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Dax-Kolosse dürfen schwerer werden

Mit der Anhebung der Kappungsgrenze auf 15% reagiert die Deutsche Börse auf den Rückzug von Linde aus dem Dax. Anders als im vergangenen Jahr kommt nun mehrheitlich Unterstützung von Marktteilnehmern.

Dax-Kolosse dürfen schwerer werden

Dax-Kolosse dürfen schwerer werden

Mit der Anhebung der Kappungsgrenze auf 15 Prozent reagiert die Börse auf den Rückzug von Linde aus dem Dax. Inzwischen unterstützen Marktteilnehmer die Erhöhung.

Von Helmut Kipp und Wolf Brandes, Frankfurt

Als der Industriegasehersteller Linde im Oktober vergangenen Jahres ankündigte, die Frankfurter Börse und damit Deutschlands wichtigsten Börsenindex Dax zu verlassen, ging ein Aufschrei durch die Finanz-Community. "Das ist bitter, das tut weh", gab Deutsche-Börse-Vorstandschef Theodor Weimer zu. Dem Marktbetreiber war es nicht gelungen, den damals 150 Mrd. Euro schweren Wert zu halten. Seit Ende Februar 2023 notiert die Linde-Aktie nur noch in New York.

Nun zieht der Börsenbetreiber Lehren aus diesem Tiefschlag. Er erhöht die Kappungsgrenze von 10 auf 15%. Denn ansonsten wäre man womöglich Gefahr gelaufen, auch noch den Softwarekonzern SAP zu verlieren. Ein Finanzplatz ohne die beiden Aushängeschilder Linde und SAP – das wäre doppelt bitter gewesen.

Dax soll deutsche Wirtschaft abbilden

Die Kappungsgrenze verhindert, dass ein Unternehmen ein als zu hoch eingestuftes Gewicht im Börsenindex bekommt. Denn insbesondere der Dax soll Breite und Vielfalt der deutschen Wirtschaft abbilden. Steigt das Gewicht über den Grenzwert, wird es zur Indexüberprüfung alle drei Monate wieder auf den Cap gesenkt und die Differenz auf die anderen Indexmitglieder verteilt. Für betroffene Unternehmen hat das gravierende Folgen. Denn Fonds, die den Index abbilden, müssen Aktien veräußern. Diesem technisch bedingten Verkaufsdruck war Linde regelmäßig ausgesetzt. Er führte letztlich zum Rückzug aus Frankfurt.

Marktteilnehmer für Reform

Die neue Kappungsgrenze von 15% gilt nicht nur für den Dax, sondern auch für MDax, SDax und TecDax. Sie greift erstmals zur Indexüberprüfung im März kommenden Jahres. Mit der Anhebung werde die Dax-Indexfamilie an internationale Standards angepasst, teilt die Deutsche Börse mit. So gibt es auch beim französischen CAC 40 eine Kappungsgrenze von 15%. Verbundene Unternehmen (wie Siemens, Siemens Healthineers und Siemens Energie) dürfen maximal 30% erreichen. Zwischen den Überprüfungen im Quartalsrhythmus werden Anpassungen vorgenommen, wenn das Gewicht einer Aktie auf mehr als 20% klettert.

Bisher 38 Kappungen

Mit der Reform folgt die Börse dem Votum von Marktteilnehmern, die mit einer Mehrheit von 62% für die Anhebung gestimmt haben. Befragt wurden 63 Adressen, vor allem Finanzhäuser, aber auch Unternehmen, Organisationen und Privatanleger. Bei der Marktkonsultation im Frühjahr 2022 hatte sich noch eine Mehrheit der Befragten gegen eine Anhebung ausgesprochen. Die derzeit noch geltende Grenze von 10% hat laut Deutscher Börse im Dax in den vergangenen zehn Jahren zu 38 Kappungen geführt. Davon waren vier Unternehmen betroffen: Bayer, Siemens, Linde und SAP. Kein Unternehmen erreichte in dem Zeitraum die neue Marke von 15%. In der Spitze waren es 11,62%.

Rückrechnungen für zehn Jahre zeigen, dass sich die höhere Kappungsgrenze nur wenig auf Indexperformance und -schwankungen auswirkt. So liegt die jahresdurchschnittliche Dax-Rendite bei einem Cap von 10% bei 6,42% und bei einem von 15% bei 6,34%. Seit Anfang 2023 ergeben sich Renditen von 12,97 bzw. 12,94%.

Derzeit nur SAP drüber

Als einziger Dax-Wert überschreitet SAP derzeit die 10%-Marke, während der Nächstplatzierte Siemens mit 9,56% darunter liegt. SAP kommt aktuell auf 10,67%. Naheliegenderweise stößt die Indexreform in Walldorf auf Zustimmung: „SAP begrüßt die Anhebung der Kappungsgrenze im Dax.“ Die SAP-Aktie habe im laufenden Jahr die 10%-Grenze bisher 20-mal überschritten. Derzeit bewegt sich die Notierung am Allzeithoch aus dem August 2020 von 142,26 Euro. Auch das Deutsche Aktieninstitut hatte sich im Vorfeld für die Anhebung ausgesprochen. Wachstumsunternehmen dürften nicht wie derzeit am Kapitalmarkt bestraft werden, indem insbesondere Indexfonds Anteile verkaufen müssten, wenn die Kappungsgrenze überschritten werde.

Auf Vorbehalte stößt die Reform dagegen bei aktiven Portfoliomanagern und beim deutschen Fondsverband BVI. Der BVI bezweifelt, dass die Erhöhung auf 15% den Leitindex attraktiver macht. „Die Anhebung der Kappungsgrenze wird in der Regel keine angemessene Risikoverteilung auf den Markt widerspiegeln, sie kann auch die Liquidität für kleinere Indexteilnehmer verringern“, gibt ein Sprecher zu bedenken. Die negativen Folgen ließen sich an den US-Indizes ablesen.

Tech-Riesen dominieren S&P 500

So zeige der S&P 500 vor allem die Entwicklung von zehn großen Technologiekonzernen, aber nicht mehr die breiten Marktentwicklungen der übrigen 490 Indexmitglieder. Der BVI hatte die geplante Erhöhung bereits im Vorfeld abgelehnt und betont, dass alle Finanzindizes breit diversifiziert sein sollten, damit aktive Vermögensverwalter in möglichst viele Bestandteile investieren können.

Marcus Poppe, Co-Head europäische Aktien von DWS Deutschland, bedauert die Entscheidung ebenfalls. "Aktiv verwaltete Deutschlandfonds dürfen keine Einzelgewichtung über 10% haben und werden daher zukünftig strukturell gegenüber passiven Produkten benachteiligt sein. Diese Problematik scheint vielen Teilnehmern der Umfrage nicht bewusst gewesen zu sein“, sagt er der Börsen-Zeitung. Die Deutsche Börse reagiert auf solche Einwände mit der Ankündigung, die Einführung einer Dax-Version mit einer Obergrenze von 10% zu prüfen.

Kaum Einfluss auf Bewertung

Kritisch sieht DWS-Fondsmanager Poppe auch das Argument, dass die Kappungsgrenze einen nachhaltig negativen Einfluss auf die Bewertung von Unternehmen habe: "Das Beispiel Linde zeigt, dass sich die Bewertung des Unternehmens seit dem Delisting in Deutschland kaum im Vergleich zu den beiden Vorjahren verändert hat.“

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