Energieversorgung

Deutschland will Abhängigkeit bei Gas und Öl verringern

Bundeswirtschaftsminister Habeck dringt auf eine Kohle- und Gasreserve. Auch Flüssigerdgas dürfte künftig eine wichtigere Rolle spielen. Alarmiert zeigen sich die deutschen Familienunternehmer.

Deutschland will Abhängigkeit bei Gas und Öl verringern

ast Frankfurt

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine spitzt sich die Lage auf den Rohstoff- und Energiemärkten zu. Deutschland ist von Gas- und Öllieferungen aus Russland abhängig. Allerdings sei die Versorgung nicht in Gefahr, beteuerte die Bundesregierung. Skeptischere Töne kommen aus der Wirtschaft und von Ökonomen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rechnet zumindest kurzfristig mit weiter steigenden Öl- und Gaspreisen. Er hoffe aber, dass sich die Preise im weiteren Verlauf auf einem tragbaren Niveau einpendelten, sagte der Minister am Donnerstag im ZDF. „Wir sind in der Lage, die Versorgungssicherheit auch ohne die Versorgung aus Russland zu gewährleisten.“ Zwar hänge die deutsche Gasversorgung zu 55% an russischem Gas, die Versorgung sei aber selbst für den Fall sicher, dass Russland die Gasversorgung ganz einstelle. Auch die Sanktionen, die verabschiedet würden, seien darauf angelegt, „dass sie die russische Wirtschaft scharf und die deutsche Wirtschaft möglichst gering treffen werden“, so Habeck weiter.

Der Branchenverband „Zukunft Gas“ sieht die Versorgung ebenfalls nicht gefährdet. „Wir sehen, dass die Speicher dank des warmen Wetters der letzten Wochen tatsächlich wieder in den Korridor der letzten fünf Jahre zurückkommen, was die Füllstände betrifft“, sagte der Geschäftsführer des Verbandes, Timm Kehler. Auch seien die Gasflüsse durch die Ukraine gegenwärtig nicht eingeschränkt (siehe Grafik).

Am Mittwoch hatten Ökonomen gewarnt, dass die kaum gefüllten deutschen Gasspeicher ein Problem darstellen könnten. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sieht einer Berechnung im Auftrag der Atlantik-Brücke zufolge Deutschland kurzfristig gut abgesichert. Allerdings gelte es, die Gasspeicher wieder zu füllen. Diese waren bereits Mitte Februar nur noch zu einem Drittel gefüllt. Deutschland war mit nur 67% Füllstand in den Winter gestartet – gegenüber 95% in den Vorjahren.

Weit weniger optimistisch zeigen sich deutsche Unternehmer. Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands der Familienunternehmer, kritisierte die Bundesregierung dafür, sich zu lange „einseitig auf bislang chronisch unzuverlässige heimische Erneuerbare und russische Gasimporte“ konzentriert zu haben. „Andere EU-Länder sind hier wesentlich breiter aufgestellt“, so Eben-Worlée. Andere Energiequellen müssten die Lücke kurzfristig schließen, „da sich die geplanten Gas-Importmengen zumindest mittelfristig nicht mehr zu einem akzeptablen Preis besorgen lassen“. Allerdings gefährde die Kohleverstromung die deutschen CO2-Vermeidungsziele – abgesehen davon, dass Russland auch bei der Steinkohle Hauptlieferant ist. „Daher sollte beispielsweise auch geprüft werden, ob übergangsweise auf Atomstrom zurückgegriffen werden kann“, so Eben-Worlée. Dieser würde ohnehin aus dem Ausland importiert und ein definiertes Enddatum könne verhindern, dass der Atomausstieg als solcher in Frage gestellt werde.

Künftig mehr Flüssiggas

Als Reaktion auf die zugespitzte Lage kündigte Bundeswirtschaftsminister Habeck am Donnerstag den Aufbau einer Gas- und Kohlereserve an. Die Eigentümer der Gasspeicher, die in der Hand privater Unternehmen sind, will Habeck zudem bis zum Beginn des kommenden Winters verpflichten, ihre Speicher zu füllen. Als Konsequenz aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland fordert Habeck zudem mehr Schwung beim Ausbau der Erneuerbaren.

Die „Bräsigkeit und Bequemlichkeit“, mit der die klimafreundliche Energieversorgung bislang aufgebaut worden sei, würden nun einem „hartem Wirklichkeitstest“ unterzogen. „Ich denke, aber ich erwarte es auch, und ich werde alles in meiner Kraft Stehende tun, darauf hinzuwirken, dass wir diese Schlafmützigkeit jetzt ablegen und schnell das tun, was notwendig ist und ja längst als notwendig erkannt wurde“, versicherte Habeck. Schon seit Jahresbeginn gebe es im Wirtschaftsministerium Arbeitsstäbe, die sich mit den Auswirkungen von Sanktionen und kriegerischen Ereignissen auf die deutsche Wirtschaft und die Energieversorgung befasst hätten.

Bereits Ende Januar sagte Habeck, er wolle in Zukunft auch auf Flüssigerdgas (LNG) setzen. Bislang hat Deutschland als einziges Land kein Terminal, das die Abnahme von etwa amerikanischem Fracking-Gas er­möglicht. Allerdings verringert Flüssigerdgas nicht die deutsche Importabhängigkeit bei der Energieversorgung, es verlagert sie nur von Russland nach Amerika.

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