Geldvermögen

Die Schweiz im Nachteil

Die Schweiz lässt ihre Banken zusammentragen, wie viel Geld russische Bürger in der Eidgenossenschaft horten. Ärger ist programmiert.

Die Schweiz im Nachteil

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“ Die beliebte Redewendung mag nützlich sein, um sich im gewöhnlichen Alltag zusätzlichen Ärger vom Leib zu halten. In spannungsgeladenen und gefährlichen Situationen, wie sie der Krieg in der Ukraine gerade darstellt, ist sie aber mit Sicherheit die falsche Handlungsanweisung. Kein demokratisches Land darf sich dem Verdacht aussetzen, auch nur indirekt zur Finanzierung der russischen Kriegsmaschinerie beizutragen. Vor diesem Hintergrund sah sich im Februar auch die Schweiz veranlasst, ihr geliebtes Neutralitätsprinzip bis an die Schmerzgrenze zu strapazieren und die EU-Sanktionen gegen Russland vollständig zu übernehmen.

Zu diesen gehört nicht nur eine Blockade der Vermögen sanktionierter Oligarchen, die nach bisherigem Kenntnisstand rund 7,5 Mrd. sfr in der Schweiz gebunkert haben. Die westliche Allianz will auch wissen, wie viel Geld russische Bürger im Ausland horten, deren Namen nicht auf den schwarzen Listen der Oligarchen-Jäger stehen. Die Schweizer Banken hatten bis zum Ende der abgelaufenen Woche drei Monate Zeit, diese Zahlen zusammenzutragen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zu melden.

Gezählt wurden dabei die Vermögen aller russischen Staatsbürger oder in Russland wohnhaften Personen, die mindestens 100000 sfr auf einer Schweizer Bank deponiert haben. Im Raum steht eine Zahl von 150 Mrd. bis 200 Mrd. sfr, wie sie im März von der Schweizerischen Bankiervereinigung geschätzt worden war. Das wären rund 4% der in der Schweiz liegenden Offshore-Vermögen. Ein relativ gesehen geringer Betrag, befanden die Banken und die Schweizer Regierung im Einklang.

Unabhängig davon, was die Addition der Meldungen am Ende hergeben wird: Der Ärger für die Schweiz und ihre Banken ist programmiert. Ein „Briefing“ der Helsinki Commission, einer von der Exekutive unabhängigen Kommission der US-Regierung und des US-Kongresses, die in der Zeit des Kalten Krieges geschaffen worden war, sorgte Anfang Mai für einen Vorgeschmack auf den Shitstorm, wie er der Schweiz und ihrem Finanzplatz bald blühen könnte. Die Schweiz sei „eine führende Helferin“ Wladimir Putins und seiner Gehilfen, hieß es in der Einladung zu einer Online-Konferenz. Zwar beklagte sich der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis schon im Vorfeld der Veranstaltung bei seinem US-Amtskollegen über „inakzeptable Unterstellungen“ und verlangte eine Entschuldigung. Doch Cassis dürfte selbst am besten gewusst haben, dass dies ein frommer Wunsch bleiben würde.

Die Schweiz und ihre Banken dürfen mit Fug für sich in Anspruch nehmen, die internationalen Sanktionen gegen Russland umzusetzen. Doch im internationalen Kampf gegen die Kleptokratie, den alle Länder einschließlich der Schweiz während vieler Jahre aus einer Mischung von Gleichgültigkeit und Eigennutz nur halbherzig zu führen bereit gewesen waren, reicht eine gewissenhafte Umsetzung von Regeln nicht mehr aus. Spätestens mit dem Beginn des russischen Feldzuges in der Ukraine ist das Thema zu einem politischen Machtinstrument großer Länder geworden, die sich selbst und zum eigenen Vorteil das Etikett der Tugendhaftigkeit auf das Revers sticken wollen.

In dieser Logik ist auch die Schweiz gefangen. Sie dürfte bald in die Zwangslage geraten, russische Vermögen ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einzuziehen, wenn es der US-Regierung gelingt, ein im April lanciertes entsprechendes Gesetzesprojekt erfolgreich durch den Kongress zu bringen. Die ohnehin schon weidlich ins Wanken geratene Rechtssicherheit für ausländische Kunden auf dem Schweizer Finanzplatz würde damit weiteren Schaden nehmen.

Für internationale Finanzplätze wie die Schweiz können die aktuellen Erfahrungen nur eines bedeuten: Sie müssen lernen, die großen politischen Risiken vorauszusehen und ihren Teilnehmern nur so viel Geschäft zu erlauben, wie es ein kleines Land politisch auch mittragen kann. Das mögen manche Banken schon seit längerem begriffen haben, das Parlament scheint noch nicht so weit zu sein. Vor Jahresfrist hatte es sich geweigert, die Ausweitung des Anti-Geldwäsche-Gesetzes auf die Anwälte auszudehnen. Dieser offensichtliche Fehlentscheid könnte sich jetzt bitter rächen, weil die Schweiz ungeachtet der Summe der im Land aufgespürten russischen Vermögen zu Recht oder nicht dem Verdacht ausgesetzt bleiben wird, viele weitere Milliarden hinter dem Anwaltsgeheimnis zu verbergen.

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