Oleg Wjugin

„Natürlich ist in Russland Geld da“

Der russische Banker Oleg Wjugin im Interview der Börsen-Zeitung über den Effekt der westlichen Sanktionen auf Politik und Gesellschaft, das Verhalten der Oligarchen – und die Motive für den Krieg in der Ukraine.

„Natürlich ist in Russland Geld da“

Eduard Steiner.

Herr Wjugin, am Donnerstag fiel die Moskauer Börse um 50%. Schrillen da die Alarmglocken?

Natürlich ist das extrem. Die Broker erhielten wegen des Kursverfalls den Aufruf, Geld nachzuschießen.

Andererseits stiegen die Kurse am Freitag schon wieder um 25%.

Das ist eine logische technische Gegenbewegung. Dass das schon fix ein neuer Trend ist, würde ich mich nicht zu sagen trauen.

Wozu ist diese ganze Eskalation in der Ukraine nötig?

Wie soll man sagen? Es gibt Politiker und es gibt Ökonomen. Die Entscheidung war eine politische, und mir sind die Motive nicht ganz verständlich. Wir bemühen uns nun eben, die wirtschaftlichen Folgen zu mindern.

Verstehen viele in Russland die Motive?

Es fehlt eine zuverlässige soziale Statistik. Die unterschiedlichen Umfragen ergeben Befürworter dieser Politik mit bekannten Gründen und Gegner, die es als katastrophale Entscheidung erachten, weil es schwere Folgen haben werde – und zwar nicht nur für die Wirtschaft, sondern dahingehend, dass Russland isoliert und zum Paria wird.

2014 waren 80% der Russen für die Annexion der Krim. Sieht das jetzt anders aus?

Ich denke, wir müssen warten, bis ein gewisser Schock über das Geschehene nachlässt. Jedenfalls würde ich die Situation nicht mit 2014 vergleichen, denn damals war die Annexion friedlich und zur Freude vieler. Jetzt weiß man, dass es Tote und Verwundete auf beiden Seiten gibt. Das kann auch das Verhältnis zwischen Zustimmung und Ablehnung ändern.

Wie reagiert die Geschäftselite in Russland, die Sie ja gut kennen?

Die Business-Elite in Russland wird nie das sagen, was sie denkt. Sie sagt einfach, sie arbeitet und passt sich an die neuen Bedingungen an. Und sie bittet eben um Hilfen vom Staat, um nicht allein gelassen zu werden. Eine typische Position der russischen Business-Elite.

Der Staat wird wohl auch helfen.

Vielleicht hilft er irgendwo. Einfach Geld zu geben, ist wohl kaum die beste Hilfe.

Erscheinen Ihnen die Sanktionen des Westens hart?

Ja, doch. Es sind die bislang härtesten. Ich würde aber nicht die Finanzsanktionen als die härtesten sehen, sondern die technologischen. Denn sowohl taiwanesische als auch japanische, südkoreanische und natürlich amerikanische Hersteller von Chips und Halbleitern haben die russischen Abnehmer bereits informiert, dass sie sich an die angekündigten Exportbeschränkungen halten werden. Russland aber ist noch lange nicht so weit, das selbst herstellen zu können. Dabei werden die Chips und Halbleiter überall in jeder Produktion gebraucht.

Und was sagen Sie zu den Finanzsanktionen?

Das Finanzsystem ist flexibler. Die Banken werden sich anpassen. Unter anderem wird es wahrscheinlich so sein, dass andere und weniger sichtbare russische Banken, denen zum Beispiel Transaktionen in ausländischer Währung nicht verboten sind, zuungunsten der sanktionierten Banken profitieren. Soweit ich weiß, fließt ihnen bereits Geschäft zu.

Welche Finanzsanktionen treffen die Russen dann am stärksten?

Dass die Kapitalbeschaffung im Westen sehr erschwert wird. Russische Banken und Unternehmen hatten ja bereitwillig Kapital beschafft – etwa Gazprom ganz stark.

Jetzt sagen Russen gerne, man habe eh im Inland genug Geld.

Natürlich ist in Russland Geld da, aber nicht genug. Wenn man auch im Ausland Geld aufnehmen kann, sind die Ressourcen ausgeweitet.

Russland hat ein dickes Polster. Wie lange wird es reichen?

Mir scheint, dass die Regierung dieses Geld unter den jetzigen Bedingungen nicht ausgeben wird. Gewisse Investitionen in angekündigte Projekte wird es geben, ja. Aber für soziale Ausgaben sehe ich keine Pläne. Das Polster wird bleiben.

Das wird den Rubel wohl vor weiteren Abstürzen bewahren. Aber für die Menschen bleibt die wirtschaftliche Situation schwierig?

Natürlich. Die entscheidende Frage ist ja nicht die Finanzwirtschaft, sondern immer die Realwirtschaft. Wir können noch keine neuen Prognosen machen, wie sie sich entwickeln wird. Qualitativ wird sie in jedem Fall einen gewissen Schaden erleiden.

Hat Premierminister Michail Mischustin also recht, wenn er sagt, die Sanktionen werden „unangenehm sein, aber nicht tödlich“?

Eine solche Phrase hat ja immer eine gewisse Wahrheit in sich, denn tödlich würde heißen, dass es das Ende ist. Und das ist es natürlich nicht. Der Iran hat härtere Sanktionen überlebt – auch den Ausschluss vom internationalen Zahlungssystem Swift.

Erscheint Ihnen realistisch, dass der Westen Russland von Swift ausschließt?

Ich glaube nicht, dass die EU so weit geht, denn es würde zu einem völligen Chaos im Handel mit Russland führen, der ja zu einem wesentlichen Teil aus Energieträgern betrifft. Das würden die Bürger nicht verstehen.

Was kann man eigentlich mit Sanktionen in Russland erreichen?

Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen.

Ich meinte politisch.

So wie die jetzige Politik in Russland ausgestaltet ist, wird die Reaktion immer lauten: Na und?

Wird es Gegensanktionen geben wie 2014 mit dem Importembargo auf westliche Agrarprodukte?

Sie sind angekündigt. Aber ich hoffe, es wird nicht zu solchen Sanktionen kommen, die dann wieder den russischen Konsumenten schaden. Das würde große Spannungen verursachen. 2014 war ja der Wohlstand höher als jetzt.

Wie sinnvoll ist es dann, sogenannte russische Oligarchen im Westen in die Mangel zu nehmen?

Nun, das ist eine ziemlich schwierige Frage. Die Idee hinter solchen Sanktionen ist, dass sie, die ihren Reichtum ja mit dem Segen des Kremls gemacht haben, ihr Verhältnis zur russischen Politik ändern.

Ist die Idee illusorisch?

Sie ist naiv. Sie werden sich verstecken, werden nach Israel ziehen, und wenn nicht nach Israel, dann nach Abu Dhabi oder – was weiß ich – nach Singapur. Aber auf die russische Politik werden sie zumindest in der gegenwärtigen Situation ganz sicher keinen Einfluss haben.

Das Interview führte

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