Sekundärsanktionen

Der Westen nimmt nun Russlands Wirtschaftsfreunde ins Visier

Nachdem Russland die Sanktionen relativ gut überstanden hat, legt der Westen nun mit Sekundärsanktionen – vor allem im Öl- und Bankensektor – nach. Von den Emiraten bis nach China wird man unruhig.

Der Westen nimmt nun Russlands Wirtschaftsfreunde ins Visier

Der Westen nimmt nun Russlands Wirtschaftsfreunde ins Visier

Mit Indien läuft es plötzlich gar nicht mehr glatt. Da war das Land am Ganges nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Anfang 2022 wie aus dem Nichts zum zweitgrößten Abnehmer russischen Rohöls geworden, weil der Westen sich von diesem loszusagen begann. Zudem war Indien neben China sogar zum Symbol für jenen globalen Süden geworden, der keinen Grund sah, die westlichen Sanktionen gegen Russland mitzutragen. Und nun plötzlich, 2024, beginnen auch die Inder, den russischen Geschäftspartnern eine Abfuhr um die andere zu erteilen.

Fokus auf Sekundärsanktionen

Schon zu Beginn des Jahres ließ Indien keine Tanker mit der russischen Ölsorte Espo und teils auch mit der Sorte Sokol mehr einlaufen. Weshalb zwischenzeitlich über 10 Mill. Barrel – mehr als eine ganze russische Tagesförderung – auf hoher See lagerten und neuer Abnehmer harrten. Und seit Kurzem weigern sich die indischen Raffinerien, jenes Öl anzunehmen, das von der staatlich-russischen Flotte Sovcomflot geliefert wird – und das ist ein Fünftel gemessen an den vorjährigen russischen Öllieferungen nach Indien.

Die Wendung kommt nicht von ungefähr. Vielmehr ist sie eine Reaktion auf den Druck, den die USA – und teils auch die Europäische Union – auf jene Staaten verstärkt haben, die bislang als Routen zur Umgehung der Sanktionen gedient haben. „Sanktionen sind nichts Statisches. Die USA und Europa legen inzwischen den Fokus auf Sekundärsanktionen, um Druck auf diese Staaten auszuüben und die Korridore enger zu machen“, erklärt Marcus Keupp, Militärökonom auf der Militärakademie der ETH Zürich, der Börsen-Zeitung.

Exporteinnahmen beschneiden

Ende 2023 schalteten die EU und insbesondere die USA mittels Sekundärsanktionen einen Gang höher und nahmen unter anderem Reedereien sowie russlandfreundliche Unternehmen ins Visier, die bei der Umgehung des ein Jahr zuvor verfügten Preisdeckels von 60 Dollar je Fass russischen Öls halfen. Mitte Februar 2024 dann belegten die USA Tanker der besagten Sovcomflot mit Sanktionen. „Vor allem Indien ist hier nun sehr darauf bedacht, keine Sanktionen zu verletzen“, sagt Michail Krutichin, Energieexperte der Moskauer Beratungsfirma Rusenergy. „Die Inder kaufen nicht einmal mehr von jenen Förderstätten auf der russischen Pazifikinsel Sachalin, an denen sie selbst mit 20% beteiligt sind.“

Der Druck auf Ölfirmen ist der direkte Hebel, um Russlands wichtigste Exporteinnahmen zu beschneiden. Der indirekte ist der Druck auf Banken, über die Russlands Export- und Importgeschäfte abgewickelt werden. Und über die in den vergangenen zwei Jahren auch Sanktionen umgangen wurden.

Die russischen Großbanken waren gleich zu Kriegsbeginn aus dem Finanzinformationssystem Swift ausgeschlossen worden. Als Ersatz für sie gingen jedoch alsbald kleinere russische Geldinstitute in die Spur, die unter der Wahrnehmungsschwelle der USA zu agieren versuchten. Im Herbst 2023 weiteten die USA die Sanktionen auf einige von ihnen aus. Und sie begannen bei den Banken jener Drittstaaten Stress zu machen, über die am meisten Handel mit Russland läuft.

China und Türkei lenken ein

Kasachstan, dem benachbarten Russland gegenüber ohnehin zunehmend skeptisch eingestellt, lenkte relativ schnell ein. Ins Auge springt nun aber, dass auch die Türkei, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und sogar China teils guten Willen bis Kooperationsbereitschaft zeigen.

Insbesondere die Türkei, die sich als Hub für den umgeleiteten – und oft auch legalen – Warenaustausch zwischen der EU und Russland versteht und selbst regen Handel mit Russland treibt, kappte zu Jahresbeginn einen Teil der Bankverbindungen. Dies bekamen nicht zuletzt die Hunderttausenden russischen Kriegsflüchtlinge in der Türkei zu spüren. Vor allem aber die Unternehmen. So ist der türkische Export nach Russland im Februar gegenüber 2023 um ein Drittel auf 670 Mill. Dollar eingebrochen, teilte das türkische Handelsministerium kürzlich mit.

Auch in den VAE bewegt sich was, wohin viele russische Oligarchen und Ölhändler nach Kriegsbeginn umgesiedelt waren und wo in den vergangenen Wochen einige von deren Konten geschlossen wurden.

Und auch in China tut sich was. Die russische Tageszeitung „Izvestija“ berichtete darüber, dass einige chinesische Banken aus Angst vor Sekundärsanktionen seit Mitte Jänner keine Yuan-Überweisungen aus Russland mehr akzeptieren. Zahlungen in Dollar und Euro waren schon vorher eingestellt worden.

Zahlungsprobleme in Russland

Die Beschränkung der Russen im Import ist das eine. Das andere ist die nun erschwerte Bezahlung des aus Russland exportierten Erdöls bzw. anderer Produkte. Die russischen Ölkonzerne seien mit Zahlungsverzögerungen von mehreren Monaten oder gar Transaktionsverweigerungen konfrontiert, weil einige Banken aus der Türkei, China und sogar den VAE die drohenden Sekundärsanktionen im Blick hätten, berichtete soeben die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf acht Insider. Die Banken würden von ihren Kunden schriftliche Garantien verlangen, dass das überwiesene Geld nicht bei sanktionierten Firmen oder Personen lande. Nicht zufällig ist etwa im Fall der Türkei auch der Import aus Russland im Februar um 35% auf 1,3 Mrd. Dollar gefallen.

Konkret auf China angesprochen, gab Kremlsprecher Dmitri Peskow kürzlich zu, dass Zahlungsprobleme bestünden. „Der beispiellose Druck“ seitens des Westens gehe weiter, sagte er. „Das macht natürlich gewisse Probleme, aber es kann kein Hindernis für die weitere Entwicklung unserer Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sein.“

Umgehung der Sanktionen

Ohnehin bleibt fraglich, wie sehr die Sekundärsanktionen Russland schaden können, nachdem schon die direkten Sanktionen seit Kriegsbeginn weniger wirkten als erwartet. „Die Sekundärsanktionen werden Wirkung zeigen, bis neue Wege zur Umgehung gefunden werden“, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.

Schon 2023 hat sich laut Astrov gezeigt, dass der Ölpreisdeckel von 60 Dollar immer nach einer neuen Sanktionsdrohung eingehalten und dann umgangen worden sei. Auch jetzt wird wieder nach Umgehungswegen gesucht. So ist laut Astrov ein Teil des russischen Öls, das Indien nicht mehr kauft, nach China geliefert worden.

Und wie eine Quelle aus der türkischen Präsidialverwaltung jüngst zur Zeitung „Dünya“ sagte, wird an einer Lösung der Handelseinschränkung mit Russland gearbeitet. Es mache natürlich hellhörig, dass der Westen mit Sekundärsanktionen Druck aufbaue, weil so Russlands neue Handels- und Finanzierungswege mit befreundeten Ländern wie China behindert werden, sagt Oleg Vjugin, Ex-Vize der russischen Zentralbank, zur Börsen-Zeitung: „Aber ich denke, dass in der heutigen Welt auf alle Sanktionen Gegenmaßnahmen gefunden werden können. Sie werden halt immer teurer.“

Sekundärsanktionen im Fokus – Druck steigt insbesondere im Öl- und Bankensektor – Suche nach Umgehungswegen

est Moskau
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