Anlageberatung

Darf es ein bisschen nachhaltiger sein?

Der Countdown zur grünen Beratung läuft. Ab Anfang August gilt die Pflicht zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen von Anlegern. Auf den letzten Metern wirft die Regulierung aber viele Fragen auf.

Darf es ein bisschen nachhaltiger sein?

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Der Countdown zur grünen Anlageberatung läuft: Ab dem 2. August müssen Berater ihre Kunden nach Willen der EU zu deren Nachhaltigkeitspräferenzen befragen. Betroffen sind beispielsweise 19000 Finanzanlagenvermittler und 113000 Anlageberater, die überwiegend in Banken arbeiten. In sechs Monate reicht es dann nicht mehr, nach Anlagezielen, Rendite und Risiko sowie Verlusttragfähigkeit zu fragen. Dann müssen die Vorstellungen der Kundschaft zu Umwelt, sozialem und guter Unternehmensführung (ESG) abgeklopft werden. Das entsprechende Projekt im Rahmen der EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II läuft schon seit Jahren – wirft auf den letzten Metern aber viele Fragen auf.

Sparkassen preschen vor

Ungeachtet aller Schwierigkeiten sind die Banken bereits am Start. „In der Praxis werden Kundinnen und Kunden häufig auch jetzt schon im Rahmen ihrer Beratung nach dem Wunsch nach nachhaltiger Geldanlage befragt“, teilt der Bankenverband mit. Im Bereich der Sparkassen werden bereits heute die Nachhaltigkeitspräferenzen der Anleger systematisch in der Beratung berücksichtigt. „Die Implementierung der Nachhaltigkeitsabfrage erfolgte anhand der ursprünglichen Entwürfe der EU zur nachhaltigen Anlageberatung nach Mifid II“, so der DSGV. Für die ab dem 2. August geltenden Vorgaben würden die bestehenden Prozesse derzeit auf Basis der finalen EU-Vorgaben angepasst. Dass zum Start das Regelwerk zur Nachhaltigkeit noch nicht final sei, stelle die gesamte Branche vor große Herausforderungen, so der DSGV. „Wo heute noch Vorgaben fehlen, werden diese erst nachträglich einbezogen werden können. Das erhöht leider massiv den Aufwand für die Umsetzung, für die die Zeit ohnehin schon denkbar knapp bemessen ist“, so die Zwischenbilanz des Sparkassenverbands zur neuen Regulierung.

Für die Nachhaltigkeitspräferenz gibt es künftig mehrere Kategorien. Grob gesagt können Kunden den Wunsch äußern, ob sie ein Produkt wünschen, bei dem ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne der Taxonomie-Verordnung angelegt werden soll, ein Produkt, bei dem ein Mindestanteil im Sinne der Offenlegungsverordnung angelegt werden soll oder ein Produkt, bei dem die wichtigsten nachhaltigen Auswirkungen berücksichtigt werden. Zusätzlich können die Anleger qualitative oder quantitative Kriterien angeben.

„Interessant wird es, wenn ein Kunde nachhaltig investieren will“, sagt Rolf Häßler, Geschäftsführer des NKI Institut für nachhaltige Kapitalanlagen. Dann müssten ab August die Anbieter ein differenziertes Produktangebot vorhalten. „Letztlich braucht man eine Matrix mit der heutigen Rendite-Risiko-Klassifizierung auf der einen Seite und ESG-Kriterien auf der anderen Seite.“

Unklar ist derzeit, wie ein nachhaltiges Produkt im Rahmen der Beratung definiert wird. Doch ohne verbindliche Zielmarktdefinition wird es schwierig. „Es reicht nicht aus, wenn ein Fonds nach Artikel 8 der Offenlegungsverordnung klassifiziert ist, auch wenn einige Anbieter den Eindruck vermitteln, dass eine solche Einstufung ein Qualitätsmerkmal ist“, sagt Häßler. Eine solche Einordnung erfülle lediglich Transparenzanforderungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit und stelle keine Qualitätsklassifizierung dar. Ein großes Problem sei außerdem, dass es keine konkrete Formulierung gebe. „Wenn die Fragestellung beispielsweise so lautet: Liebe Anleger, möchtest du zulasten der Rendite nachhaltig anlegen, dann wären die Antworten klar.“

Beratungsgespräche zu Nachhaltigkeit dürften schnell auf eine inhaltliche Ebene kommen. Es dürfte dann nicht mehr nur um Risiko und Rendite gehen, sondern beispielsweise um die Frage, ob Atomkraft ausgeschlossen sei oder um andere kontroverse Themen. „Manche Kunden werden wissen wollen, was ein Best-in-Class-Ansatz ist. Der Berater wird künftig sehr gefordert sein und muss entsprechend weitergebildet werden. Es ist sogar denkbar, dass die Kunden nach der nachhaltigen Strategie der Bank fragen. Auch dazu müsste ein Berater Auskunft geben“, sagt Häßler zu den möglichen Folgen der Mifid-II-Erweiterung.

Aus Sicht einiger Branchenvertreter spricht vieles für eine Verschiebung. Martin Klein, Geschäftsführer des Verbandes unabhängiger Finanzdienstleister Votum, weist darauf hin, dass die technischen Regulierungsstandards der Offenlegungsverordnung anders als geplant ein Jahr später und damit erst Anfang 2023 vorliegen werden. Dabei gehe es um die Beschreibung der Nachhaltigkeitsaspekte für die einzelnen Anlageprodukte. „Das sind konkrete Standards, die als Basis für die Nachhaltigkeitsberatung dienen sollen“, so Klein. Das Problem: Ab August müssen Berater auch für Aussagen bezüglich der Nachhaltigkeit von Anlageprodukten haften. „Dafür fehlen die Standards und das birgt Haftungsrisiken. Die Berater setzen sich damit der Gefahr aus, dass Kunden Verträge rückabwickeln könnten.“

Grundsätzlich begrüßt es der Votum-Verband, Anleger zu Nachhaltigkeitsthemen zu beraten. Auf diese Art und Weise komme man mit den Kunden ins Gespräch und könne sich beispielsweise auch von einem Robo-Advisor abgrenzen. „Die Branche ist sehr offen für Nachhaltigkeit. Das Haftungsproblem ist jedoch nicht akzeptabel.“ Wenn die Verschiebung nicht gelinge, müsse in der Beratung darauf hingewiesen werden, dass die Standards noch nicht vorliegen und dass bestimmte Aussagen unter Vorbehalt getroffen werden. „Ohne solche Haftungshinweise können wir im August nicht starten.“

Blauäugige Anleger

Erste Testbefragungen von Votum haben gezeigt, dass Kunden zum Teil blauäugig seien und gleich all ihr Geld zu 100% nachhaltig anlegen oder sofort eine positive Wirkung erzielen wollten, ohne sich der Risiken bewusst zu sein, berichtet Klein. „Denn dann müssten sie beispielsweise eine Beteiligung an einem Windpark kaufen, was mit einem Totalverlustrisiko verbunden ist.“

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