Hannover

Denkzettel für die Ampel in der Energiekrise?

Stephan Weil darf hoffen, SPD-Ministerpräsident Niedersachsens zu bleiben. Ein Wahlsieg am Sonntag würde das Energiekrisenmanagement der Berliner Ampel-Koalition nicht noch weiter erschweren.

Denkzettel für die Ampel in der Energiekrise?

Liegen die Umfragen richtig, wird Stephan Weil auch die nächste Regierung im zweitgrößten deutschen Flächenstaat anführen. Klassische landespolitische Themen wie beispielsweise die Schulpolitik spielten vor der Wahl zum 19. Niedersächsischen Landtag am kommenden Sonntag keine wesentliche Rolle – hilfreich für den seit 2013 amtierenden SPD-Ministerpräsidenten, dessen Partei Probleme wie Lehrermangel und Unterrichtsausfall in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht unter Kontrolle bekam.

Überlagert wurde der Wahlkampf in Niedersachsen mehr als bei den drei vorherigen Landtagswahlen seit Beginn des Kriegs in der Ukraine – im Saarland Ende März sowie in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mai – von der Debatte über explodierende Energiepreise und von der Beurteilung des Krisenmanagements der Ampel-Koalition in Berlin. Trotz wachsender Unzufriedenheit auch in Niedersachsen mit der Politik der von seinem Parteifreund Olaf Scholz geführten Bundesregierung blieb Weil – unter den 16 Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen in Deutschland hinter Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt), Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg) und Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) nach Amtsjahren die Nummer 4 – mit seiner SPD führend in Umfragen.

Erlitt die Kanzlerpartei in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Niederlagen aus der Opposition heraus, wäre eine Niederlage Weils im Rennen um die Staatskanzlei in Hannover für die SPD verheerend und nicht schönzureden. Nicht zuletzt angesichts vieler FDP-Anhänger, die mit der Beteiligung der Liberalen an der Ampel-Koalition in Berlin erheblich fremdeln und die mit Blick auf die aktuellen Umfragewerte um den Wiedereinzug ihrer Partei in das Landesparlament in Hannover fürchten müssen, würde die Arbeit in der Bundesregierung wesentlich erschwert. Dass der CDU-Herausforderer in Niedersachsen und bisherige Wirtschaftsminister Bernd Althusmann bei einem Rückstand seiner Partei in Umfragen von einigen Prozentpunkten trotz scheinbar klarer Ausgangslage noch hoffen kann, Ministerpräsident zu werden, ist auf Unwägbarkeiten an Wahltagen zurückzuführen – etwa auf die offene Frage, welche Partei bis zum Schluss unentschlossene Wähler besser auf ihre Seite ziehen konnte. Zudem lagen Wahlforscher zuletzt mit Umfragewerten einzelner Parteien auch deutlich daneben.

In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen profitierten die CDU-Ministerpräsidenten bei den Landtagswahlen im Mai von ihrem Amtsbonus – wobei dieser im Fall des in Düsseldorf erst im Oktober 2021 auf den Posten gerückten Hendrik Wüst vergleichsweise gering ausfiel. Wahlanalysen ergaben, dass die Union als Regierungspartei am Ende des Wahlkampfs von einem „Bandwagon“-Effekt profitierte. Unentschlossene Wähler entschieden sich zum Schluss eher für die Seite des erwarteten Wahlsiegers.

Dies spricht beim anstehenden Urnengang in Niedersachsen für Amtsinhaber Weil, der als neuer Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz kurz vor der Wahl noch einmal staatsmännisch auftreten konnte. Der unterschiedliche Blick der Niedersachsen auf Bund und Land kann den 63-Jährigen, der in seiner Partei ein Schwergewicht ist und 2019 als SPD-Chef im Gespräch war, auf einen dritten Wahlsieg hoffen lassen, wie Wahlforscher meinen. Sollte es für eine Neuauflage der Koalition mit den im Land eher linken Grünen wie zwischen 2013 und 2017 nicht reichen, könnte es auch in Hannover zur „Ampel“ kommen. Die FDP hat dies anders als vor fünf Jahren, als das auf einer knappen Mehrheit basierende rot-grüne Regierungsbündnis nach dem Wechsel einer Grünen-Abgeordneten zur CDU vorzeitig platzte, nicht ausgeschlossen. Zuletzt bemühte sie sich verstärkt um Zweitstimmen aus dem bürgerlichen Lager.

Unions-Spitzenkandidat Althusmann, der die Wahl in Niedersachsen als eine „Denkzettelwahl“ für die Ampelregierung in Berlin bezeichnet hat, sprach sich für eine Fortführung der großen Koalition in Hannover aus – unter seiner Führung. Wahrscheinlicher jedoch erschien zuletzt, dass seine zweite Chance in Niedersachsen auch die letzte wird.

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