Ukraine-Krieg

EU verabschiedet neues Sanktionspaket

Am späten Donnerstagabend haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf ein neues Sanktionspaket gegen Russland geeinigt, das auch einen Importstopp für Kohle beinhaltet. Eine neue Studie hält zudem einen Gas-Importstopp für verkraftbar.

EU verabschiedet neues Sanktionspaket

Die 27 EU-Staaten haben das fünfte große Paket mit Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht. Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten billigten am Donnerstagabend Vorschläge der EU-Kommission, die einen Importstopp für Kohle, Holz und Wodka sowie zahlreiche weitere Strafmaßnahmen vorsehen. Das teilte die französische EU-Ratspräsidentschaft auf Twitter mit. Damit die Sanktionen in Kraft treten können, müssen die notwendigen Rechtsakte nun im schriftlichen Verfahren angenommen und im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Diese Schritte gelten als Formalie und sollen an diesem Freitag abgeschlossen werden.

Einen früheren Abschluss der Verhandlungen verhinderte Polen. Nach Angaben von Diplomaten wollte das Land zunächst nicht akzeptieren, dass die Übergangsfrist für den Importstopp für russische Kohle auf Wunsch von Ländern wie Deutschland vier Monate betragen soll – und nicht wie ursprünglich von der Kommission geplant drei Monate. Ebenfalls umstritten war die Forderung von Ländern wie Griechenland und Malta, die Regelungen für die geplante Hafensperre nicht ganz so streng zu formulieren, wie dies von der EU-Kommission ursprünglich geplant wurde.

Reaktion auf Kriegsverbrechen

Grund für die neuen scharfen Sanktionen gegen Russland ist insbesondere die Entdeckung von Kriegsverbrechen in der Umgebung der Hauptstadt Kiew nach dem Abzug russischer Truppen. Vor allem die Bilder von teils gefesselten Leichen auf den Straßen des Vororts Butscha sorgen für Entsetzen. Die Ukraine macht russische Truppen für die Gräueltaten an den Bewohnern verantwortlich. Moskau bestreitet das und spricht von einer Inszenierung, aber ohne Beweise vorzulegen.

Die neuen Strafmaßnahmen sollen nun den Druck auf Russland erhöhen – vor allem, indem dem Land hohe wirtschaftliche Kosten auferlegt werden. So könnte allein das Kohleembargo nach Angaben der EU-Kommission Einnahmeausfälle in Höhe von rund 4 Mrd. Euro pro Jahr bedeuten.

Weitere Banken im Sanktionspaket

Ebenso Teil des Sanktionspakets ist ein vollständiges Transaktionsverbot zulasten vier wichtiger russischer Banken, zu denen die zweitgrößte russische Bank VTB zählt. Auch soll russischen Schiffen unter russischer Flagge das Einlaufen in EU-Häfen verboten werden. Ausnahmen soll es für die Lieferung von Lebensmitteln, humanitäre Hilfe und Energie geben.

Um die russische Wirtschaft zusätzlich zu schwächen, soll es weitere Beschränkungen für den Handel mit Russland mit einem Umfang von rund 10 Mrd. Euro geben. Dazu gehören nach Kommissionsangaben etwa Quantencomputer und Transportmittel. Produkte wie Holz, Zement und Meeresfrüchte im Wert von 5,5 Mrd. Euro sollen außerdem nicht mehr in die EU importiert werden. Russische Unternehmen werden ferner nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen in den EU-Staaten teilnehmen dürfen.

Hinzu kommt, dass weitere Personen aus dem Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Sanktionsliste kommen sollen. Das bedeutet, dass sie nicht mehr in die EU einreisen dürften und etwaige Vermögen in der EU eingefroren werden würden. Unter den Betroffenen sind auch die beiden Töchter von Russlands Präsident Wladimir Putin.

Nach Angaben der US-Regierung, die ebenfalls Putins Töchter sanktioniert, ist Katerina Wladimirowna Tichonowa eine technische Führungskraft, die mit ihrer Arbeit die russische Regierung und die Verteidigungsindustrie unterstützt. Ihre Schwester Maria Wladimirowna Woronzowa leitet demnach staatlich finanzierte Programme, die vom Kreml mit Milliardensummen für die Genforschung gefördert und von Putin persönlich überwacht werden. Über Putins Töchter ist wenig bekannt. Tichonowa ist 1986 geboren, ihre Schwester 1985.

Von der Leyen auf dem Weg nach Kiew

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist auf dem Weg nach Kiew. Sie will dort den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen. Sie brach in der Nacht zum Freitag mit dem Zug von Südostpolen in die ukrainische Hauptstadt auf. Die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin ist die erste westliche Spitzenpolitikerin, die seit Bekanntwerden der Kriegsgräuel im Kiewer Vorort Butscha die Ukraine besucht.

Neue Argumente für ein Gas-Importstopp

Nach wie vor wehrt sich die Bundesregierung, neben der Kohle auch den Gasbezug aus Russland in die Sanktionsliste aufzunehmen. Sie argumentiert, dass dies nicht über längere Zeit durchzuhalten sei und enorme wirtschaftliche Schäden verursachen würde. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) widerspricht aber. Deutschland könne noch in diesem Jahr und damit früher als von der Bundesregierung vorhergesagt ohne russische Erdgaslieferungen auskommen, heißt es in einer Studie. „Wenn die Energie-Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert“, heißt es im Fazit der Ausarbeitung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geht hingegen davon aus, dass Deutschland noch bis Mitte 2024 benötigt, um von russischem Gas unabhängig zu werden.

Für einen schnelleren Abschied ist der Studie zufolge nicht erforderlich, dass Deutschland eigene Terminals für das von anderen Förderstaaten per Schiff gelieferte Flüssiggas (LNG) baut. „Der Bau von LNG-Importterminals an der Küste ist aufgrund der langen Bauzeiten und dem mittelfristig stark rückläufigen Erdgasbedarf nicht sinnvoll“, schreibt das Autorenteam Robin Sogalla, Christian von Hirschhausen, Franziska Holz und Claudia Kemfert. Stattdessen sollten die Erdgasimporte aus klassischen Lieferländern wie Norwegen oder den Niederlande deutlich ausgeweitet werden. Allein durch mehr Importe aus dem skandinavischen Land könnten etwa ein Fünftel der bisherigen russischen Einfuhren von mehr als 50 Mrd. Kubikmeter pro Jahr eingespart werden, die bislang etwa 55% der gesamten Gasimporte ausmachen.

Auch könnten die bereits vorhandenen LNG-Terminals in den Niederlanden (Rotterdam), Belgien (Zeebrugge) und Frankreich (Dunkerque) genutzt werden, um mehr Flüssiggas über das europäische Pipelinenetz nach Deutschland zu leiten. Dadurch könnte mehr als ein Viertel des russischen Imports wegfallen. Weiterhin sei es notwendig, die vorhandenen Speicher rechtzeitig vor Beginn der Heizperiode im Winter 2022/23 auf 80 bis 90 Prozent aufzufüllen. Eine effizientere Nutzung des deutschen und europäischen Pipelinesystems zur Verbindung Deutschlands mit Südeuropa, wo Lieferungen von nordafrikanischen Ländern wie Algerien und Libyen ankommen, könnte künftig die Situation weiter entspannen.

„Zwar reicht das zusätzliche Angebot nicht aus, um die gesamten bisherigen russischen Erdgasimporte zu ersetzen”, räumt das DIW ein. In Kombination mit einem rückläufigen Erdgasverbrauch könne die deutsche Energieversorgung jedoch gesichert werden. So könne der Bedarf zwischen 18 und 26% gesenkt werden – etwa durch den vollständigen Ersatz von Erdgas in der Stromerzeugung. Dadurch könne bis zur Hälfte der russischen Lieferungen wegfallen. „Während Erdgas im Stromsektor kurzfristig durch alternative Energieträger ersetzt werden kann, gehen die Einsparungen bei der Industrie mit einem Produktionsrückgang einher“, räumen die Expertinnen und Experten ein. „Die besonders betroffenen Branchen sollten daher entschädigt werden.“

Bei den privaten Haushalten könne Erdgas meist nur durch eine geringere Nachfrage eingespart werden. Daher seien schnellstmöglich Energiesparkampagnen notwendig. “Darüber hinaus müssen jetzt rasch Maßnahmen umgesetzt werden, die die Energieeffizienz steigern und den Umstieg auf erneuerbare Wärme (in Verbindung mit Wärmepumpen) erleichtern”, so das DIW.

Weitere Waffenlieferungen

Die Ukraine kann zudem auf weitere EU-finanzierte Waffenlieferungen hoffen. EU-Ratspräsident Charles Michel teilte mit, der Außenbeauftragte Josep Borrell den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgeschlagen, zusätzliche 500 Mill. Euro zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Armee bereitzustellen. Damit würden sich die zur Verfügung stehenden Mittel auf 1,5 Mrd. Euro erhöhen. Er unterstütze den Vorschlag Borrells, erklärte Michel.

Technisch gesehen kommt das Geld für die Militärhilfe derzeit aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität. Sie ist ein neues Finanzierungsinstrument der EU, das auch genutzt werden kann, um die Fähigkeiten von Streitkräften in Partnerländern zu stärken. Für den Zeitraum von 2021 bis 2027 ist die Friedensfazilität mit rund 5 Mrd. Euro ausgestattet, die von den Mitgliedstaaten eingezahlt werden.

Für die Ukraine sind seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar bereits 1 Mrd. Euro freigegeben worden. Deutschland finanziert nach Angaben von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht rund ein Viertel der EU-Unterstützung.

Russland wirft dem Westen vor, mit den Waffenlieferungen an die Ukraine den Konflikt zu verschärfen. „Wir sehen, wie gefährlich unsere westlichen Kollegen, einschließlich der Europäischen Union, jetzt handeln“, sagte jüngst Außenminister Sergej Lawrow. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell entgegnete, die EU werde die Ukraine weiterhin gegen die Aggression Russlands unterstützen. Diese füge der ukrainischen Bevölkerung unsägliches Leid zu.

USA verhängen neue Zölle

Auch die USA drehen weiter an der Sanktionsschraube. Der US-Kongress hat wegen des Ukraine-Krieges die Aussetzung der normalen Handelsbeziehungen zu Russland beschlossen. Der Senat und das Repräsentantenhaus verabschiedeten am Donnerstag einen entsprechenden Gesetzentwurf, der den Weg für höhere Zölle auf russische Waren freimacht. US-Präsident Joe Biden hatte Mitte März angekündigt, er wolle diese Änderung in Zusammenarbeit mit dem Kongress in Gang setzen. In den USA muss dafür das Parlament tätig werden. Im Senat fiel der Beschluss in einem seltenen einstimmigen Votum. Im Repräsentantenhaus gab es für die Änderung eine überwältigende Mehrheit bei lediglich drei Gegenstimmen. Der Präsident muss das Gesetz nun noch unterzeichnen.

Konkret geht es um handelspolitische Vergünstigungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), die aufgehoben werden. Russland wird der Status als „meistbegünstigte Nation“ entzogen. Dieser Grundsatz schreibt die Gleichbehandlung der Länder in der WTO bei Zöllen und anderen Regulierungsmaßnahmen vor. Moskau kann diese Maßnahme vor dem Streitschlichtungsausschuss der WTO anfechten.

Mit dem vom US-Kongress beschlossenen Gesetzentwurf werden auch die Handelsbeziehungen zu Belarus eingeschränkt. Das Nachbarland Russlands steht Moskau bei dem Krieg gegen die benachbarte Ukraine zur Seite, ohne sich direkt militärisch zu beteiligen. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko ist ein enger Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die russische Armee nutzt Belarus als Aufmarschgebiet gegen die Ukraine.

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