Lebensmittel-Einzelhandel

Durch Kostenweitergabe wird es im Supermarkt noch teurer

In den Supermärkten ziehen die Preise derzeit spürbar an. Das ist keineswegs, wie man denken könnte, im Sinne der Einzelhändler.

Durch Kostenweitergabe wird es im Supermarkt noch teurer

Von Martin Dunzendorfer,

Frankfurt

Die deutlich gestiegenen Inflationsraten bekommen Verbraucher im täglichen Leben vor allem an zwei Orten zu spüren: an der Tankstelle und im Supermarkt. Im September hatte die Inflationsrate in Deutschland zum ersten Mal seit vielen Jahren die 4-Prozent-Marke überschritten. Im Oktober sprangen die Verbraucherpreise um 4,5% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das ist die höchste Inflationsrate seit 28 Jahren. Volkswirte prognostizieren, dass die Teuerung bis zum Jahresende auf rund 5% steigen könnte.

Größter Preistreiber sind seit Monaten die Energiekosten: Im Oktober waren sie 18,6% höher als ein Jahr zuvor. Demgegenüber war der Anstieg der Lebensmittelpreise um 4,4% fast schon moderat.

Die hohen Inflationsraten seit Juli dieses Jahres haben eine Reihe von Gründen, darunter Basiseffekte aufgrund niedriger Preise im Vorjahr. Insbesondere wirkten sich die Senkung der Mehrwertsteuersätze zwischen Juli und Dezember 2020 und der Preisverfall von Öl und der Mineralölprodukte – im April 2020 kostete ein Barrel der Nordsee-Sorte Brent zeitweise weniger als 20 Dollar (aktuell: 82 Dollar) – erhöhend auf die Gesamtteuerung aus. Hinzu kommen nach Angaben von Destatis die Einführung der CO2-Bepreisung seit Januar 2021 sowie krisenbedingte Effekte. Dazu zählen die deutlichen Preisanstiege auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen, die sich als Folge der Verknappung vieler Rohwaren einstellen. Wegen der gestiegenen Benzin- und Kerosinpreise und der hohen Nachfrage nach Transportkapazitäten, die auch die Logistikkosten in die Höhe treibt, stehen u.a. die Konsumgüterproduzenten unter Druck, zu denen auch die Lebensmittelindustrie zählt.

Preisbewusste Verbraucher

In den Supermärkten gibt es zwar wie eh und je Sonderangebote, doch das Preisniveau zieht unübersehbar an. Das ist keineswegs, wie man denken könnte, im Sinne der Einzelhändler, die von der notorischen Angst geplagt werden, Kunden an die Konkurrenz zu verlieren. Denn deutsche Verbraucher kaufen überdurchschnittlich preisbewusst ein; der Wettbewerb im Handel läuft in erster Linie über den Preis. Nicht grundlos sind Discounter eine deutsche Erfindung. Doch die Lieferanten, deren Kosten im Einkauf, für Energie, Verpackung und Transport stark steigen, drängen den Handel trotz laufender Kontrakte, Preiserhöhungen zuzulassen, spätestens aber mit Beginn der nächsten Vertragslaufzeit.

Die Verhandlungsmacht der vier großen Lebensmittel-Einzelhändler in Deutschland – Edeka mit ihrer Discount-Tochter Netto, Rewe und ihre Discount-Tochter Penny, die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland sowie Aldi Nord und Süd – ist zwar weit stärker als selbst die der großen Markenkonzerne Nestlé, Procter&Gamble und Unilever, doch der Kostenentwicklung bei den Herstellern von Lebensmitteln, Reinigungsartikeln oder Körperpflegeprodukten können sich auch die Handelsriesen nicht verschließen, wollen sie keine Eskalation riskieren. Das würde sich in leeren Regalfächern äußern, wo sonst Verkaufsschlager liegen. Zu diesem letzten Mittel eines Lieferembargos bzw. Abnahmestopps greifen Produktanbieter oder Händler, wenn sie sich auch nach langen Verhandlungen in den Jahresgesprächen nicht über die Konditionen einig werden. Dann werden – in der Regel nur zeitweise – bekannte Markenprodukte nicht mehr an eine Supermarktkette verkauft und geliefert oder umgekehrt nicht mehr gekauft und abgenommen.

Die großen Spieler im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) werden auch nach den abzusehenden Preisrunden ihre Renditen weitgehend halten können – Schätzungen zufolge liegen die Ebitda-Margen zwischen 4 und 8% –, denn sie werden die höheren Einkaufskosten an die Konsumenten weitergeben. Die nötige Marktmacht dafür haben sie: Die vier großen Handelsgruppen stehen zusammen für mehr als 70% der Erlöse im gesamten LEH hierzulande. Dieser Wert ist seit vielen Jahren stabil, und das hat einen Grund: Alle werben um Kunden auf einem Markt, auf dem in normalen Zeiten kein nennenswerter Zuwachs zu erwarten ist. Das heißt, in der Regel ist das Wachstum des einen der Umsatzrückgang des anderen. Ohne Not, wie nun angesichts der gestiegenen Kosten, werden im Handel sonst keine Preisrunden eingeläutet, denn keiner der Spieler gibt kampflos Marktanteile preis. Stattdessen gibt es die bekannten Rabattschlachten, vor allem bei Fleisch und Wurst sowie anderen stark nachgefragten Lebensmitteln wie Obst und Gemüse sowie bei einigen Süßwaren.

Zu stärkeren Marktanteilsverschiebungen zwischen den Playern kommt es seit Jahren daher nur, wenn eine Gruppe entweder eine größere Zahl an Läden dichtmacht oder zukauft – wie Rewe, die Anfang 2020 Lekkerland übernahm.  

Ausnahmejahr 2020

Insofern war das „Corona-Jahr“ 2020 ein Glücksfall für die Branche: Es brachte unverhofft kräftige Erlösanstiege – vor allem, weil viele Konsumenten gezwungen waren, statt in Kantinen, Gaststätten oder Restaurants essen zu gehen, sich selbst zu versorgen. Hinzu kamen die Hamsterkäufe: 2020 waren über Wochen die Regale für Hygieneartikel und Konservendosen leergefegt. Dazu kam es in diesem Jahr nicht. Die daher von vielen Marktbeobachtern für 2021 erwartete „Normalisierung“ der Umsätze im Handel blieb aber aus, denn die Konsumenten kaufen zwar nicht mehr ganz so viel wie im Vorjahr ein, dafür aber höherwertige, d.h. teurere Güter. Allerdings zeigen sich im abgeflachten Erlöswachstum der Einzelhändler schon jetzt die Folgen der Preiserhöhungen.

Die Vermutung liegt nahe, dass auch die Lieferanten Nutznießer des Umsatz-Booms im Handel waren. Doch so pauschal trifft das nicht zu, denn die Konsumgüterhersteller unterscheiden sich zu sehr voneinander. Auf der Gewinnerseite finden sich z.B. Hersteller von Körperpflege- und Reinigungsmitteln, die seit Anfang 2020 vom Drang zu stärkerer Hygiene profitierten. Dagegen haben die meisten Lebensmittelproduzenten kaum höhere Erlöse erzielt. Die über lange Zeitspannen hinweg geschlossenen Verköstigungstempel drückten etwa auf den Absatz der Bierproduzenten und Speiseeisanbieter, begünstigten aber Essenslieferanten wie Delivery Hero oder den Kochboxenversender Hellofresh. Diese Lieferdienste dürften aber von anziehenden Kosten am härtesten getroffen werden, denn entweder sie nehmen diese auf die eigene Kappe – dann sinken die Margen – oder sie geben die gestiegenen Kosten weiter. Dann aber dürfte so manchem Kunden die schon jetzt beachtliche Rechnung endgültig zu hoch werden.

Bis die Inflationsrate ab Anfang nächsten Jahres wieder deutlich niedriger ausfallen und sich im Verlauf von 2022 weiter abschwächen dürfte, wird so manches Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie negativ von sich reden machen.

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