Bundesverfassungsgerichtsurteil

Finanzminister verfügt Haushaltssperre für alle Ministerien

Die Bundesministerien dürfen ab sofort keine weiteren Finanzierungszusagen geben und laufende Ausgaben stehen unter Kuratel. Die Debatte über die Schuldenbremse wird schärfer.

Finanzminister verfügt Haushaltssperre für alle Ministerien

Die Bundesregierung schätzt die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds offenbar ernster ein als bisher angenommen. Das Bundesfinanzministerium weitete am Montag nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters die für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verfügte Haushaltssperre auf nahezu den gesamten Bundeshaushalt aus. Dies geht aus einem Schreiben von Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer hervor. Aus dem Finanzministerium hieß es dazu am späten Abend auf Anfrage, Verpflichtungsermächtigungen im laufenden Haushalt würden gestoppt, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden. "Bestehende Verbindlichkeiten werden weiter eingehalten, es dürfen nur keine neuen eingegangen werden", wurde betont.

An anderer Stelle der Regierung wurde ergänzend deutlich gemacht, dass es sich nicht um einen Alleingang von Finanzminister Christian Lindner (FDP) handele: "Es ist abgesprochen und sinnvoll."

In dem Schreiben Gatzers heißt es: "Um weitere Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre zu vermeiden, beabsichtige ich daher, alle in den Einzelplänen 04 bis 17 und 23 bis 60 des Bundeshaushaltsplans 2023 ausgebrachten und noch verfügbaren Verpflichtungsermächtigungen mit sofortiger Wirkung zu sperren." Gatzer verweist auf Paragraph 41 der Bundeshaushaltsordnung, der eine Haushaltssperre regelt. Mit den genannten Einzelplänen sind die Einzeletats aller Ministerien betroffen. Im Einzelplan 60 sind etwa der Klima- und Transformationsfonds und der 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm zur Dämpfung der Energiepreise angesiedelt. Ausgenommen sind laut der Aufzählung Verfassungsorgane wie Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht.

Überprüfung der gesamten Haushaltslage

Das Bundesverfassungsgericht hatte der Bundesregierung am Mittwoch 60 Mrd. Euro gestrichen, weil die Übertragung nicht genutzter Corona-Kredite auf den Klimafonds verfassungswidrig war. Das Geld fehlt der Regierung nun. Hinzu kommen weitere Klarstellungen des Gerichts zur Schuldenbremse im Grundgesetz und zur Rechtmäßigkeit von Krediten, die auch Folgen für den laufenden Haushalt 2023 und den geplanten Haushalt 2024 haben könnten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte noch am Tag der Urteilsverkündung eine Haushaltssperre nur für den Klimafonds verfügen lassen.

Aufgrund des Urteils ergebe sich "für den Bundeshaushalt die Notwendigkeit der Überprüfung der haushaltswirtschaftlichen Gesamtlage", schreibt Gatzer. Eine nach der Haushaltssperre von den Ministerien "begehrte Freigabe von Verpflichtungsermächtigungen (…) in besonderen Einzelfällen kann ich allenfalls im Falle eines schriftlich dargelegten sachlich und zeitlich unabweisbaren Bedarfs in Aussicht stellen". Es werde dabei "ein besonders strenger Maßstab an den Nachweis eines solchen Bedarfs angelegt".

IW-Direktor Hüther: Schuldenbremse reformieren!

Am Vormittag will sich die Bundesregierung in einer Anhörung von Sachverständigen Anregungen holen, wie sie mit der Umsetzung des Urteils und den laufenden Ausgaben sowie den Planungen weiter verfahren kann. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, hat im Deutschlandfunk bereits angeregt, die Schuldenbremse zu reformieren und Investitionen trotzdem möglich zu machen. Das sei angesichts der klimapolitischen Herausforderungen notwendig und nicht mit einem Abschaffen der Schuldenbremse gleichzusetzen, wie es ideologisch gerne als Gegenargument angeführt werde.

Bundeswirtschaftsminister Habeck: Schuldenbremse "wenig intelligent"

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält die Schuldenbremse in der aktuellen Form für nicht mehr zeitgemäß. "Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Art, wie die deutsche Schuldenbremse konstruiert ist, für zu wenig intelligent halte", sagte Habeck in den ARD-"Tagesthemen". Sie sei "sehr statisch" und unterscheide nicht zwischen Geldern, die im Laufe des Jahres ausgegeben werden, und Investitionen in die Zukunft, die sich erst nach Jahren rechnen. Das scheine ihm wenig klug, sagte der Grünen-Politiker.

Die Schuldenbremse "wurde auch gebaut in einer anderen Zeit, als wir immer billiges Gas aus Russland hatten, als China immer unsere Werkbank war oder unser Abnahmemarkt, als die Amerikaner immer verlässliche, treue Freunde waren und uns die militärische Last abgenommen haben, weil es keinen Krieg in Europa gab", sagte Habeck. Diese Voraussetzungen hätten sich verändert.

Die Debatte um die Schuldenbremse helfe in diesem Jahr trotzdem nicht weiter. "Es gibt einen Koalitionsvertrag, der Koalitionspartner und auch die Opposition hat klar gemacht, dass sie meine Meinung und die von vielen anderen, von vielen Ökonomen nicht teilen. Insofern ist das eine für die Zukunft wahrscheinlich entscheidende, vielleicht eine ganz entscheidende Debatte. Für die Gegenwart werden wir das Geld anders finden müssen", sagte der Wirtschaftsminister.

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse gibt dem Bund nur einen geringen Spielraum zur Aufnahme von Krediten. Ausnahmen sind bei Naturkatastrophen und in außergewöhnlichen Notsituationen zulässig, wie zuletzt wegen der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine. Die Schuldenbremse gehört zu den zentralen Wahlversprechen der FDP, in Teilen von Grüne und SPD ist sie hingegen umstritten.

Steuereinnahmen sinken

Die Haushaltslage dürfte zudem noch schwerer werden, weil die Steuereinnahmen offenbar stärker als erwartet zurückgehen. Sie fielen zum Vorjahresmonat um 0,6% auf 56,3 Mrd. Euro, wie am Dienstag aus dem Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums hervorgeht. Im September hatte es noch ein Plus von gut 13% gegeben. Im Oktober gingen die Lohnsteuern nun um gut 8% zurück und die veranlagten Einkommensteuern um mehr als 16%, während die Umsatzsteuern um 2,5% zulegten.