Grundsatzrede

Scholz ruft Europa zu Reformen auf

Mit eigenen Vorschlägen zur Reform der EU will Kanzler Olaf Scholz (SPD) eine Debatte in den Mitgliedsländern beflügeln. Dabei zielt Scholz auch auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Scholz ruft Europa zu Reformen auf

wf Berlin

– Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ruft die EU zu Reformen auf. „Wann, wenn nicht jetzt schaffen wir ein souveränes Europa, das sich behaupten kann in einer multipolaren Welt“, sagte der deutsche Regierungschef bei einer Grundsatzrede in der Karls-Universität Prag. Er bezog sich auf Herausforderungen nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Differenzen, die die EU seit Jahren lähmten, seien zu überwinden.

Scholz plädierte für eine Erweiterung der EU um Staaten des Westbalkans, um Moldau, die Ukraine und perspektivisch auch Georgien. „Dass die EU in Richtung Osten wächst, ist für uns alle ein Gewinn.“ Die EU müsse sich institutionell reformieren, um ihre Arbeitsfähigkeit zu verbessern. Schrittweise aufgeben will der Kanzler das Einstimmigkeitsprinzip, damit nicht ein Land durch sein Veto die anderen „am Vorankommen“ hindere. Konkret schlug er vor, zunächst in der gemeinsamen Außenpolitik und in der Steuerpolitik zum Prinzip der Mehrheitsentscheidungen zu kommen. Mit Blick auf die Steuerpolitik fügte er hinzu: „Wohlwissend, dass dies auch Auswirkungen für Deutschland hätte.“

Pragmatismus statt Ideologie

Eine Reihe von Reformvorschlägen zielen konkret auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Zum fiskalpolitischen Kurs in der EU seit der Coronakrise erklärte Scholz: „Ideologie ist Pragmatismus gewichen.“ Erstmals gebe es eine gemeinsame europäische Antwort, indem die nationalen Investitions- und Reformprogramme mit EU-Mitteln unterstützt würden. Ein gemeinsamer Währungsraum brauche gemeinsame Regeln, die eingehalten und überprüft werden könnten, stellte Scholz klar. Die anvisierte Verständigung über den Abbau der coronabedingt hohen Schuldenstände müsse „verbindlich sein, Wachstum ermöglichen und politisch vermittelbar“ sein. „Und zugleich muss sie allen EU-Staaten ermöglichen, die Transformation unserer Volkswirtschaften durch Investitionen zu meistern“, sagte Scholz. Es gehe um etwas Fundamentales: die Gewissheit für die Bürger, dass die europäische Währung sicher und irreversibel sei.

Europäische Souveränität will Scholz auch in wirtschaftlicher Hinsicht gewinnen. Engpässe gebe es nicht nur bei russischen Energieimporten, auch bei der Lieferung von Halbleitern. „Solch einseitige Abhängigkeiten müssen wir schnellstmöglich beenden“, konstatierte Scholz. Europa verdanke seinen Wohlstand dem Handel. Dieses Feld dürfe nicht anderen überlassen werden. „Deshalb brauchen wir auch weitere nachhaltige Freihandelsabkommen und eine ambitionierte Freihandelsagenda.“ Eine echte Kreislaufstrategie würde es Scholz zufolge erlauben, Rohstoffe und seltene Erden, die in Gütern bereits verbaut sind, in Europa zu behalten. „Wirtschaftliche Unabhängigkeit heißt nicht Autarkie“, sagte Scholz. Aber ein Europa mit offenen Märkten und Handel brauche eine Strategie „Made in Europe 2030“. Wo Europa verglichen mit Silicon Valley, Shenzhen, Singapur oder Tokio zurückliege, müsse es sich an die Spitze zurückkämpfen.

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