Großbritannien

Spalten statt versöhnen

Boris Johnson bereitet sich mit der Kabinettsumbildung auf den Wahlkampf vor. Kompromisse werden in der Downing Street derzeit nicht gesucht.

Spalten statt versöhnen

Von Andreas Hippin, London

Und wieder einmal ist nicht das passiert, was Auguren vorhergesagt hatten. Der britische Premierminister Boris Johnson hat nach dem erfolgreichen Vollzug des EU-Austritts keinen gesellschaftlichen Versöhnungskurs eingeschlagen. Bei der langerwarteten Kabinettsumbildung versuchte er gar nicht erst, parteiinterne Gegner an den Tisch zu holen, die einst gegen den Brexit Front gemacht hatten. Wer geglaubt hatte, dass sich die sozialliberalen Überzeugungen von „Bojo“ am Ende früher oder später durchsetzen, wurde bitter enttäuscht. Der Teflon-Politiker setzt vielmehr auf Politiker, die bei der Parteibasis beliebt sind. Und die ist bekanntermaßen wesentlich konservativer als die Abgeordneten der Partei. Die neue Außenministerin Liz Truss (46) gehört zu den Autoren von „Britannia Unchained“ – einer thatcheristischen Kampfansage an den „aufgeblähten Staatsapparat, hohe Steuern und exzessive Regulierung“. Mit Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng und Innenministerin Priti Patel sitzen noch zwei Ko-Autoren des Werks, dessen Kernbotschaft sich mit „Spalten statt versöhnen“ zusammenfassen lässt, im neuen Kabinett. Truss forderte die Welt zudem auf, eine härtere Gangart gegenüber der Volksrepublik China einzuschlagen. Großbritannien dürfe nicht vom Handel mit dem Reich der Mitte abhängig werden.

Ein Macher für die Schulen

Auch Nadhim Zahawi (54) erfreut sich an der Basis großer Beliebtheit, zeichnete er doch für die erfolgreiche Sars-CoV-2-Impfkampagne der Regierung verantwortlich. Dem Mitgründer des Meinungsforschers Yougov wird zugetraut, als Bildungsminister die mächtigen Lehrergewerkschaften in die Schranken zu weisen, die sich zu Beginn der Pandemie weigerten, auf Online-Unterricht umzustellen. Er gilt als begnadeter Macher. Dass Boris Johnson seinen Vorgänger Gavin Williamson eiskalt feuerte und ihm kein nachrangiges Amt anbot wie Dominic Raab, der den Zusammenbruch Afghanistans im griechischen Feriendomizil mitverfolgte, zeigt: Kompromisse werden derzeit nicht gesucht. Auch für Robert Buckland, der seinen Platz als Justizminister für Raab räumen musste, und Robert Jenrick, den Minister für Wohnungsbau, Gemeinden und Kommunalverwaltung war kein Platz mehr im neuen Kabinett.

Johnson braucht die Parteibasis für den nächsten Wahlkampf, der früher kommen könnte als gedacht. Oliver Dowden, der neue Co-Chairman der Tories, forderte den Parteiapparat auf, sich darauf vorzubereiten. „Man kann ein Schwein nicht erst am Markttag mästen“, wird er vom konservativen „Telegraph“ zitiert. Vor Ende 2024 muss die nächste Unterhauswahl stattfinden. Dem über das Innenleben der Partei gewöhnlich gut informierten Blatt zufolge könnte es schon im Mai oder Juni 2023 so weit sein. Rein politisch betrachtet mag man Johnsons zynisches Vorgehen genial finden. Besser kann man seine Macht nicht absichern. Gutes Regierungshandeln ist es jedoch nicht, mitten in einer Pandemie alles durcheinanderzuwirbeln. Wenn Johnson das Thema Pflege wirklich angehen wollte, wäre es vielleicht besser gewesen, Buckland nicht den Laufpass zu geben.

Die Balance zwischen ehemaligen Remainern und Brexiteers hat sich zugunsten Letzterer verschoben. Dabei ist die Diversität im Kabinett gestiegen. Mit dem Außen- und dem Innenministerium befinden sich zwei Schlüsselministerien in Frauenhand. Mit Priti Patel und Schatzkanzler Rishi Sunak haben zudem zwei Nachkommen von Zuwanderern aus Südasien zentrale Regierungsfunktionen inne.