UN-Klimakonferenz

Der König der Ratten von Glasgow

Ausfallende Züge, eine ausufernde Rattenplage – Großbritannien gibt bei der UN-Klimakonferenz kein besonders aufgeräumtes Bild ab.

Der König der Ratten von Glasgow

Von Andreas Hippin, London

Der Seehund Bonnie, der als Maskottchen für den UN-Klimagipfel in Glasgow herhalten muss, hat große Ähnlichkeit mit den Nagetieren, die in den Straßen der heruntergekommenen schottischen Großstadt ihr Unwesen treiben. Prompt wurde er von den Boulevardblättern zum „König der Ratten von Glasgow“ ernannt. Dabei wollte Gastgeber Boris Johnson doch nur Erinnerungen an die Olympischen Spiele von London wecken, die seiner politischen Karriere äußerst dienlich waren. Das Olympia-Maskottchen Wenlock war noch obskurer, konnte aber visuell nicht mit den realen Missständen in der britischen Metropole in Verbindung gebracht werden. Doch Bonnie erinnert optisch daran, dass der laufende Müllarbeiterstreik in Glasgow für ideale Lebensbedingungen für Ratten gesorgt hat. Angeblich sind sie ziemlich groß und auch noch aggressiv. „Metro“ sprach mit einem Müllmann, der erst einmal eine Tetanus-Spitze brauchte, nachdem er gebissen wurde. Es sei so schlimm, dass die Leute ihre Kinder nicht mehr in Hinterhöfen und Gärten spielen ließen, sagte Chris Mitchell von der Gewerkschaft GMB.

Damit nicht genug: Herbststürme sorgten dafür, dass sich zahlreiche Züge nach Glasgow verspäteten oder ganz ausfielen. Dadurch bekamen die Delegierten, die per Bahn anreisten, einen Eindruck von den Zuständen, mit denen britische Pendler tagtäglich konfrontiert sind. Der für Greta Thunberg und andere Klimaaktivisten gecharterte „Klimazug“ war davon nicht betroffen. Und so wurde zumindest der schwedischen Schülerin ein Empfang zuteil, der eines Rockstars würdig gewesen wäre. Neben Demonstranten und Protestierern ziehen die Klimagipfel seit rund einem Vierteljahrhundert auch Abertausende von Staatsdienern aus aller Welt an. Rund 30 000 Teilnehmer sollen es dieses Jahr sein, weit mehr, als Glasgow standesgemäß unterbringen könnte. Auch gewöhnliche Hotelzimmer sind schon lange nicht mehr zu bekommen.

Wieso eigentlich Glasgow? Der Stadtrat ist der Meinung, dass es an der „Erfahrung der Stadt bei der Ausrichtung von Weltklasse-Events“ liegt, an ihrer Verpflichtung auf Nachhaltigkeit und an ihren „erstklassigen Einrichtungen“. Man wolle schon 2030 die Klimaneutralität erreichen, heißt es auf der Website. Geht es dagegen nach dem konservativen schottischen Abgeordneten Sandesh Gulhane, befindet sich die Stadt in einem „absolut bemitleidenswerten“ Zustand. Man solle sich nichts vormachen: „Wir haben eine völlig widerliche, schmutzige Stadt voller Müll“, zitiert ihn die Website Politico. Gut möglich, dass Glasgow den Zuschlag erhielt, weil die britische Regierung demonstrieren wollte, dass sie es mit der Entwicklung der anderen Nationen des Vereinigten Königreichs ernst meint. Es kann ja nicht jede Konferenz in London stattfinden – „Levelling up“ für Schottland sozusagen. Doch hat die Stadt durch die Konferenz auf sich aufmerksam machen können? Der CNN-Nachrichtenmoderator Wolf Blitzer wollte zuerst über den UN-Klimagipfel in Edinburgh berichten, bis ihm auffiel, dass er doch nicht in der Stadt abgehalten wird, die weit weniger Probleme hat als Glasgow, das einst mit dem Slogan „Miles Better“ für sich warb. Besser als was? „Besser als die Hölle“, lautete damals eine gängige Antwort der Bewohner. Daran hat sich in all den Jahren nicht viel geändert.