GastbeitragZahlungsverkehr

Digitaler Euro – eine Lösung auf der Suche nach einem Problem

Die Einführung eines digitalen Euros schafft mehr Probleme als sie löst, ist sich unser Gastautor Jörg Krämer sicher. Der Chefvolkswirt der Commerzbank schreibt, es gehe nur scheinbar um eine Digitalisierung des Zahlungsverkehrs.

Digitaler Euro – eine Lösung auf der Suche nach einem Problem

Digitaler Euro – eine Lösung auf der Suche nach einem Problem

Digitale Bank Runs, ein Machtzuwachs für die staatliche EZB, hohe Kosten für die Banken – die Risiken eines digitalen Euro sind hinreichend diskutiert. Nun könnte man sie in Kauf nehmen, um in den Genuss der Vorteile zu kommen. Aber die gibt es kaum. Christopher Waller, Direktoriumsmitglied der US-Notenbank, hat es auf den Punkt gebracht: Digitales Zentralbankgeld sei eine Lösung auf der Suche nach einem Problem.

Beim digitalen Euro geht es nur scheinbar um eine Digitalisierung des Zahlungsverkehrs. Schließlich können Bankenkunden ihre Guthaben – Forderungen gegen die Geschäftsbanken – schon lange elektronisch per Mausklick überweisen. Stattdessen würde ein digitaler Euro den Bürgern erlauben, Guthaben nicht nur bei ihren Banken zu unterhalten, sondern auch direkt bei der EZB. Sie könnten mit Forderungen gegen die EZB, also mit Zentralbankgeld, elektronisch zahlen – wie sie es mit Bargeld schon immer tun, das ebenfalls eine Forderung gegen die Zentralbank darstellt.

Argumente überzeugen nicht

Das alles hört sich auf den ersten Blick gut an. Aber bei genauem Hinsehen überzeugen die von der EZB vorgebrachten Argumente für einen digitalen Euro nicht:

Verhindern von Monopolen: Nach Fabio Panetta, einem Mitglied des EZB-Direktoriums, sollte der Zahlungsverkehr nicht privaten Anbietern allein überlassen werden. Ansonsten drohten Monopole zulasten der Kunden, insbesondere durch große digitale US-Technologieunternehmen. Aber bisher kann von eingeschränktem Wettbewerb oder gar Monopolen keine Rede sein. Der Wettbewerb zwischen den Anbietern von Zahlungsdienstleistungen ist im Euroraum intensiv. Drohten irgendwann doch Monopole, wäre es Aufgabe der Wettbewerbsbehörden, diese aufzubrechen. Aber dazu wäre es nicht notwendig, dass der Staat in Form der EZB direkt als Anbieter am Markt in Erscheinung tritt.

Strategische Autonomie: Als Argument für einen digitalen Euro führt die EZB auch die Notwendigkeit eines starken, autonomen Europas ins Feld. Der Euro müsse als hoheitliche Währung gegen privates Digitalgeld verteidigt werden, damit Europa autonom bleibe. So stellte die zwischenzeitlich von Facebook geplante Währung Libra eine Konkurrenz zum Euro dar, weil sie nicht nur durch Euro, sondern durch einen Währungskorb gedeckt werden sollte. Aber für Bürger hätte ein Währungsrisiko bestanden, das sie in der Regel nicht eingehen, solange der Euro halbwegs stabil ist. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass Menschen nur dann auf andere Währungen oder privates Geld wie Gold oder Zigaretten ausweichen, wenn die eigene Währung durch Hyperinflation zerrüttet ist. Um ein solches Abwenden vom gesetzlichen Zahlungsmittel zu verhindern, benötigt man aber nicht einen digitalen Euro, sondern eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, zu der die EZB verpflichtet ist.

Risiko digitaler Bank Runs

Vertrauensanker: Bankguthaben der Bürger sind Forderungen gegen Banken, also privates Geld. Als Ersatz für staatliches Geld wird es nur akzeptiert, weil sich Bankkunden ihre Guthaben in Bargeld, also physischem Zentralbankgeld, auszahlen lassen können. Diese Garantie ist der Vertrauensanker der Bankguthaben. Aber das Auszahlen sehr großer Summen ist wenig praktikabel. Schließlich sind der Transport und das Lagern mit beträchtlichen Risiken verbunden. Zwar entstünden beim digitalen Euro keine Transport- und Lagerkosten. Allerdings würde das mit dem Risiko digitaler Bank Runs erkauft. Denn bei tatsächlichen oder vermeintlichen Finanzkrisen würden viele Bürger ihre Bankguthaben in digitale Euro umtauschen, weil dazu anders als bei Barauszahlungen nur eine Wischbewegung auf dem Smartphone nötig wäre. Banken und die EZB hätten zu wenig Zeit zum Gegensteuern; Banken könnten illiquide werden und zusammenbrechen. Um das zu verhindern, will die EZB eine Obergrenze für den digitalen Euro einführen. Dann wäre der digitale Euro aber ebenso wie Bargeld kein unbegrenzter Vertrauensanker für Bankeinlagen.

EZB: Bargeld bleibt

Darüber hinaus werden in der wissenschaftlichen Literatur andere vermeintliche Vorteile digitalen Zentralbankgeldes diskutiert, die aber meist keine sind:

Verbrechensbekämpfung: Mit digitalem Zentralbankgeld ließen sich Zahlungen besser überwachen und Geldwäsche, Terrorfinanzierung und andere kriminelle Handlungen bekämpfen. Aber das setzt die Abschaffung von Bargeld und das Fehlen jeglicher Privatheit bei digitalem Zentralbankgeld voraus. Aber EZB und EU-Kommission beteuern, das Bargeld nicht abschaffen zu wollen und die Privatsphäre der Bürger zu achten. Außerdem plant die EZB, den digitalen Euro nicht nur in Form von EZB-Konten einzuführen, sondern auch speicherbar auf Mobiltelefonen, so dass Kunden Beträge wie Bargeld direkt, ohne Zutun der EZB, an andere Personen übertragen könnten. Wenn die EZB daran dauerhaft festhielte, brächte der digitale Euro keine Vorteile bei der Verbrechensbekämpfung.

Inklusion: Als Vorteil digitalen Zentralbankgeldes wird häufig genannt, dass damit alle Menschen in den Genuss von Bankkonten kämen. Aber dieses Argument gilt nicht für entwickelte Regionen wie den Euroraum, sondern nur für Entwicklungsländer.

Bürgergeld: Digitales Zentralbankgeld könnte einen radikalen Umbau des Geldsystems im Sinne des Vollgeldes ermöglichen. In diesem System wären die Einlagen der Bürger absolut sicher, weil sie nur bei der Zentralbank, nicht aber mehr bei Banken unterhalten werden dürften. Aber neues Geld könnte dann nicht mehr dadurch geschaffen werden, dass Banken Kredite vergeben und den Gegenwert auf den Konten der Bürger gutschreiben, die es im Vollgeldsystem ja nicht mehr gibt. Stattdessen gewährt die Zentralbank dem Staat zins- und tilgungsfreie Kredite. Der Staat bringt das faktisch geschenkte Geld in Umlauf, indem er Löhne, Renten und sonstige Rechnungen bezahlt. Aber das wäre Staatsfinanzierung durch die Notenpresse – mit all den fatalen Folgen für die Geldwertstabilität.

Klare Obergrenzen vorschreiben

Alles in allem überzeugen die vorgebrachten Vorteile eines digitalen Euro nicht. Es gibt nicht die Probleme, die ein digitaler Euro lösen soll. Trotzdem wird ihn die EZB am Ende einführen. Umso wichtiger ist es, seine Nachteile zu vermeiden. Im Hinblick auf die Gefahr eines digitalen Bank Run also klare Obergrenzen. Die EU sollte diese der EZB zwingend vorschreiben.

Jörg Krämer

Chefvolkswirt Commerzbank