Sören Hettler

EZB sucht bei digitalem Euro nach Konsistenz

Der EZB-Rat wird Mitte Juli entscheiden, ob das Projekt digitaler Euro offiziell angegangen wird. Noch sind jedoch viele Fragen offen.

EZB sucht bei digitalem Euro nach Konsistenz

Am 14. Juli dürfte der EZB-Rat entscheiden, ob das Projekt digitaler Euro offiziell angegangen wird. Angesichts der Äußerungen aus den Reihen der Verantwortlichen ist nur schwer vorstellbar, dass sich das Gremium gegen eine Fortsetzung der bereits laufenden Arbeiten an einer digitalen Zentralbankwährung (CBDC) für den Euroraum ausspricht. Wie der digitale Euro aussehen soll, bleibt abzuwarten. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht ein aktuelles Interview mit dem zuständigen EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta, in dem er nicht nur die Eckpfeiler eines möglichen digitalen Euro hervorhebt, sondern einige zusätzliche Aspekte nennt, die aufhorchen lassen.

Die zentrale Ausgangsposition der EZB für eine CBDC im Euroraum ist die perspektivisch rückläufige Nutzung von Bargeld als alltägliches Zahlungsmittel. Grund dafür ist die zunehmende Bedeutung digitaler Zahlungsmethoden und des E-Commerce. Werden Scheine und Münzen nach und nach kaum noch eingesetzt oder nicht mehr flächendeckend akzeptiert, verschwindet damit nicht nur der momentan einzige Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Zentralbankgeld. Auch die Aufgaben von Bargeld, darunter die Gewährleistung eines Sicherheitsnetzes in Krisenzeiten, würden nicht mehr wahrgenommen. Ein digitaler Euro sollte demnach eine ausfallsichere („risikolose“) Geldform darstellen, die auch noch in der hintersten Ecke des Euroraums kostenlos, anonym und im Bedarfsfall ohne bestehende Internetverbindung von Person zu Person übertragen werden kann. Außerdem können Scheine und Münzen von Menschen ohne eigenes Bankkonto oder mit Beeinträchtigungen, beispielsweise einer eingeschränkten Sehkraft, eingesetzt werden. An diesen zentralen Eigenschaften muss sich auch der digitale Euro zunächst einmal messen lassen.

An dieser Stelle könnte die Zieldefinition für die künftige EWU-CBDC zwar eigentlich abgeschlossen werden. Nach den Vorstellungen Panettas soll der digitale Euro aber noch deutlich mehr sein als ein Bargeld-Äquivalent für das digitale Zeitalter. So könne dieser zugleich „Bargeld 2.0“, Souveränitätsgarant für den Euroraum, innovationsförderndes Rohmaterial und Bewahrer der Finanzstabilität sein. Das Problem: So erstrebenswert diese Ziele auch sein mögen, bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Kombination der einzelnen Aspekte alles andere als trivial und teilweise widersprüchlich ist.

Konkurrenz zum Buchgeld

Aktuelle Neuerungen sowohl in der Finanzbranche als auch der Wirtschaft insgesamt drehen sich vor allem um die Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Den Ausführungen Panettas folgend scheint diese aber als Option für die technische Basis des digitalen Euro eher eine Nebenrolle einzunehmen. Favorisiert wird hingegen der Einsatz des bestehenden Target-Instant-Payment-Settlement(TIPS)-Systems. Nachvollziehbar ist diese Herangehensweise der EZB-Verantwortlichen aufgrund der mangelnden DLT-Erfahrung zwar durchaus, eine bahnbrechende Grundlage für Innovationen oder einen Ausgangspunkt für grundlegend neue, innovative Geschäftsmodelle in der Finanzbranche kann sie aber wohl kaum darstellen. Schließlich bestünde der einzige bedeutende Unterschied zum vorhandenen Buchgeld der Geschäftsbanken darin, dass es sich beim digitalen Euro um eine von der Notenbank emittierte und damit risikolose Geldform handelt. Diese vollumfängliche Ausfallsicherheit ist für die Menschen aber nur dann wirklich relevant, wenn die Stabilität einer Bank oder des gesamten Finanzsystems in Frage gestellt wird. Für den „Normalzustand“ einer Volkswirtschaft ist dieser Vorteil des Zentralbankgeldes folglich vernachlässigbar.

Zu befürchten wäre sogar, dass die Pläne der EZB Innovationen der Geschäftsbanken für die nächsten Jahre beeinträchtigen. So hat gerade die deutsche Finanzbranche in den letzten Monaten Projekte initiiert, um das eigene Buchgeld für die Distributed-Ledger-Technologie fit zu machen. Auf Sicht der kommenden knapp zwei Jahre soll ein „tokenisiertes Buchgeld“ etabliert werden. Mit dieser Euro-denominierten, DLT-basierten Geldform könnte die Wirtschaft des Euroraums das volle Potenzial dieser innovativen Technologie nutzen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen sowie die Geld- und Währungssouveränität der EWU würden tendenziell gestärkt. Dass diese privatwirtschaftlichen Projekte mit Nachdruck vorangetrieben werden, wenn das Damoklesschwert in Form eines buchgeldäquivalenten, digitalen Euro über ihnen schwebt, darf bezweifelt werden. Zu groß erscheint das Risiko, dass mit der Einführung der CBDC die beiden bestehenden Geldformen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums verdrängt werden.

Diese Gefahr ist der EZB durchaus bewusst. Panetta bezeichnete den übermäßigen Abzug von Einlagen von den Geschäftsbanken und eine damit einhergehende Destabilisierung des zweistufigen Bankensystems als „vorrangige Besorgnis“. Sein Vorschlag, eine Obergrenze für das individuelle Guthaben der Bürgerinnen und Bürger einzuziehen, hat jedoch zwei wesentliche Haken: Zum einen ist völlig unklar, wo eine angemessene Schwelle anzusiedeln ist, die die Interessen aller Beteiligten adäquat widerspiegelt. Zum anderen dürfte es rasch Bestrebungen geben, diese Obergrenze anzuheben – insbesondere in Phasen, in denen die Finanzstabilität ohnehin angespannt ist.

Folgen für Kreditvergabe

Nicht verschwiegen werden darf an dieser Stelle, dass es vor allem die Geschäftsbanken sind, die ein Eigeninteresse daran haben, die Bedeutung des Buchgeldes zu erhalten. Schließlich stellen Kundeneinlagen für sie eine stabile und günstige Refinanzierungsquelle dar. Zwar könnte die Zentralbank einen Rückgang der Bankguthaben mit eigenen Instrumenten kompensieren. Günstiger wird die Refinanzierung von Krediten für die Geschäftsbanken hierdurch aber gewiss nicht. Eine Verringerung oder Verteuerung der Kreditvergabe sowie ein Anwachsen der Ausfall- und Reputationsrisiken in der Zentralbankbilanz sollten die Folge sein.

Noch gravierender wären die volkswirtschaftlichen Auswirkungen, sollte das Geldschöpfungsprivileg der Geschäftsbanken verloren gehen. In diesem Fall könnten Finanzinstitute Kredite irgendwann nur noch über den digitalen Euro bereitstellen. Sie würden dann lediglich noch die Weiterreichung von Zentralbankkrediten an die Kunden übernehmen. Die Meinung, ob eine solche Aufgabenkonzentration auf eine einzige staatliche Institution sinnvoll ist, mag zwar noch individuell verschieden sein. Notwendig ist sie objektiv betrachtet aber sicherlich nicht, solange eine angemessene Kreditversorgung von privaten Finanzinstituten gewährleistet wird.

Die nächsten Meilensteine

Sollte sich der EZB-Rat Mitte Juli erwartungsgemäß dafür entscheiden, die Arbeiten am Projekt digitaler Euro fortzusetzen, dürften die schwerwiegendsten Herausforderungen für die Verantwortlichen erst beginnen. Nicht nur aus Prestigegründen gilt es, eine Geldform zu entwickeln, die attraktiv genug ist, um von den Menschen im Euroraum akzeptiert und genutzt zu werden. Andererseits muss es das Ziel der Notenbankvertreter sein, den Finanzinstituten auch künftig den notwendigen Spielraum zu lassen, ihren Aufgaben im zweistufigen Bankensystem nachzukommen und eine angemessene sowie effiziente Kreditversorgung der Volkswirtschaft zu gewährleisten. Nicht alles, was für die EZB organisatorisch und technisch möglich ist, muss auch notwendig und zielführend sein. Laut dem von Panetta skizzierten Zeitplan bleiben der EZB mindestens zwei Jahre und damit ausreichend Zeit, um eine klare Linie in die Überlegungen und Zielvorstellungen zu bringen.