Geldpolitik

Neue EZB-Inflationsprojektion macht Zinsanhebung wahrscheinlich

Die Volkswirte der EZB rechnen dem Vernehmen nach für 2024 mit einer Teuerung von über 3%. Das dürfte die Falken im EZB-Rat in ihrer Haltung bestärken, am Donnerstag erneut an der Zinsschraube zu drehen. Für die deutsche Wirtschaft wird die Lage damit noch prekärer.

Neue EZB-Inflationsprojektion macht Zinsanhebung wahrscheinlich

Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht das Inflationsgespenst auch nächstes Jahr noch längst nicht gebannt und könnte deshalb diese Woche auf die zehnte Zinserhöhung in Serie zusteuern. Wie eine Person mit direkter Kenntnis der internen Diskussionen der Währungshüter der Nachrichtenagentur Reuters mitteilte, werden die zum Zinsentscheid am Donnerstag vorliegenden aktualisierten Inflationsprojektionen für das kommende Jahr einen Wert von über 3% ausweisen: Damit würde das Ziel der Notenbank von 2,0% recht deutlich verfehlt. Im Juni hatten die EZB-Fachleute nur einen Wert von 3,0% vorhergesagt.

Der Insider, der anonym bleiben wollte, sagte am Dienstag, der Zinsentscheid am Donnerstag werde dennoch ein enges Rennen. Für die Sitzung seien noch keine formalen Vorschläge unterbreitet worden. Ein EZB-Sprecher lehnte eine Stellungnahme ab.

Sollte der am Finanzmarkt derzeit maßgebliche Leitzins, der sogenannte Einlagensatz, am Donnerstag erneut um einen viertel Prozentpunkt angehoben werden, würde er auf 4% steigen. Das wäre das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion 1999. Eine Aufwärtsrevision der von den EZB-Fachleuten erwarteten Inflationszahl für 2024 wäre Wasser auf die Mühlen der sogenannten Falken, also der Befürworter einer weiteren Zinserhöhung. Denn die Zahl dürfte so interpretiert werden, dass sich der Preisdruck als zäher erweisen könnte, als die Währungshüter zunächst gedacht hatten. Am Geldmarkt wird es mittlerweile für eher wahrscheinlich gehalten, dass der EZB-Rat am Donnerstag eine weitere geldpolitische Straffung vornimmt als dass er eine Pause einlegt.

Industrieproduktion sackt noch weiter ab

Eine Zinserhöhungen durch die EZB würde die ohnehin schon prekäre Lage der europäischen Wirtschaft, noch weiter belasten. Die Industrieproduktion in der Eurozone ist im Juli überraschend deutlich gefallen. Gegenüber dem Vormonat fiel die Herstellung um 1,1%, wie das Statistikamt Eurostat am Mittwoch in Luxemburg mitteilte. Analysten hatten mit einem Rückgang um 0,9% gerechnet. Zudem wurde der Produktionsanstieg im Juni leicht nach unten revidiert. Demnach legte die Herstellung um 0,4% zu, nachdem zunächst ein Anstieg um 0,5% ermittelt worden war. Im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat sank die Industrieproduktion im Juli um 2,2%.

Lage der deutschen Wirtschaft immer trüber

Die gegenüber den anderen europäischen Staaten noch schlechtere Lage der deutschen Wirtschaft, würde durch eine erneute Zinsanhebung noch stärker getroffen als ohnehin schon. Bundesregierung und Industrie erwarten schon jetzt keinen schnellen Aufstieg aus dem Konjunkturtal. "Insgesamt deuten die aktuellen Konjunkturindikatoren noch keine nachhaltige Belebung in den kommenden Monaten an", heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Entwicklung dürfte damit auch im laufenden dritten Quartal "nur sehr schwach bleiben und voraussichtlich erst um die Jahreswende an Fahrt gewinnen". Die deutsche Wirtschaft ist bereits drei Quartale in Folge nicht mehr gewachsen, weil steigende Zinsen, maue Weltkonjunktur und hohe Inflation belasten.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht deshalb davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,4% schrumpfen wird. Die jüngsten Stimmungsindikatoren signalisierten, dass die Erholung noch etwas dauere, heißt es im aktuellen Konjunkturbericht des BDI. "Nicht nur die aktuelle Stimmung in den Unternehmen ist im Keller. Auch auf mittlere Frist ist noch keine Besserung in Sicht."

Der BDI rechnet damit, dass die Exporte im laufenden Jahr preisbereinigt um 0,5% fallen. "Die deutsche Wirtschaft partizipiert nicht mehr so stark vom Welthandel wie vor Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine", hieß es dazu. Zwar nähmen die Lieferengpässe ab, ausbleibende Aufträge entwickelten sich aber immer häufiger zum Produktionshindernis Nummer eins.

Die deutsche Wirtschaft dürfte dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge dieses Jahr als einzige große Industrienation nicht wachsen, sondern schrumpfen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte jüngst davor, trotz der aktuellen Schwäche den Standort Deutschland schlechtzureden.

Weiterer EZB-Ausblick

Die Inflationsprognose der EZB für 2025 dürfte sich laut dem Insider nicht grundlegend ändern. Im Juni hatten die Fachleute der Zentralbank einen Wert von 2,2% veranschlagt, womit das Inflationsziel der EZB auch Mitte des Jahrzehnts noch nicht erreicht wäre.

Der EZB-Stab hatte Mitte Juni für den Euroraum ein Wirtschaftswachstum von 0,9% für 2023, 1,5% für 2024 und 1,6% für 2025 veranschlagt. Der Wert für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) werde für das laufende Jahr und 2024 herabgestuft, was in etwa den Markterwartungen entspreche, sagte der Insider. Von Reuters befragte Ökonomen erwarten für die Euro-Zone ein Wachstum von 0,6% in diesem Jahr und 0,9 Prozent im Jahr 2024. Das Zinserhöhungsstakkato der EZB hat die Konjunktur inzwischen deutlich gebremst. Im Frühjahr war die Wirtschaft in der 20-Ländergemeinschaft nur minimal um 0,1% gewachsen.