Kommentar Chinesische Konjunktur

Die Rache des Konsumenten

In China geht die Deflationsangst um. Rückläufige Verbraucherpreise zeigen, dass die Konsumenten in der Defensive bleiben.

Die Rache des Konsumenten

China

Die Rache des Konsumenten

Von Norbert Hellmann

Keine Frage, Chinas neue Preisdaten sind ein mächtiges Ärgernis für die Pekinger Regierung, der viel daran liegt, die Tragweite der laufenden Konjunkturschwäche herunterzuspielen. Im Juli fielen die Verbraucherpreise um 0,3% gegenüber Vorjahr, die Erzeugerpreise lagen 4,4% im Minus. An beiden Fronten befindet man sich im Deflationsterritorium, eine für China ungewohnte Konstellation. Seit Frühjahr verliert die Wirtschaft an Schwung und konterkariert das eigentlich vorgesehene Szenario einer strammen konsumgeleiteten Post-Covid-Erholung. Parallel dazu hat sich die Inflationsrate immer näher an die Nulllinie angeschmiegt, um sie jetzt zu unterschreiten.

Für China-Ökonomen ist der neue Inflationsausweis keine Überraschung. Allerdings hat Peking zuletzt mächtigen Druck auf die Analystengemeinde ausgeübt, von Deflationswarnungen Abstand zu nehmen. Auch am Mittwoch zeigte man sich dünnhäutig. Während Inflationsdaten in der Regel nicht begleitend kommentiert werden, ließ das Statistikbüro diesmal wissen, dass ungünstige Basiseffekte eine Rolle spielten und die Verbraucherpreise bald wieder graduell anziehen dürften. In Berichten der Staatsmedien wird das Wörtchen Deflation sowieso wie der Teufel gemieden.

Warum die Nervosität, wenn sich alles schon bald in Wohlgefallen auflösen wird? Chinas Wirtschaftsplanern graust es bei der Vorstellung, dass das sowieso schon angeknackste Konjunkturvertrauen noch zusätzlich von einer “Deflationsmentalität” belastet wird. Die Frage ist, ob die Wahrnehmung von Preisrückgängen verbraucherpsychologische Reaktionen auslöst, die den Konsumaufschub fördern. Im Fokus stehen nicht Lebensmittelpreise, deren Rückgang den Konsumpreisindex mit nach unten ziehen, sondern langlebigere Konsumgüter und größere Haushaltsanschaffungen. Hier sieht man bereits eine große Zurückhaltung, die ausschlaggebend für Chinas zähen Konjunkturverlauf ist. Die Nachwehen der Null-Covid-Politik finden im wachsenden Vorsichtssparen der Privaten einen Niederschlag, was den erhofften konsumgeleiteten Konjunkturaufschwung vereitelt.

Für etwas Beruhigung mag sorgen, dass die um Lebensmittel- und Energiepreise bereinigte Kerninflationsrate im Juli von 0,4 auf 0,8% gegangen ist. Das kann man als Indiz für eine Belebung der Binnennachfrage werten. Das heißt aber noch lange nicht, dass der negative Preistrend bei höherwertigen Konsumgütern umklappt, weil die Verbraucher neuen Mut schöpfen. Bis auf weiteres werden zunächst einmal Deflationsängste Hochkonjunktur haben.   

Bericht zur Konjunkturentwicklung in China

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