Geldpolitik

EZB ebnet Weg für Zins­erhöhung im Juli

Die Europäische Zentralbank beschließt eine Kehrtwende – auch wenn der EZB-Rat von einer sofortigen Zinserhöhung absieht. Auch in Sachen Inflation schlägt die Notenbank neue Töne an.

EZB ebnet Weg für Zins­erhöhung im Juli

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird aller Voraussicht nach im Juli ihre Leitzinsen erhöhen – und zwar zunächst um 25 Basispunkte. Das hat der EZB-Rat am Donnerstag beschlossen. Die Nettokäufe von Staats- und Unternehmensanleihen enden demnach zum 1. Juli. Den Beschlüssen zufolge dürfte der Negativzins auf Bankeinlagen im Euroraum im September enden. Für die zweite avisierte Zinserhöhung behält sich der EZB-Rat einen größeren Schritt vor. Der Dax sackte nach Bekanntgabe der Beschlüsse ab.

Mit dem jetzt beschlossenen Ende der Anleihekäufe und der avisierten Zinswende besiegelt die EZB eine in ihrer Geschichte wohl beispiellose Kehrtwende. Grund ist die anhaltend hohe Inflation im Euroraum. EZB-Chefin Christine Lagarde räumte im Anschluss an die Sitzung des EZB-Rats in Amsterdam ein, die auf über 8 % gestiegene Teuerung in Euroland stelle ein „großes Problem“ dar.

Viel länger als andere Zentralbanken hatte sie an dem Narrativ festgehalten, dass die hohe Inflation nur vorübergehend sei und ein starkes geldpolitisches Gegensteuern abgelehnt. So erklärt sich, dass sie bis zuletzt immer noch in großem Stil Anleihen aufkaufte und an Null- und Negativzinsen festhielt. Das sorgte vor allem in Deutschland für immer mehr Kritik – und teils öffentlichen Dissens unter den Euro-Hütern.

Nun konstatiert der EZB-Rat: „Die Inflation wird noch einige Zeit unerwünscht hoch bleiben.“ Die Projektionen für die Inflationsentwicklung hat die EZB einmal mehr über den gesamten Zeitraum bis 2024 nach oben korrigiert. Sie kalkuliert nun für dieses Jahr mit einer Inflationsrate von durchschnittlich 6,8%. 2023 erwartet sie 3,5% und 2024 dann 2,1%. Die Aufwärtsrevision für 2024 ist besonders relevant, weil die EZB somit erstmals damit rechnet, dass die Inflation bis zum Ende des von ihr betrachteten Zeitraums über dem Ziel von glatt 2% liegen dürfte.

Für den EZB-Rat sind die Bedingungen für den Start von Zinserhöhungen erfüllt. Vereinzelte Spekulationen, die EZB könnte auf der Stelle die Leitzinsen erhöhen, haben sich aber nicht erfüllt. Bei der nächsten Sitzung im Juli soll es dann soweit sein. Laut den Beschlüssen hat sich der EZB-Rat auf eine anfängliche Erhöhung um 25 Basispunkte festgelegt. Ein kräftigerer Schritt zu Beginn stand im Raum und könnte im September folgen. Das sei abhängig vom weiteren mittelfristigen Inflationsausblick. Für die Zeit danach hält der EZB-Rat „allmähliche, aber anhaltende weitere Zinserhöhungen“ für angemessen.

Sorgen über ein nachlassendes Wirtschaftswachstum stehen erkennbar hinten an. Die EZB hat ihre Wachstumsprognosen zwar abgesenkt, auf 2,8% in diesem und 2,1% im nächsten Jahr. Zugleich betont der EZB-Rat: „Die Bedingungen für ein weiteres Wirtschaftswachstum sind jedoch gegeben“. Für 2024 rechnet die EZB nun mit einem etwas stärkeren Wachstum von 2,1% statt 1,6%.

Nettoanleihekäufe enden

Voraussetzung für die Zinserhöhung ist nach eigener Maßgabe, dass zuvor die Nettoanleihekäufe enden. Das ist Anfang Juli der Fall. Der EZB-Rat hält aber vorerst daran fest, freiwerdende Mittel aus auslaufenden Anleihen zu reinvestieren. Der Anleihebestand soll also konstant bleiben und nicht gleich schrumpfen, wie es die US-Notenbank Fed vormacht. Der EZB-Rat habe darüber diesmal nicht gesprochen, sagte Lagarde.

An den Märkten war zudem über die Auflage eines neuen Programms spekuliert worden, um für mögliche Verwerfungen an den Staatsanleihemärkten gewappnet zu sein. Hinweise darauf sind den geldpolitischen Beschlüssen nicht zu entnehmen. Auf Nachfrage ließ Lagarde die Möglichkeit offen, entweder bestehende Instrumente anzupassen oder – „falls nötig“ – neue einzuführen. „Es darf keine Fragmentierung geben“, betonte Lagarde. Als Maßstab für Fragmentierung im Euroraum gelten die Zinsabstände. Die sogenannten Spreads zwischen Bundesanleihen und Anleihen höher verschuldeter Staaten wie Italien sind in jüngerer Zeit deutlich gestiegen.

Planmäßig enden im Juni für Geschäftsbanken die bisherigen Rabatte bei Refinanzierungsgeschäften mit der EZB. Die Konditionen der TLTRO genannten Geschäfte waren im Zuge der sehr lockeren Geldpolitik besonders vorteilhaft.

Unmittelbar vor der heutigen Sitzung hatten in einer Umfrage der Börsen-Zeitung führende Ökonomen und Ex-Notenbanker die EZB zu einer raschen Zinswende gedrängt. Umstritten ist demnach aber, ob die EZB ihren Einlagenzins im Juli gleich um 50 statt 25 Basispunkte anheben sollte und wie weit die Zinserhöhungen gehen sollten – eine Frage, die zuletzt auch den EZB-Rat gespalten hatte.

„Die Inflation muss gesenkt werden, um die Glaubwürdigkeit der EZB und ihr Bekenntnis zum Inflationsziel wiederherzustellen und zu bekräftigen“, sagt etwa Ricardo Reis, Professor an der London School of Economics. Reis, der unlängst die G7-Finanzminister und -Notenbankchefs beim Treffen in Königswinter beraten hatte, plädierte für eine erste Zinserhöhung um 50 Basispunkte im Juli – „um die vielen Monate verlorenen Bodens und die Tatsache, dass die EZB hinter die Kurve gefallen ist, auf­zuholen“.

Auch Ex-EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark sagte in der Umfrage: „Die EZB sollte sofort und in größeren Schritten als avisiert die Zinsen erhöhen, sonst droht die Inflation außer Kontrolle zu geraten.“ Zum Jahresende müsse der Einlagenzins, der aktuell bei −0,5% liegt, bei 1,25 % bis 1,5 % liegen. „Weitere Schritte müssen 2023 folgen“, so Stark.

 Dagegen plädierte etwa Athanasios Orphanides für 25 Basispunkte und mahnt die EZB zur Vorsicht. „Sie muss vermeiden, überzureagieren und eine unnötige Re­zession zu verursachen“, sagte Orphanides, der früher die Zen­tralbank Zyperns geleitet hat und für seine Forschung zur Geldpolitik weltweit geschätzt wird. „Eine Wiederholung der Fehler, die im Jahrzehnt vor der Pandemie gemacht wurden, wäre für Europa katastrophal.“

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