Metaverse

Eine ganz neue „Version“ des Internets

Technologiekonzerne stecken Milliarden in den Bau des Metaverse, doch es entsteht in kleinen Puzzlestücken.

Eine ganz neue „Version“ des Internets

Als „next big thing“ hat Mark Zuckerberg 2016 auf dem Mobile World Congress in Barcelona von einem „Metaverse“ gesprochen, für das er auf der Bühne von Samsung auch gleich den „Schlüssel“ präsentierte: eine futuristisch aussehende Brille, mit der die Nutzer in eine mehr oder minder fantastische virtuelle Welt eintreten können. Was am Rande der Messe zunächst von vielen als Spielzeug betrachtet wurde, rückte schon bald danach ins Zentrum der strategischen Neuausrichtung von Facebook, die einige Jahre später in Meta umfirmierte. Demnächst wird die VR-Brille Oculus Quest in der dritten Generation verfügbar sein, der Konzern pumpt in wenigen Jahren weit über 100 Mrd. Dollar in seine Reality Labs, doch ein Durchbruch im Metaverse lässt auf sich warten. Stattdessen schwächelt der Absatz des Vorgängermodells Oculus Quest 2, auch eine Preisanhebung für die Basisversion um ein Drittel auf 400 Dollar kann den Erlösverfall nicht aufhalten.

Ein Gerät, das je nach Version den Preis eines mittleren oder gar hochpreisigen Smartphones hat, aber in seinen Funktionen und Benutzungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkter ist, stößt auf begrenztes Interesse bei den Kunden. Und es verfängt auch nicht bei den Investoren, die der Meta-Aktie angesichts dramatisch steigender Investitionen ins Metaverse und sinkender Einnahmen im Kerngeschäft den Rücken kehren. Das Papier hat im laufenden Jahr zwei Drittel an Wert verloren.

Das Desaster bei Meta verstellt indes den Blick auf den Siegeszug dieser neuen „Version“ des Internets, wie Experten das Metaverse nennen. Junge Unternehmen, die mit dem Thema experimentieren, können mit vergleichsweise begrenztem Aufwand bereits tragfähige Geschäftsmodelle vorweisen. Just während der laufenden Weltmeisterschaft in Katar sticht ein kalifornisches Start-up heraus, das einen deutschen Gründer hat und im Metaverse schon einige Jahre unterwegs ist. Dirk Lueth, den es schon 2009 ins Valley zog, hat dort vor gut vier Jahren das Unternehmen Upland.me gegründet. Die Idee für das Unternehmen, das derzeit den Kauf von digitalen Merchandise-Artikeln der WM mittels NFT (Non-Fungible Token) ermöglicht, kam ihm bei einem „Spieleabend mit Monopoly“, wie er „Gründerszene“ sagte. Upland.me ermöglicht das „Kaufen, Verkaufen, Tauschen von virtuellen Grundstücken. Man kann aber auch an Schatzjagden oder virtuellen Autorennen teilnehmen oder Metaventures betreiben“, wie Lueth erzählt. Der Jungunternehmer hat 18 Mill. Dollar bei verschiedenen Wagniskapitalgebern eingesammelt. Sein Unternehmen werde auf 300 Mill. Dollar taxiert. Upland.me, die 125 Mitarbeiter hat, will den Zugang zum Metaverse einfach halten – und möglichst transparent. Die eigene Transaktionswährung ist in einem festen Wechselkurs an den Dollar gebunden. Das Unternehmen verdient Geld durch eine Gebühr bei jeder Transaktion und denkt perspektivisch an Werbeerlöse.

Spielerisch entwickelt

Nicht ohne Grund schlug die Geburtsstunde von Upland.me beim Spielen. Die Branche gehört zu den herausragenden Treibern des neuen Internets . In der Szene ist das Eintauchen der Spieler in virtuelle Realitäten heute schon vielfach gängige Praxis. Die Branche hat in relativ kurzer Zeit eine Reihe von innovativen Sprüngen gemacht, angefangen von simplen gebührenpflichtigen Spielen, über Gewinnspiele und schließlich Spieleprodukte mit aktiver, auch physischer Teilnahme wie E-Sports oder eigenen Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Spieler sowie Shopping-Erlebnissen. Ein Beispiel für die jüngste Spielegeneration ist Fortnite, der Bestseller von Epic Games, mit dem der Entwickler ein neues interaktives Niveau betreten hat. Die Firma investiert hohe Summen in eine virtuelle Welt, „deren Erfahrungsspektrum weit über Gaming hinausreicht“, wie CEO Tim Sweeney es formuliert. Der Konzern, der sich 2021 mit Apple angelegt hat und über die Gebührenpraxis im App Store (und Play Store) streitet, hat im selben Jahr Investitionen von rund 1 Mrd. Dollar angekündigt, um die Entwicklung von Spielen im Metaverse voranzutreiben.

Auch die ehemaligen Platzhirsche des Gamings, die Konsolenhersteller Sony, Microsoft und Nintendo, suchen Anschluss an das Metaverse: entweder durch milliardenschwere Zukäufe – wie Microsofts Kauf von Activision Blizzard zeigt – oder aus eigener Kraft in kleinen Schritten. So hat Sony jüngst ein „Wearable Set“ aus sechs Teilen herausgebracht, das an verschiedenen Körperteilen montiert wird und das Realitätserlebnis des Spielens erhöhen solle. Die Aussichten sind vielversprechend: Jensen Huang, der CEO von Nvidia, deren Grafikkarten und Chips für künstliche Intelligenz zu den Innovationssprüngen im Gaming wesentlich beigetragen haben, bezeichnet das Metaverse als „3D-Version des heutigen Internets, dessen wirtschaftliches Volumen das der realen Welt deutlich übersteigen wird“.

Indes tun sich selbst Branchenbeobachter schwer, die demnächst zu erwartende Dimension zu schätzen. Werden alle Technologien, die das Metaverse erst möglich machen, mit einbezogen sowie die gesamte digi­tale Telekommunikationsinfrastruktur, so ist die Rede von einem „mehrere Billionen-Dollar-Markt“ im Jahr 2030. Etwas enger gefasst, mit Blick auf die tatsächlichen Anwendungsfälle, kommt die Beratungsfirma Arthur D. Little (ADL) auf ein Marktvolumen von rund 500 Mrd. Dollar 2030, mit einer Wachstumsrate von 30 % bis 40 %.

Henne-Ei-Problem

Während Gaming und Entertainment als Speerspitze für Metaverse-Erlebnisse im Consumer-Bereich gelten, hat die neue Internetwelt das Geschäftsleben ebenfalls bereits erreicht. Einfallstor war hier die in der Pandemie aus dem Stand sprunghaft angeschwollene Nutzung von Kollaborationssoftware wie Teams, Webex, Zoom und dergleichen. Das treibt auch die Weiterentwicklung dieser Tools voran. Das im vergangenen Jahr von Microsoft lancierte Programm Mesh, das die Teams-Nutzung mit Hilfe von Hologrammen erweitert, ist ein Schritt, auf den Wettbewerber reagieren werden. So könnten Konferenzen in einer Virtual-Reality-Umgebung bald einer der häufigeren Anwendungsfälle des Metaverse sein.

Neben Kollaboration sieht Gabriel Mohr, Principal bei ADL, auch in der industriellen Fertigung und der Wartung großes Potenzial für Virtual oder Augmented Reality. In jedem Fall ist Mohr der Ansicht, dass indus­trielle Anwendungen des Metaverse dem privaten Umfeld nicht nachstehen werden. „Der schon lange bekannte Digital Twin wird zum Beispiel in 3D verfügbar sein und seinen Nutzen dadurch erweitern.“ Die Kooperation von Siemens und Nvidia bei der Digitalplattform Xcelerate, bei der virtuelle Simulationen von Produkten oder Produktionsanlagen in bisher nicht gekannter Dimension dargestellt werden sollen, ist ein Beispiel für große industrielle Ambitionen.

Um diese Realität werden zu lassen, braucht es allerdings noch deutliche Fortschritte bei Hardware, Software und insbesondere Konnektivität. Letztere setzt eine Branche in Szene, deren Mitwirkung für das Metaverse ebenso essenziell ist wie Hochleistungscomputer: Ohne hochleistungsfähige Netzinfrastruktur lässt sich die virtuelle Welt nicht bauen. Damit die Telekombranche nicht Gefahr läuft, dass hochmargige Applikationen im Metaverse an ihr vorbeigehen, während sie erneut Milliarden in den Netzausbau steckt, sind aus Sicht von Mohr „Kooperationen mit den Front­runnern im Metaverse“ das Gebot der Stunde. „Möglich wäre zum Beispiel die Distribution bestimmter AR-Apps über die Kunden-Plattformen der Telekomnetzbetreiber und ein Subskriptionsmodell, bei dem die Erlöse geteilt werden“, so Mohr. „In jedem Fall sollten die Telekomunternehmen darauf dringen, dass sich die OTT-Player im Metaverse an den Investitionen in die Netze beteiligen“, so Michael Opitz, Partner bei ADL. Entsprechende Verhandlungen sind bisher immer wieder fehlgeschlagen. Obwohl bereits hochbitratige Anwendungen wie Video-Streaming die Telekomnetze seit Jahren belasten, gibt es bei den Netzinvestitionen keine Lastenteilung zwischen den Verursachern hoher Datentransfers wie Netflix oder Google und den Telekomfirmen.

Da die Menge der zu verarbeitenden Daten auf den Netzen im Metaverse dramatisch ansteigen dürfte, besteht hier Handlungsbedarf. Sonst könnte die neue „Version“ des Internets in der Leitung steckenbleiben.

Von Heidi Rohde, Frankfurt