Sachverständigenrat

Wirtschaftsweise im Patt

Die Wirtschaftsweisen sind uneinig über Investitionsausgaben und solide Staatsfinanzen. Das unabhängige Beratergremium der Regierung lässt klare Empfehlungen für die Ampel-Koalition vermissen. Für eine klare Reform der EU-Haushaltsregeln plädierte unterdessen der Europäische Fiskalrat.

Wirtschaftsweise im Patt

wf/ahe Berlin/Brüssel

Während die Ampel aus SPD, Grünen und FDP in den Koalitionsverhandlungen danach sucht, staatliche Ausgaben an der Schuldenbremse vorbei zu ermöglichen, ist auch der Sachverständigenrat für Wirtschaft über das weitere Vorgehen gespalten. In ihrem neuen Jahresgutachten plädieren die derzeit nur vier Wirtschaftsweisen gemeinsam dafür, die Tragfähigkeit und Krisenresilienz der Staatsfinanzen wieder zu stärken. In der Corona-Pandemie waren die Schuldenquoten der EU-Mitgliedstaaten zum Teil stark gestiegen. „Die Fiskalpolitik sollte nach der Krise wieder normalisiert werden“, sagte Ratsvorsitzender Volker Wieland bei der Vorstellung des Gutachtens vor der Presse in Berlin.

Mehr als vor der Krise

Auch in der Geldpolitik raten die Wirtschaftsweisen zur Normalisierung. „Die Geldpolitik trägt zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum am besten durch Sicherstellung der Preisstabilität bei“, so Wieland.

Nicht einigen konnte sich das Beratergremium, das eine Sollstärke von fünf Wissenschaftlern hat, indessen darauf, wie die europäischen Fiskalregeln möglicherweise reformiert werden und wie private und öffentliche Investitionen hierzulande mobilisiert werden könnten, wenn die Ausnahmen von der Schuldenbremse enden. Angesichts des Patts zwischen Wieland und Veronika Grimm einerseits sowie Monika Schnitzer und Achim Truger andererseits gab es diesmal kein Minderheitsvotum im Gutachten, sondern „zwei unterschiedliche Vorgehensweisen“.

Hierzulande sind die öffentlichen Ausgaben durch die Corona-Pandemie stark gestiegen. Von 2023 an soll die Schuldenbremse wieder eingehalten werden. Darauf dürfte sich auch die neue Ampel-Koalition verpflichten. Der Bundeshaushalt für 2022 ist noch nicht beschlossen; die neue Regierung wird eigene Akzente setzen. Die bisherige Planung der Bundesregierung zeigt laut Sachverständigenrat im Vergleich zu den exorbitanten Mehrausgaben während der Pandemie, dass das Ausgabenniveau sich mittelfristig wieder dem Pfad der Planung vor der Krise annähert. 2023 liegt es gleichwohl um 27,7 Mrd. Euro über der Vorkrisenplanung. Deutlich mehr sollen für Jobmarkt, regionale Wirtschaftsförderung, Verteidigung und Gewährleistungen ausgegeben werden.

Wieland und Grimm machen sich sowohl für die Einhaltung der europäischen Fiskalregeln als auch der nationalen Schuldenbremse stark. Den europäischen Stabilitätspakt halten beide für ausreichend flexibel, sowohl wegen der allgemeinen Ausnahmeklauseln als auch wegen umfangreicher Ausnahmen und Spielräume abseits davon. Die Fiskalpolitiken der meisten Mitgliedstaaten des Euroraums würden zudem in den kommenden Jahren nicht maßgeblich von den EU-Fiskalregeln begrenzt, wird betont. Reformen sollten aus Sicht von Wieland und Grimm die Komplexität des Regelsystems sinnvoll reduzieren sowie Einhaltung und Durchsetzung transparenter machen und Prozyklizität vermeiden. Mit Blick auf die deutschen Staatsfinanzen sind beide vom Konzept einer festen Budgetbegrenzung überzeugt. Viele umweltschädliche Subventionen könnten abgebaut und die gesetzliche Rente reformiert werden, sagte Wieland. Steuermehreinnahmen sollten investiv ausgegeben werden. Die Staatsquote liege bei mehr als 50%, warnte Wieland.

Schnitzer und Truger wollen dagegen hoch verschuldeten Ländern wie Italien längere Abbaupfade erlauben, um zu den EU-Fiskalregeln zurückzukehren. Hierzulande gibt es Truger zufolge „sehr hohe Ausgabenbedarfe“. Das müsse man „annehmen“, ohne die Schuldenbremse zu ändern. Kreditfinanzierte Lösungen an der Schuldenbremse vorbei – etwa über eine Investitionsagentur – bezeichnete Truger als „sinnvoll“. Schnitzer sprach sich für eine Verstetigung der öffentlichen Investitionen aus – auch in Zeiten knapper Kassen.

EU-Fiskalrat fordert Reformen

Unterstützung erhielten Schnitzer und Truger am Mittwoch auch vom Europäischen Fiskalrat. Das unabhängige Beratergremium der EU-Kommission plädierte bei der Vorlage seines Jahresberichts ebenfalls dafür, die derzeit in den EU-Haushaltsregeln geltende Schuldenobergrenze von 60% der Wirtschaftsleistung beizubehalten, aber den Anpassungspfad dorthin flexibler zu gestalten. Klare und erkennbare numerische Zielvorgaben im Stabilitäts- und Wachstumspakt, zu denen auch die 3-%-Grenze für das Haushaltsdefizit gehöre, spielten in jedem soliden haushaltspolitischen Rahmen eine wichtige Rolle, betonte der Vorsitzende des Rates, Niels Thygesen, in Brüssel.

Trotzdem plädierte der Fiskalrat für eine „echte Reform“ der bis Anfang 2023 ausgesetzten EU-Haushaltsregeln. Eine Vereinfachung der EU-Finanzpolitik habe gerade nach der Pandemie an Bedeutung gewonnen. Der Fiskalrat verwies unter anderem auf die mangelnde Einhaltung der heutigen Regeln sowie auf das Problem, dass in guten Zeiten keine Puffer gebildet werden. Nach einer Reform solle es nur noch einen mittelfristigen Schuldenanker geben sowie eine einzige Vorgabe zur Ausgabenbegrenzung.

Angesichts des grünen und digitalen Investitionsbedarfs hält der Rat ein Programm zur Förderung staatlicher Investitionen für gerechtfertigt. Zu diesem Zweck solle der EU-Haushalt aufgestockt werden, um so grüne öffentliche Investitionen und transnationale Infrastrukturprojekte aufstocken zu können. Dieser Weg sei besser, als über eine „goldene Regel“ Ausnahmen von den Fiskalregeln zu erlauben, hieß es.

Ein überarbeiteter EU-Haushaltsrahmen sollte nach Ansicht des Rates durch weitere Reformen ergänzt werden, die die Widerstandsfähigkeit noch erhöhen. Genannt wurde insbesondere die Schaffung einer zentralen Fiskalkapazität in der EU.

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