Konjunktur

Industrie­produktion im Euroraum steigt unerwartet stark

Die Euro-Industrie hat trotz der zahlreichen Störfaktoren im August mehr produziert als erwartet. Allerdings ist die Stimmung trübe und der Preisdruck ebenso hoch wie die Sorgen um Energiekosten und -versorgung.

Industrie­produktion im Euroraum steigt unerwartet stark

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Die Industrie im Euroraum hat trotz des konjunkturellen Gegenwinds im August überraschend deutlich mehr produziert als im Vormonat. Der kräftige Einbruch vom Juli ist damit allerdings noch nicht wieder wettgemacht, und Experten erwarten, dass die kommenden Monate für das verarbeitende Gewerbe schwierig sein werden. Denn die Industrie leidet nicht nur unter den infolge des Ukraine-Kriegs kräftig gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen, sondern immer noch unter Materialmangel. Insbesondere die strikte Null-Covid-Politik Chinas sorgt immer wieder für neuen Lieferkettenstress durch geschlossene Häfen oder Lockdowns großer Städte und ganzer Regionen.

Null-Toleranz-Politik bleibt

Kurz vor Beginn des Kongresses der Kommunistischen Partei, der alle fünf Jahre stattfindet und am Sonntag beginnt, bekräftigte das Zentralkomitee die Null-Toleranz-Politik in Sachen Corona. Prävention und Kontrolle dürften nicht gelockert werden. Zugleich müsse der Kampf gegen das Virus mit der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung „koordiniert“ werden, schreibt die Nachrichtenagentur dpa unter Verweis auf ein Kommuniqué zum Abschluss eines viertägigen Plenums. Nach dem Ende der einwöchigen Sitzung der knapp 2300 Delegierten soll das 25-köpfige Politbüro neu besetzt und Xi Jinping für eine historische dritte Amtszeit als Generalsekretär bestätigt werden.

Die zuletzt gesunkene Nachfrage aus Europa nach Waren „Made in China“ hat zumindest dem IfW Kiel zufolge für weiter rückläufige Frachtraten gesorgt: Diese liegen teils fast wieder auf dem Niveau vor dem weltweiten Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020, zwischenzeitlich waren sie fast zehnmal höher.

Unverändert groß sind aber weiter die Sorgen um Sicherheit und Kosten der Energieversorgung, insbesondere in den Wintermonaten. Kremlchef Wladimir Putin stellte am Mittwoch in einer Rede auf der russischen Energiewoche eine verstärkte Umleitung von russischem Gas über die Türkei nach Europa in Aussicht. „Den verloren gegangenen Umfang des Gastransits über Nord Stream könnte Russland durch das Schwarze Meer leiten und so in der Türkei einen riesigen Gas-Hub schaffen, wenn unsere europäischen Partner daran interessiert sind“, zitierte dpa Putin. Allerdings, so schränkte Putin mit Blick auf den geplanten Ölpreisdeckel in der EU ein: „Wir werden keine Energieressourcen an Länder liefern, die ihre Preise begrenzen“ (siehe Bericht Seite 6).

Energiekosten belasten

Laut der monatlichen Einkaufsmanagerumfrage von S&P Global haben zuletzt zwar die Materialengpässe in der Eurozone nachgelassen, doch habe sich der Preisauftrieb beschleunigt. Die Stimmung der Euro-Indus­trie ist derzeit so schlecht wie zuletzt vor etwa zwei Jahren. Die jüngste Eintrübung führt Chris Williamson, Chefvolkswirt bei S&P Global, zwar in erster Linie auf die steigenden Lebenshaltungskosten zurück, die die Kaufkraft schmälerten und der Nachfrage schadeten. „Doch auch die steigenden Energiepreise haben dafür gesorgt, dass die Produktion bei energieintensiven Industrieunternehmen zunehmend gedrosselt wird.“ Ein ähnlich schwaches Stimmungsbild zeichnet auch die Umfrage der EU-Kommission.

Im August ist laut Daten des Statistikamts Eurostat die saisonbereinigte Industrieproduktion um 1,5% zum Vormonat gestiegen. Ökonomen hatten nach dem Rückgang um 2,3% im Juli einen Anstieg um 0,7% erwartet. Im Vergleich zu August 2021 sank die Industrieproduktion um revidiert 2,5 (zunächst: 2,4)%. Dabei fuhren im Monatsvergleich insbesondere die Produzenten von Investitionsgütern die Fertigung hoch, und zwar um 2,8%. Von Gebrauchsgütern wurden 0,9% mehr hergestellt, für Verbrauchsgütern meldet Eurostat ein Plus von 0,7%. Die Produktion von Vorleistungsgütern sank hingegen um 0,5%, und die Energieerzeugung fiel um 2,1% geringer aus als im Vormonat.

Unter den Mitgliedstaaten, für die Daten vorliegen, wurden die kräftigsten Zuwächse im Monatsvergleich in Irland (+16,6%) und Estland (+5,0%) registriert. Die stärksten Rückgänge verzeichneten Belgien (−6,1%) und die Niederlande (−1,5%). Unter den größten Euro-Volkswirtschaften war sonst nur die deutsche Industrie schwach. In der Abgrenzung für europäische Vergleichszwecke – also Industrie ohne Baugewerbe – ging die Produktion um 0,5% zurück. Angesichts der trüben Stimmung von Unternehmen und Konsumenten, der kräftigen Preissteigerungen bei Energie und Rohstoffen sowie der globalen Konjunkturschwäche belastet die Indus­trie derzeit die Entwicklung der deutschen Wirtschaft.

Überraschend gute August-Daten hatten hingegen die nationalen Statistikämter Italiens und Spaniens vorgelegt. Die Industrieproduktion war um 2,3% bzw. 0,5% gestiegen. Frankreichs Industrie fertigte 2,3% mehr als im Vormonat. Oxford Economics verweist in einer Analyse darauf, dass energieintensive Sektoren weiterhin zu kämpfen hätten, während einige Teilbereiche wie der Autosektor und die Pharmabranche von Entspannung bei Versorgungsengpässen profitiert hätten.

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