Reformbedarf

Die HV der Zukunft – eine echte Reform tut not

Die deutsche Hauptversammlung ist dringend reformbedürftig. Die Chance hierzu hätte sich im Rahmen der von der Regierungskoalition im Koalitionsvertrag angekündigten dauerhaften Kodifizierung der Online-Hauptversammlung geboten.

Die HV der Zukunft – eine echte Reform tut not

Die deutsche Hauptversammlung ist dringend reformbedürftig. Die Chance hierzu hätte sich im Rahmen der von der Regierungskoalition im Koalitionsvertrag angekündigten dauerhaften Kodifizierung der Online-Hauptversammlung geboten. Nachdem der im Februar vorgelegte Referentenentwurf (RefE) noch Hoffnung aufkommen ließ, dass zumindest für virtuelle Hauptversammlungen ein Teil des bisherigen Ballasts über Bord geworfen wird, hat sich der Gesetzgeber in dem jetzt vorgelegten Regierungsentwurf allein auf die Digitalisierung beschränkt.

Die grundlegenden Strukturprobleme der Hauptversammlung blieben unangetastet. Damit ist die Chance zu einer zeitgemäßen Re­form des Hauptversammlungsrechts vorerst vertan.

Zum Hintergrund: Die klassische Präsenzversammlung ist hierzulande seit Jahren geprägt durch endlose Debatten, die sich bei größeren Gesellschaften häufig bis in den späten Abend hinziehen. Der Grund ist vor allem im antiquierten Beschlussmängelrecht zu sehen. Selbst kleinste Informationspflichtverletzungen können zu einer erfolgreichen Be­schlussanfechtung führen.

Einen erzwungenen Modernisierungsschub brachte die Covid-19-Pandemie. Mit einem befristeten Notgesetz wurden nicht nur erstmals rein virtuelle Versammlungen zugelassen, sondern auch Teile der Generaldebatte in das Vorfeld der Versammlung verlagert und die Anfechtungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Bei vielen Gesellschaften reduzierte sich die Dauer der Hauptversammlung deutlich, obwohl aufgrund des virtuellen Formats mehr Aktionäre teilnehmen konnten. Bei Aktionärsvertretern sorgte das Notgesetz dagegen für Kritik. Insbesondere die Degradierung des Auskunftsrechts zu einer bloßen Fragemöglichkeit sowie das fehlende Rederecht und die fehlende Antragsmöglichkeit in der Versammlung führten zu Unmut.

Regeln 2020 nachjustiert

Der Gesetzgeber nahm dies Ende 2020 zum Anlass, die Regelungen zugunsten der Aktionäre nachzujustieren. So wurde unter anderem die Fragemöglichkeit zu einem Fragerecht aufgewertet. Viele Gesellschaften boten ihren Aktionären zudem – ermutigt durch die zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen – freiwillig weitergehende Interaktionsmöglichkeiten an.

Da die Covid-19-Regelungen Ende August auslaufen, ist der Gesetzgeber aufgerufen, eine dauerhafte Lösung für die virtuelle Hauptversammlung zu schaffen. Der Referentenentwurf aus dem Februar hielt an der Grundidee einer teilweisen Verlagerung in das Vorfeld der Versammlung fest. Gestützt auf die Erfahrungen mit den freiwilligen Interaktionsmöglichkeiten wurden aber auch die Aktionärsrechte deutlich ausgeweitet, indem etwa ein Nachfragerecht und ein Live-Rederecht vorgesehen wurden. Der im Notgesetz noch enthaltene weitgehende Anfechtungsausschluss wurde auf technische Störungen be­schränkt. Zu dem RefE wurden zahlreiche Stellungnahmen eingereicht, die den Gesetzesvorschlag ganz überwiegend positiv und als ausgewogene Lösung beurteilten. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass der Gesetzgeber jetzt mit dem Regierungsentwurf einen völlig anderen Weg gegangen ist und die Regelungen in allen maßgeblichen Punkten einseitig zugunsten der Aktionäre modifiziert hat.

Von der Verlagerung in das Vorfeld der Versammlung und der damit verbundenen Entzerrung der Generaldebatte ist wenig übrig geblieben. Während nach dem Referentenentwurf die Einreichung von Aktionärsanträgen noch weitgehend auf das Vorfeld beschränkt war, können nunmehr sämtliche Anträge auch in der Versammlung gestellt werden. Ähnliches gilt für das Auskunftsrecht.

Der Vorstand kann nach wie vor anordnen, dass Fragen bis spätestens drei Tage vor der Versammlung einzureichen sind. Allerdings ist jetzt nicht nur vorgesehen, dass die Gesellschaft dann auch die Antworten bereits vorab veröffentlichen muss. Vielmehr können in der Versammlung von allen Aktionären Nachfragen und – wenn es die Zeit erlaubt – sogar weitere Fragen zu Sachverhalten gestellt werden, zu denen bereits vorab Fragen hätten eingereicht werden können. Dies dürfte dazu führen, dass sich die Arbeit verdoppelt. Es ist schwer vorstellbar, dass die Praxis von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird.

Nur Verlagerung ins Internet

Im Ergebnis führt die Neuregelung zu einer bloßen Verlagerung der überkommenen Präsenzversammlung in das Internet. Abgesehen von der Digitalisierung ist von der erhofften und dringend benötigten Modernisierung wenig übrig geblieben. Sämtliche Probleme der Präsenzversammlung werden mit dem Reformvorschlag im digitalen Format perpetuiert.

Der Gesetzgeber sollte den Mut aufbringen, innezuhalten. Anstatt den jetzigen Entwurf eilig durch das Gesetzgebungsverfahren zu peitschen, wäre er gut beraten, die Chance zu einer behutsamen Modernisierung des Hauptversammlungsrechts zu ergreifen.

Noch ist Zeit

Die positiven Erfahrungen mit der virtuellen Hauptversammlung 1.0 und 2.0 sollten nicht einfach über Bord geworfen, sondern fortentwickelt werden. Noch ist Zeit, das gesamte Hauptversammlungsrecht, einschließlich des Rechts der Präsenzversammlung, zu reformieren und dabei nicht nur die Interessen der Aktionäre, sondern auch die Interessen der Unternehmen in den Blick zu nehmen. Damit könnte die Hauptversammlung wirklich zukunftsfähig gemacht werden.

Dr. Daniela Favoccia ist Partnerin bei der international tätigen Rechtsanwaltskanzlei Hengeler Mueller in Frankfurt am Main und Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex; Dr. Oliver Rieckers ist Partner bei Hengeler Mueller in Düsseldorf.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.