Ökonomenumfrage

Prognosen zur Inflation klaffen weit auseinander

Die Unsicherheit ist hoch, wie sich die Inflation und die Konjunktur der Eurozone in den kommenden Monaten entwickeln werden. Entsprechend fallen die Ratschläge von Volkswirten an die EZB recht unterschiedlich aus, wie eine Umfrage der Börsen-Zeitung zeigt.

Prognosen zur Inflation klaffen weit auseinander

Große Unterschiede bei Prognosen von Ökonomen

Vorhersagen zu Inflation und Konjunktur klaffen auseinander – Meinungen zur Geldpolitik der EZB variieren deutlich

Die Unsicherheit ist hoch, wie sich die Inflation und die Konjunktur der Eurozone in den kommenden Monaten entwickeln werden. Entsprechend fallen die Ratschläge von Volkswirten an die Europäische Zentralbank (EZB) recht unterschiedlich aus, wie eine Umfrage der Börsen-Zeitung unter Ökonomen zeigt.

mpi Frankfurt

Läuft die Europäische Zentralbank (EZB) eher Gefahr, die Zinsen zu spät zu senken oder doch zu früh? Darüber herrscht nicht nur im EZB-Rat keine Einigkeit, sondern auch unter Ökonomen. Kein Wunder, schließlich ist die Spannbreite bei den Prognosen zu Inflation und Wirtschaftswachstum groß. Und diese bilden das Fundament für geldpolitische Überlegungen.

Kein Konsens

„Die Euro-Inflation wird im Jahresverlauf deutlich und nach dem ersten Quartal kontinuierlich fallen und am Jahresende 2024 in der Nähe von 2% liegen“, sagt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, in einer Umfrage der Börsen-Zeitung unter Ökonomen. Ganz anders klingt die Prognose von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Die hohen Lohnsteigerungen sprechen dafür, dass sich die Inflation am Ende eher bei 3% als beim EZB-Ziel von 2% einpendelt.“

Die vollständigen Antworten der Teilnehmer der Ökonomenumfrage gibt es auch im Wortlaut: Sebastian DullienMichael HütherFritzi Köhler-GeibChristoph M. Schmidt, Jörg Krämer und Konstantin Veit.

Die Ökonomen von Munich Re prognostizieren in einer im Dezember veröffentlichten Studie gar, dass die Teuerung selbst bis 2030 noch bei 3% liegen könnte. Sie begründen dies damit, dass Globalisierung, Demografie, Digitalisierung und Deregulierung in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen hätten, die Inflation zu dämpfen. „Einige dieser Faktoren kehren sich jetzt vermutlich um“, heißt es in der Studie.

Risiken in beide Richtungen

Die Mehrheit der Ökonomen geht davon aus, dass sich die Inflation 2024 irgendwo zwischen 3 und 2% einpendeln wird. Doch die Unsicherheit ist hoch. Mehrere Faktoren könnten die Teuerung stärker oder auch schwächer als erwartet dämpfen. „Aufgrund der Unsicherheit über die Geschwindigkeit und Stärke der geldpolitischen Transmission gibt es ein gewisses Risiko, dass die Konjunktur und der Preisauftrieb stärker durch den Zinsanstieg gedämpft werden als erwartet und notwendig“, sagt KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Sie schätzt das Risiko „jedoch als begrenzt ein“.

Doch es gibt auch Faktoren, die die Inflation nochmal deutlich verstärken könnten. „Angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten besteht das Risiko, dass die Preise für Rohstoffe noch einmal kräftiger steigen“, sagt Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und ehemaliger Vorsitzender der „Wirtschaftsweisen“. „Dies betrifft nicht nur die Preise für Öl und Gas.“ Aktuell geht er aber davon aus, dass sich die weiteren Auswirkungen der Kriege auf die Inflation in Grenzen halten werden.

Beim Ausblick auf die Euro-Konjunktur sind die meisten Ökonomen derzeit pessimistischer als die EZB, die für 2024 ein Wirtschaftswachstum von 0,8% prognostiziert. Wobei es auch innerhalb des EZB-Rats Stimmen gibt, die die Projektion der Notenbank-Volkswirte für zu optimistisch halten. Eine aktualisierte EZB-Prognose für Inflation und Wirtschaftswachstum steht im Rahmen der nächsten Zinssitzung im März an. Die neuen Projektionen könnten dann Hinweise darauf geben, wann die erste Zinssenkung der EZB ansteht.

Debatte um Zinssenkungen

Die EZB hält sich bei diesem Thema eher bedeckt, auch wenn Äußerungen von Ratsmitgliedern darauf hindeuten, dass es vor Juni keine Lockerung geben wird, im Sommer jedoch Zinssenkungen anstehen dürften. An den Finanzmärkten wird weiterhin auf eine erste Zinssenkung bis April spekuliert, während die Mehrheit der Ökonomen auf den Juni setzt.

Allerdings gibt es auch unter Volkswirten Anhänger einer möglichst zeitnahen Zinssenkung. Besonders deutlich wird Sebastian Dullien. „Jede Verzögerung einer Zinssenkung ist jetzt ein geldpolitischer Fehler“, sagt er und plädiert damit auf eine Zinssenkung bereits auf der kommenden geldpolitischen Sitzung der EZB im März. Er begründet seine Haltung damit, dass die Wirtschaft weiter schwach laufen werde und die Inflation in den kommenden Monaten deutlich nachlasse. Bereits die letzte Zinserhöhung im September 2023 sei zu viel gewesen.

Jörg Krämer, der angesichts der Lohnzuwächse deutlich pessimistischer auf die Inflationsentwicklung blickt, hat daher auch eine ganz andere Empfehlung an die EZB: Die Notenbank müsse sehr vorsichtig mit einer Zinssenkung umgehen. Er verweist darauf, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) die Inflation nach den beiden Ölpreisschocks der 70er Jahre für viele Länder untersucht hat. „Die Forscher stellten fest, dass das Inflationsproblem immer dann nicht gelöst wurde, wenn die Zentralbank nach einem Rückgang der Inflation zu schnell den Sieg über die Inflation erklärt und ihre Zinsen zu früh gesenkt hat“, sagt Krämer. „Insofern sehe ich auch diesmal das Risiko, dass die EZB ihre Zinsen zu früh senkt.“

Eine ähnliche Einschätzung vertritt Portfolio-Manager Konstantin Veit. Deshalb hält der Leiter der European Rates- und Short-Term Desks beim Vermögensverwalter Pimco die Markterwartungen an Zinssenkungen auch für deutlich zu aggressiv. „Die Geschichte der hohen Inflation lehrt uns, dass, wenn die Zentralbanken versuchen, zu schnell zu normalisieren, bevor das Problem wirklich besiegt ist, wir eine weitere Inflationswelle und anschließend eine weitere Welle von Zinserhöhungen bekommen“, sagt Veit. Eine solche zweite Welle an Zinserhöhungen muss die EZB unbedingt vermeiden. Darin sind sich Ökonomen, Ratsmitglieder und Anleger ausnahmsweise vollkommen einig. Noch könne die EZB keine Sicherheit über die mittelfristigen Inflationsaussichten haben, meint Veit. Daher sei es noch zu früh für Zinssenkungen.

Wenig Erfreuliches für Deutschland

Blicken die Ökonomen schon auf die Euro-Konjunktur nicht allzu optimistisch, sieht es für Deutschland noch düsterer aus. „Ein neues Zinsregime, hohe Energiepreise, eine jahrelange Erosion der Standortqualität, nachlassender Rückenwind aus China – all das spricht für ein erneutes Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr“, sagt Krämer. Pessimistisch ist auch IW-Direktor Michael Hüther und spart nicht mit Kritik an der Ampel-Regierung. „Die Probleme sind vor allem hausgemacht und gefährden die wirtschaftspolitische Konsistenz“, sagt er. „Durch die veränderte Haushaltslage infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils besteht die Gefahr eines negativen Investitionsschocks, der sich auch auf private Investitionen ausdehnen wird.“

Fritzi Köhler-Geib macht zumindest einen „Silberstreif am Horizont“ aus. „Die Erholung der privaten Kaufkraft wird wie auch in der Eurozone den Konsum im Jahresverlauf 2024 stärken.“