Großbritannien

Denkzettel für Boris Johnson

Das Endergebnis der Kommunalwahlen liegt noch nicht vor, doch eins ist klar: Der Erdrutschsieg für Labour ist ausgeblieben. Die Wähler haben Premier Boris Johnson nur einen Denkzettel gegeben.

Denkzettel für Boris Johnson

Von Andreas Hippin, London

Labour hat der Partei des britischen Premierministers Boris Johnson bei den britischen Kommunalwahlen keine vernichtende Niederlage beibringen können. So viel ist bereits klar, obwohl das endgültige Wahlergebnis noch nicht vorliegt. Zwar verloren die regierenden Tories nach Stand der Auszählung bei Redaktionsschluss 311 Sitze in den Ge­meinderäten des Landes. Doch Labour gewann nur 48 dazu. In London nahm die Oppositionspartei den Konservativen drei Stadtteile ab, in denen sie bislang nur die zweite Geige spielte: Westminster, wo die Tories seit 1964 an der Macht sind, Wandsworth, wo sie seit 1978 regieren, und Barnet, wo Labour noch nie am Ruder war. Das sorgt für Ärger in der Regierungspartei, doch fiel die Niederlage wesentlich kleiner aus als erwartet. Die Meinungsforscher Electoral Calculus und Find Out Now hatten den Verlust von mehr als 800 Sitzen vorhergesagt. Johnson muss sich nach diesem Wahlergebnis keine Sorgen um sein Amt machen.

Londons Bürgermeister Sadiq Khan pries den Labour-Führer Keir Starmer nach der Wahl als „glaubwürdigen“ Parteichef. „Ich glaube, die Bevölkerung hat genug von Boris Johnson und seinen Lügen, genug von der Arroganz des Gemeinderats und genug von der Arroganz der Regierung“, sagte Khan im Stadtteil Westminster.

„Beergate“ belastet

Unterdessen bestätigte die Polizei von Durham, dass sie neue Ermittlungen gegen Starmer wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Covid-Regeln eingeleitet hat. Es geht dabei um eine Zusammenkunft während des Lockdowns im April vergangenen Jahres im Büro der Abgeordneten Mary Foy, an der bis zu 30 Personen teilgenommen haben sollen. Man ließ sich von einem Lieferdienst Curry-Gerichte für 200 Pfund liefern. „Beergate“ begann, als Bilder von Starmer mit einer Flasche Bier auftauchten. Anders als zunächst von der Partei behauptet, war auch Vizechefin Angela Rayner zugegen. Je mehr über das Treffen vor den Kommunalwahlen 2021 ans Licht kam, desto unglaubwürdiger wurde der Eifer, mit dem Starmer den Rücktritt von Johnson und Schatzkanzler Rishi Sunak wegen „Partygate“ forderte, einem Skandal, der sich um Drinks in Johnsons Dienstwohnung, eine Gartenparty und einen Geburtstagskuchen drehte. Nachdem die Londoner Met Police für Verstöße gegen die Kontaktbeschränkungen rund um den Kuchen bereits die ersten Strafmandate in die Downing Street schickte, könnte in der Labour-Zentrale in der Victoria Street demnächst Post aus Durham eingehen.

Jenseits des Londoner Autobahnrings, wo man sich am meisten über Johnsons Verstöße gegen die von ihm selbst verkündeten Covid-Regeln aufregte, machte Labour keine großen Fortschritte. In den „Red Wall“-Wahlkreisen der ehemaligen Arbeiterregionen im englischen Norden hielten sich die Tories vergleichsweise gut. „Beergate“ dürfte dazu beigetragen haben. Und im Speckgürtel der Hauptstadt punkteten die Liberaldemokraten. Sie gewannen 175 Mandate hinzu. Die Grünen, die im britischen Unterhaus mit lediglich einer Abgeordneten, Caroline Lucas, vertreten sind, holten in den Kommunalparlamenten 60 Sitze mehr.

Nationalisten im Aufwind

In Nordirland braut sich unterdessen eine Krise der durch das Karfreitagsabkommen geschaffenen Institutionen zusammen. Aus den Wahlen zum Regionalparlament könnten erstmals die Nationalisten von Sinn Féin als stärkste Partei hervorgehenkommen. Mit der Auszählung wurde erst am Freitag begonnen. Die Exekutive der Region beruht darauf, dass sich Nationalisten und Unionisten die Macht teilen. Bislang stellten die Unionisten stets den First Minister, der sich die Regierungsverantwortung mit seinem Stellvertreter teilt. Nach dem „Cash for Ash“-Skandal um ein Subventionsprogramm für „grüne“ Energien wollte Sinn Féin lange Zeit keinen Deputy First Minister benennen (vgl. BZ vom 14.10.2020). Im Streit um das Nordirland-Protokoll des EU-Austrittsvertrags droht nun die Democratic Unionist Party damit, die Zusammenarbeit aufzukündigen.

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