Ausstand der Lokführer

Längster Streik in der Bahngeschichte droht

Trotz eines neuen Angebots der Bahn will GDL-Chef Weselsky nicht in neue Tarifverhandlungen einsteigen, sondern setzt weiter auf Streiks. Die Politik sieht keinen Handlungsbedarf. Der deutschen Wirtschaft droht ein Milliardenschaden.

Längster Streik in der Bahngeschichte droht

Längster Streik in der Bahngeschichte

Lokführergewerkschaft GDL hält Angebot der Bahn für eine "Täuschung" – Ausstand von Mittwoch bis Montag

Trotz eines neuen Angebots der Bahn will GDL-Chef Weselsky nicht in neue Tarifverhandlungen einsteigen, sondern setzt weiter auf Streiks. Die Politik sieht keine Notwendigkeit, mehr Druck auf die Tarifparteien auszuüben. Ein Milliardenschaden für die Unternehmen und den Wirtschaftsstandort Deutschland droht.

lz Frankfurt

Die Deutsche Bahn steht vor dem längsten Streik ihrer Geschichte. Die Lokführergewerkschaft GDL kündigte für Mittwochmorgen um 2 Uhr die vierte Streikrunde im laufenden Tarifkonflikt an, obwohl die Bahn noch am Freitag ein verbessertes Angebot vorgelegt hatte. GDL-Chef Claus Weselsky schlug das Verhandlungsangebot aus und sprach von einer „Täuschung“. Der Ausstand soll bis kommenden Montag um 18 Uhr dauern. Im Güterverkehr wird bereits ab Dienstag, 18 Uhr, zum Streik aufgerufen.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagte, der Tarifkonflikt nehme zunehmend destruktive Züge an. „Ich habe null Verständnis für diese Form der Tarifauseinandersetzung.“ Weselsky tue auch seiner Gewerkschaft keinen Gefallen. Forderungen aus der Politik, Streiks in der kritischen Infrastruktur zu verbieten, lehnte er indes ab: „Das Streikrecht gehört zu den wesentlichen Grundrechten unserer Demokratie, die aber immer von jedem auch verlangen, sie verantwortlich zu nutzen“, sagte er. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wünschte sich eine zügige Beilegung des Konfliktes. Scholz wisse um die Tarifautonomie in Deutschland – das sei Sache der Tarifparteien, sagte ein Regierungssprecher. Der Kanzler werde sich in die Auseinandersetzung zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmischen.

GDL drängt in neue Tarifbereiche

Die Bahn nannte es maßlos, dass die GDL bei einem verbesserten Angebot nicht einmal an den Verhandlungstisch gekommen sei. Weselsky sieht darin indes keine Verhandlungsgrundlage. Die angebotene Senkung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde habe Martin Seiler, der Verhandlungsführer der Deutschen Bahn, daran gekoppelt, dass die Bahn ausreichend zusätzliche Mitarbeiter einstellen könne. Zudem weigere sich die Bahn über einen GDL-Tarifvertrag für Beschäftigte in der Infrastruktur überhaupt zu verhandeln. Die GDL werde nur an den Verhandlungstisch kommen, wenn es keine Vorbedingungen gebe. Eine Schlichtung lehnte Weselsky erneut ab.

Maximales Lohnplus 13 Prozent

Die Deutsche Bahn hatte zuletzt angeboten, die Löhne ab August um 4,8% und ab April 2025 um 5,0% zu erhöhen. Außerdem sollen 2.850 Euro Inflationsausgleichsprämie so schnell wie möglich fließen. Darüber hinaus könnten ab Januar 2026 Lokführer und Zugbegleiter ihre Wochenarbeitszeit um eine Stunde verkürzen. Insgesamt summiere sich das Angebot auf bis zu 13%. Die Bahn verweist zudem darauf, dass sie wegen des Tarifeinheitsgesetzes für Beschäftigte in der Infrastruktur mit der GDL keinen Vertrag schließen könne, da die Gewerkschaft hier in keinem Teilbetrieb eine Mehrheit habe.

Die GDL hat eine Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich als Kernforderung genannt. Sie verlangt ferner 555 Euro monatlich mehr und einmalig eine steuerfreie Inflationsprämie von 3.000 Euro. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll zwölf Monate betragen.

Notfallfahrplan läuft an

Die Bahn will wie beim letzten Streik für den Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr einen Notfahrplan mit einem stark reduzierten Angebot an Fahrten anbieten. Zuletzt fuhr etwa jeder fünfte Fernzug bei Streiks. Auch im Schienengüterverkehr wird es der Bahn zufolge zu erheblichen Einschränkungen für Industrie und Wirtschaft kommen.

„Eine Zumutung“

Der Fahrgastverband Pro Bahn hält den Ausstand für überzogen: „Der sechstägige Streik ist für Fahrgäste eine Zumutung“, sagte der Bundesvorsitzende Detlef Neuß zu Reuters. Durch die lange Dauer seien nun auch Wochenendpendler betroffen. Bei einem Sechs-Tage-Streik dürfte sich das Verständnis der Fahrgäste sicher reduzieren, warnt er.

Schaden für Wirtschaft

Nach Einschätzung des Konjunkturchefs des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln kostet ein eintägiger bundesweiter Bahnstreik etwa 100 Mill. Euro an Wirtschaftsleistung pro Tag. Bei der jetzt angekündigten Streikdauer von sechs Tagen würden die Kosten nicht mehr linear steigen, sondern sich teils multiplizieren. „Wir sind da schnell bei 1 Mrd. Euro Schaden“, sagte Grömling. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass die Wertschöpfung im Transportsektor bei einem Streik pro Tag zwar nur um 30 Mill. Euro sinken wird. „Viel größere wirtschaftliche Schäden entstehen aber, wenn Fabriken ihre Produktion wegen Nachschubproblemen herunterfahren müssen.“

Erschwerend kommt dem IW zufolge hinzu, dass es auf anderen Verkehrswegen ebenfalls nicht rund laufe. „Auch im Schiffsverkehr staut sich etwas auf“, sagte Ökonom Grömling mit Blick auf die Lage im Roten Meer. Dazu geselle sich noch die Sperrung der wichtigen Rheinbrücke in Leverkusen. Die deutsche Wirtschaft befinde sich bereits in einer Rezession. „Die droht sich nun zu verschärfen.“

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Kommentar zum Bahnstreik

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