London

Die britische Jugendrevolte von 2023

Britische Schülerinnen und Schüler proben den Aufstand. Proteste gegen Unisex-Toiletten und die strenge Schulkleiderordnung breiten sich dank Tiktok und Snapchat rasant aus.

Die britische Jugendrevolte von 2023

Großbritannien wird derzeit von Jugendprotesten erschüttert, die sich dank sozialer Medien wie Tiktok und Snapchat rasant ausbreiten. Manche Videos werden millionenfach abgerufen. Ob Cornwall, Essex, Lincolnshire oder Yorkshire: Schülerinnen und Schüler machen ihrem Ärger über neu eingeführte Unisex-Toiletten, strenge Vorgaben für Kleidung und Frisur sowie restriktive Verhaltensregeln Luft. Das Bildungsministerium zeigte sich „besorgt über die Berichte über Unterrichtsstörungen“, ist „Schools Week“ zu entnehmen. Man werde Schulleiter unterstützen, die einschreiten, um für Ruhe in den Klassenzimmern zu sorgen.

Wie die „Daily Mail“ berichtet, demons­trierten an der Weston Secondary School in Southampton 200 Schülerinnen und Schüler gegen die neuen Unisex-Toiletten. „Wir finden das nicht fair“, zitiert das Blatt die 14-jährige Cloe. „Die Mädchen an unserer Schule fühlen sich nicht wohl damit. Manche Leute finden es lustig, die Tür von außen zu entriegeln, wenn man drin ist.“ Die Lehrer hätten die Bedenken der Schülerinnen ignoriert. Eine Schülerin fühle sich so unwohl damit, die Toiletten mit Jungs teilen zu müssen, dass sie in der Schule gar nicht mehr aufs Klo gehe, zitiert das Blatt einen Elternteil. Auch die strenge Kleiderordnung vieler Schulen sorgt immer wieder für Ärger. Olivia Williams (15) wurde vom Lehrpersonal der Trinity Academy Cathedral School in Wakefield (West Yorkshire) befohlen, keine zu engen Hosen zu tragen und ihre Fesseln zu bedecken, um keine sexuelle Aufmerksamkeit zu erregen.

An der Rainford High in St Helens (Merseyside) kam es zu Protesten, als männliche Lehrkräfte der Meinung waren, sie müssten die Rocklänge von Schülerinnen nachmessen. Kulturelle Befindlichkeiten werden gerne ignoriert, etwa wenn Schüler, deren Familien einmal aus der Karibik eingewandert sind, angewiesen werden, auf Dreadlocks zu verzichten.

Über die sozialen Medien tauschen sich die Betroffenen aus und geben sich Ratschläge, wie Proteste organisiert werden können. An Williams’ Schule dürfen die Kinder nur noch vor Unterrichtsbeginn, in den Pausen oder nach dem Unterricht die Toiletten aufsuchen – die Schüler sprechen von „Gefängnisregeln“. Für Mädchen, die ihre Tage haben, gibt es einen „roten Pass“, der ihnen den Gang zum Klo ermöglicht. Andere Schulen haben „rote Karten“ und Ähnliches eingeführt. Williams organisierte eine Protestaktion und wurde prompt für zwei Tage vom Unterricht ausgeschlossen – offenbar die einzige Antwort, die den Autoritäten einfällt. Die Schulleitung der Buttershaw Business & Enterprise College Academy (West Yorkshire) rief bei ähnlichen Protesten gleich die Polizei. Eine 14-Jährige wurde wegen eines Vergehens gegen die öffentliche Ordnung festgenommen. „Es war ein friedlicher Protest vor den Toiletten“, zitiert das Lokalblatt „Telegraph & Argus“ einen Elternteil. „Sie haben Angst, in die Hose zu machen.“

Nicht überall bleibt es friedlich. Die Rektorin der Richmond School and Sixth Form (North Yorkshire) rief die Ordnungshüter, als Schüler Feuerlöscher leerten. „Cornwall Live“ berichtete, an der Penrice Academy in St. Austell habe es „Krawalle“ gegeben. Schüler hätten Tische umgeworfen und Zäune niedergerissen. Zu ähnlichen Szenen kam es an der Farnley Academy in Leeds. Dort bewacht eine Lehrkraft die Toiletten, die während der Unterrichtszeit nur mit einem Passierschein aufgesucht werden dürfen. „Wahnsinn“ lautet das Urteil vieler Eltern und Schüler über diese Politik. „Ich bin angewidert“, zitiert „Leeds Live“ Natalie Hennessy, deren Sohn die Schule besucht und sich dort wie im Gefängnis fühlt. „Unzählige Male habe ich die Schule kontaktiert, aber ich stoße auf taube Ohren. Sie nehmen ihnen die Menschenrechte.“ Die Proteste halten an. Mancherorts haben sie Erfolg. Annabel Kay, die Rektorin der Warriner School in Banbury (Oxford­shire), hat ihr Vorhaben, eine „geschlechtsneutrale“ Uniform einzuführen, auf Eis ge­legt. Auch sie hatte zuerst nach der Polizei gerufen, als sich die Schüler lautstark für Individualität und Wahlmöglichkeiten einsetzten und ideologisch motivierter Gleichmacherei eine Abfuhr erteilten.