorbei.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.