Lohnuntergrenze

Höherer Mindestlohn steigert Kaufkraft in Deutschland

Durch die deutliche Steigerung des Mindestlohns ist es Deutschland 2022 besser als den meisten EU-Staaten gelungen, die Kaufkraft der Beschäftigten trotz hoher Inflation zu stärken. Das könnte sich jedoch dieses Jahr ändern, wie eine Studie des WSI zeigt.

Höherer Mindestlohn steigert Kaufkraft in Deutschland

ast Frankfurt

Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde Anfang Oktober hat die Kaufkraft in Deutschland besser gesichert als anderswo. Das geht aus dem jährlichen Mindestlohnbericht hervor, den das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Freitag vorgestellt hat. Demnach gelang es lediglich in der Hälfte der 22 Länder der Europäischen Union, in denen es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, durch eine Anhebung die hohe Inflation zumindest auszugleichen. In zehn Ländern mussten die zum Mindestlohn Beschäftigten teilweise deutliche Kaufkraftverluste hinnehmen.

Die Anhebung im vergangenen Jahr führte in Deutschland dazu, dass die Stundenlöhne in diesem Segment zwischen Anfang 2022 und Anfang 2023 inflationsbereinigt um 12,4% stiegen. Den WSI-Experten zufolge war das „ein spürbarer Beitrag, um in der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Krise Nachfrage und Wirtschaftsentwicklung zu stützen“. Deutschland war 2022 zudem das Land mit der stärksten Anhebung. Auf Platz 2 folgt Estland, wo das reale Plus mit 5,8% nicht einmal halb so groß ausfällt. In Ländern wie Tschechien (−6,2%) und Estland (−6,7%) fielen die Mindestlöhne inflationsbereinigt sogar.

Hohe Lohnuntergrenze

Insgesamt haben 18 EU-Staaten ihre Lohnuntergrenze erhöht, mehrere bereits während des vergangenen Jahres. Der mittlere Zuwachs betrug gegenüber dem 1. Januar 2022 nominal 12%. Durch den starken Anstieg der Verbraucherpreise lag die inflationsbereinigte Steigerung im EU-Mittel nur bei 0,6%.

Da Deutschland derzeit einen der höchsten Mindestlöhne in der Europäischen Union aufweist, die Lebenshaltungskosten aber hierzulande weniger deutlich über dem EU-Durchschnitt liegen, konnte die Mindestlohnanhebung erheblich zur Steigerung der Kaufkraft beitragen. In Luxemburg, wo der Mindestlohn aktuell bei 13,80 Euro pro Stunde liegt, beträgt die Kaufkraft auf Euro-Basis pro Stunde nur 9,91 (siehe Grafik) – das liegt an den hier deutlich höheren Preisen. Allerdings warnen die Studienautoren, dass es sich in Deutschland nur um eine „Momentaufnahme“ handle. Die nächste Mindestlohnanpassung ist frühestens für Januar 2024 vorgesehen. Da die Verbraucherpreise in diesem Jahr weiter steigen dürften, dürfte ein Teil des letztjährigen Zuwachses 2023 aufgezehrt werden.

Streit um weitere Anhebung

Derweil hat die Debatte um eine weitere Anhebung der Lohnuntergrenze hierzulande an Fahrt aufgenommen. Sozialverbände fordern einen weiteren deutlichen Schritt auf 14 Euro. Auch Gewerkschaften und einige SPD-Politiker stimmen mit ein. Die Arbeitgeber warnen vor „unrealistischen Höhen“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte hingegen am Freitag erneut klar, dass Fürsprecher für einen noch höheren Mindestlohn nicht mit direkter Hilfe der Politik rechnen dürften. Zuständig sei die Mindestlohn-Kommission. Bei der Anhebung auf 12 Euro war diese ausgeschaltet worden. Das Kabinett hatte den Mindestlohn ohne vorherige Empfehlung durch diese beschlossen.