Wachstumstreiber Dienstleistungen

Britische Wirtschaft expandiert wieder

Das britische Wirtschaftswachstum hat sich nach einem Rücksetzer im Juli im August wieder berappelt. Für das abgelaufene Quartal deutet allerdings vieles auf Stagnation hin.

Britische Wirtschaft expandiert wieder

Britische Wirtschaft wächst wieder

Zinserhöhungen machen sich noch nicht in vollem Umfang bemerkbar – Kritik an IWF-Prognose

Das britische Wachstum hat sich nach einem Rücksetzer im Juli trotz Streiks im August wieder berappelt. Für das abgelaufene Quartal deutet aber vieles auf Stagnation hin. Und die Auswirkungen der Zinserhöhungen der Bank of England sind noch nicht in vollem Umfang in der Wirtschaft angekommen.

hip London

Die britische Wirtschaft ist im August wieder gewachsen, nachdem sie im Juli einen Rücksetzer verkraften musste. Treiber war die dominante Dienstleistungsbranche. Industrie und Baugewerbe steuerten weniger bei als erwartet. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, stieg das Bruttoinlandsprodukt um 0,2%. Das entsprach dem Schnitt der Schätzungen von Volkswirten. Für den Juli wurde der Wert allerdings noch etwas nach unten revidiert. Die Statistiker gehen nun von einer Schrumpfung von 0,6% aus. Zuvor hatten sie ein Minus von 0,5% angesetzt.

"Ein Schritt vorwärts, einer zurück"

"Damit setzt sich das Muster 'Ein Schritt vorwärts, einer zurück' fort, das das britische monatliche Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr charakterisiert hat", schrieb der HSBC-Europa-Chefvolkswirt Simon Wells. Nach aktuellem Stand müsste das Wachstum für September bei mindestens 0,5% liegen, um für das dritte Quartal wenigstens einen Zuwachs von 0,1% zeigen zu können.

Die Volkswirte von Barclays rechnen vor diesem Hintergrund für die Monate Juli bis September nur noch mit einer Stagnation. Wells sieht das genauso. Capital Economics erwartet gar eine Schrumpfung um 0,2%. Die Bank of England hatte im Inflationsbericht vom August noch ein Wachstum von 0,4% prognostiziert, bei ihrer Zinsentscheidung im September aber nur noch 0,1% vorhergesagt.

Uns stehen keine großartigen Zeiten bevor. Die Wirtschaft stagniert bereits. Und wir gehen davon aus, dass erst 20% bis 25% der Auswirkungen der Zinserhöhungen in der Wirtschaft angekommen sind.

Swati Dhingra

"Uns stehen keine großartigen Zeiten bevor", sagte die Geldpolitikerin Swati Dhingra der BBC. "Die Wirtschaft stagniert bereits. Und wir gehen davon aus, dass erst 20% bis 25% der Auswirkungen der Zinserhöhungen in der Wirtschaft angekommen sind." Die Dozentin der London School of Economics hatte auf der Sitzung des geldpolitischen Komitees der Bank of England (Monetary Policy Committee, MPC) im August als einziges der neun Mitglieder dagegen gestimmt, den Leitzins um weitere 25 Basispunkte zu erhöhen. Die britische Notenbank hatte ihn von 0,10% im November 2021 auf zuletzt 5,25% angehoben.

Hunt sieht sich bestätigt

Schatzkanzler Jeremy Hunt, der am 22. November seinen Haushaltsentwurf (Autumn Statement) vorlegt, sah sich dagegen von den Daten bestätigt. "Großbritannien ist seit der Pandemie stärker gewachsen als Frankreich und Deutschland", sagte er. "Die heutigen Daten zeigen, dass die Wirtschaft robuster ist als erwartet." Das sei zwar ein gutes Zeichen, man müsse aber weiter gegen die Inflation vorgehen, um nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen.

"Nicht viel nüchterne Analyse"

Der Internationale Währungsfonds (IWF) sprach dem Land für 2024 lediglich ein Wachstum von 0,6% zu. Damit läge das Vereinigte Königreich hinter Deutschland, dem die Ökonomen der Internationalen Organisation einen Zuwachs von 0,9% zutrauen, und Frankreich, dessen Wirtschaft sie ein Plus von 1,3% vorhersagen.

Der IWF liefere "nicht viel nüchterne Analyse" in seinem jüngsten World Economic Outlook, kritisierte Simon French, der Chefvolkswirt von Panmure Gordon. Er habe die Organisation zuletzt in Schutz genommen. Schließlich sei es nicht einfach, wirtschaftliche Vorhersagen zu machen. Doch sei die jüngste Prognose für das Vereinigte Königreich "voller Löcher". Sie sollte "komplett ignoriert" werden, riet French seinen Kunden.

Der IWF habe sich bei seiner Beurteilung auf veraltete Wachstumsdaten gestützt, schrieb French in seiner Auswertung des World Economic Outlook. Die wesentlichen Revisionen einer ganzen Reihe von Daten durch das ONS Anfang September seien unberücksichtigt geblieben. Zudem nehme der IWF an, dass die Bank of England den Leitzins in der Spitze bis auf 6% erhöhen werde. Am Markt habe man dagegen zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Ausblicks unterstellt, dass der Gipfel bereits bei 5,35% erreicht sein wird. Zudem wichen die Prognosen des IWF zur Inflationsentwicklung erheblich von denen der Bank of England ab.

Streiks wirkten sich dem britischen Statistikamt zufolge im August in ganz unterschiedlicher Weise auf die von ihnen betroffenen Branchen aus. Im öffentlichen Gesundheitswesen traten die Krankenhausärzte in den Ausstand. Auch im Bahn- und Busverkehr sowie an den Flughäfen kam es zu Arbeitsniederlegungen. "Aber trotz den Arbeitskampfmaßnahmen verzeichneten nicht alle dieser Branchen im August einen Rückgang", stellten die Statistiker fest.

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